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Landkreis Günzburg: Das zweite Leben des Michael Wagner

Landkreis Günzburg

Das zweite Leben des Michael Wagner

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    Er ist wieder aufgeblüht: Michael Wagner im Dezember 2019 – gut sieben Monate nach seiner Lebertransplantation.
    Er ist wieder aufgeblüht: Michael Wagner im Dezember 2019 – gut sieben Monate nach seiner Lebertransplantation. Foto: Bernhard Weizenegger

    Geschenke unter dem Weihnachtsbaum? Die sind für Michael Wagner nicht wichtig. Nicht mehr. Denn er betrachtet sein neues Leben als Geschenk. Dass er Weihnachten 2019 tatsächlich erleben kann, war so keineswegs absehbar im Frühjahr 2019.

    Durch zwei seltene Autoimmunerkrankungen war die Leber des 57-Jährigen seit Jahren immer stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Am 10. April sollte die Transplantation Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München-Großhadern stattfinden. Stundenlang lag der todkranke Wagner damals auf dem OP-Tisch, bis es Gewissheit wurde: Die an sich geeignete Leber ist in ihrem Zustand nicht transplantierbar.

    Zahlen zu Organspenden

    Rund 900.000 Personen sterben jährlich in Deutschland – nur 955 davon haben Organe gespendet. Etwa 250 Kindern konnte damit geholfen werden.

    10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan. Täglich sterben im Schnitt drei Menschen aufgrund des Mangels an Spenderorganen.

    Aktuell warten 45 bis 50 Kinder auf ein Spenderherz. 800 Menschen warten auf ein Organ.

    84 Prozent der Deutschen stehen Organspenden positiv gegenüber, nur ein Bruchteil besitzt jedoch einen Spendenausweis. (Quelle: Deutsche Stiftung für Organtransplantation)

    Die Chancen sind ohnehin nicht allzu hoch, eine gespendete Leber rechtzeitig eingepflanzt zu bekommen. Sie muss passen. Und wer auf eine Spende angewiesen ist, muss möglichst oben auf der Warteliste stehen, die regelmäßig aktualisiert wird. Etwa drei Menschen verlieren jeden Tag in Deutschland diesen Wettlauf gegen die Zeit.

    Gartenarbeit mit Maske

    Michael Wagner gehört nicht zu ihnen. Denn am 6. Mai ist ihm nach dem gescheiterten Versuch im Vormonat tatsächlich die eigene erkrankte Leber entfernt und ein fremdes gesundes Organ eingesetzt worden. „Die ersten drei Monate danach habe ich einer Art Pseudo-Quarantäne gelebt“, sagt Wagner. Die Schultheateraufführung seiner Tochter verfolgte er aus der letzten Reihe – mit Mundschutz. Bei der Gartenarbeit, die er so gerne mag, muss er eine besondere Maske aufsetzen, die Pilzsporen und andere Keime herausfiltert. Sie werden mit der aufgelockerten Erde aufgewirbelt.

    „Ins Hallenbad darf ich noch immer nicht.“ Dort sei die Luft relativ keimhaltig. „Nach einem viertel Jahr habe ich angefangen, nach dem Bauchgefühl zu leben – und ich lebe damit gar nicht so schlecht.“

    Vorsichtig, aber nicht übervorsichtig

    Ausdrückliche Verbotsschilder beachtet er freilich. So sind beispielsweise durchgebackene Kuchen Bestandteil von Michael Wagners Speisezettel, Sahne- und Cremekuchen hingegen nicht. Er will vorsichtig sein, aber keine Paranoia deswegen entwickeln, wie er sagt. Nach Gesprächen mit anderen Lebertransplantierten ist ihm bewusst, dass die Organverpflanzung kein Persilschein auf die Zukunft ist. Monate, ja Jahre nach dem komplexen medizinischen Eingriff kann die Leber noch abgestoßen werden, wie ihm Betroffene berichtet haben.

    Wagner erzählt aber auch von einem Gegenbeispiel – von einer Frau, die seit 37 Jahren mit der Leber eines oder einer Anderen lebt. „Mit Demut und Dankbarkeit, blicke ich auf die Tage zurück, die mir jetzt schon geschenkt worden sind“, sagt der Günzburger und denkt an die vergangenen gut sieben Monate nach der aufwendigen Operation.

    Mit der Familie wird das "Geschenk des Lebens" gefeiert

    Dieses „Geschenk des Lebens“ will Wagner an Weihnachten feiern – im Kreise der Familie, die ihm noch wichtiger geworden ist, als sie ohnehin schon war. Wagners Vater, der Bruder und die Schwiegereltern werden am 24. Dezember da sein und gemeinsam mit ihm und seiner Frau den von den Kindern geschmückten Baum bestaunen.

    Seine zurück gewonnene Agilität und Mobilität nutzt der frühere Bundeswehrsoldat. So betreut er unter anderem wieder Kinder des VfL Leipheim und des TSV Pfuhl in den jeweiligen Turnabteilungen. Die Mädchen und Buben passen auf ihren Coach auf. Michael Wagner vergisst die Reaktion eines acht oder neun Jahre alten Buben nicht, als der Senior Übungen am Boden mitgemacht hat. „Das darfst du nicht“, sagte er aus Furcht davor, dass sich sein Trainer überanstrengt. Die Freude der Kinder, Wagner wiederzusehen, hat den 57-Jährigen ebenso überwältigt wie die Anteilnahme aus seinem Umfeld, „mit der ich nicht gerechnet habe“.

    Warum Winnetou eigentlich nicht mehr sterben darf

    22 Tabletten musste er vor der Transplantation täglich zu sich nehmen, inzwischen sind es weniger als die Hälfte. Der Hormonhaushalt ist seither auch etwas durcheinander geraten, sagt der nach außen so beherrscht und rational wirkende Wagner. „Wenn Winnetou im Film stirbt oder Kinder bei TV-Sendungen wie ,Voice of Germany’ unglaublich gut singen, schießen mir Tränen in die Augen. Früher konnte ich sie noch zurückhalten.“

    An Weihnachten kann es gut möglich sein, dass sich der zweifache Familienvater für einige Momente zurückzieht, um über „gewisse Sachen nachzudenken“. Dann kommen Wagner vermutlich auch, wie es zuletzt während einer Predigt in einem Gottesdienst geschehen ist, die Angehörigen des unbekannten Leberspenders in den Sinn. Was sie jetzt denken mögen an diesem ersten Weihnachtsfest ohne den geliebten Verwandten? Ein Leben ist erloschen. Aber ein Teil dieser Flamme hatte genügt, um ein anderes Leben zu retten.

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