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Landkreis Günzburg: Blasmusik-Blues mit Corona-Abstand: So gehen Vereine im Kreis Günzburg damit um

Landkreis Günzburg

Blasmusik-Blues mit Corona-Abstand: So gehen Vereine im Kreis Günzburg damit um

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    Das Coronavirus hat Bayerns Blasmusikkultur in eine tiefe Krise gestoßen. Zwei Meter Abstand müssen Blasmusiker einhalten – große Ensembles finden da nur schwer genug Raum für ihre Probenarbeit.
    Das Coronavirus hat Bayerns Blasmusikkultur in eine tiefe Krise gestoßen. Zwei Meter Abstand müssen Blasmusiker einhalten – große Ensembles finden da nur schwer genug Raum für ihre Probenarbeit. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Eine Generalpause ist in der Musik ein Moment der absoluten Stille. Kein Ton. Alle Instrumente und Stimmen schweigen. Die große Corona-Generalpause brach im März 2020 über die bayerische Blasmusik-Szene herein: Spielen, proben, Konzerte geben, all das verbot die Staatsregierung – bis Juni. Dann durften Vereine, vom Fanfarenzug bis zum Sinfonischen Blasorchester, wieder ihre Arbeit aufnehmen, mit Vorsicht und unter klaren Corona-Sicherheitsvorgaben. Doch seit diesem Hoffnungsmoment trübt sich die Stimmung wieder – das hat Joachim Graf so beobachtet.

    Die anfängliche Euphorie der Musiker sei verpufft, sagt der Geschäftsführer des Allgäu-Schwäbischen Musikbunds (ASM). „Die Lage ist desolat. Die Motivation liegt am Boden, vor allem bei Vereinsvorsitzenden und Dirigenten.“ Er spricht von „absoluter Perspektivlosigkeit“: Niemand wisse, wie lange die Musiker mit Einschränkungen leben müssen und wie der Spielbetrieb so überleben kann. Zwei Meter Abstand müssen Blasmusiker einhalten, um Infektionen über Aerosole in der Luft zu vermeiden.

    Inzwischen empfiehlt der ASM den Musikvereinen, in den Landkreisen mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von über 50 Gesamtproben innerhalb von Gebäuden vorübergehend nicht stattfinden zu lassen. Von dieser Empfehlung sind Registerproben, Proben kleinerer Gruppen und Ensembles, Gruppenunterricht im Bereich der musikalischen Früherziehung und der Instrumentalunterricht ausgenommen. Proben und Auftritte außerhalb von Gebäuden sind – abgesehen von den Außentemperaturen – unter Wahrung des Sicherheitsabstandes jedoch bis auf Weiteres möglich.

    Mit steigenden Corona-Zahlen werden die Zuschauerzahlen stark begrenzt

    Im Sommer machte die Not erfinderisch: Viele Kapellen verlegten ihre Proben ins Freie, mit Abstand und Frischluft. Greifbare Ziele fehlten zwar, die Aussicht auf das nächste Konzert war ungewiss – doch die totale Reg- und Ratlosigkeit schien beendet. In den kälteren Jahreszeiten trifft die Musiker jetzt das Abstands- und Platzproblem: Der Herbst ist die Zeit, in der Blasmusikvereine traditionell die Vorbereitungsphase für ihre Jahreskonzerte starten. Graf berichtet, dass sein Musikverein Biberach (Roggenburg) jetzt in der großen Halle des Sportvereins probt.

    „Manche Kommunen schaffen auch Raum und stellen Gemeindehallen zur Verfügung.“ Solche Probenorte hätten viele Dorfvereine aber nicht. 200 Zuschauer waren seit Juli bei Konzerten in geschlossenen Räumen erlaubt, 400 unter freiem Himmel. „Und diese Grenzen gelten unabhängig von der Größe des Saales“, erklärt Graf. Er sieht darin einen Widerspruch. Doch die größte Hürde liege für die Musiker im Mindestabstand von zwei Metern. Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 sind ohnehin nur noch 100 innen und 200 außen erlaubt, bei einer 100er-Inzidenz generell 50, erklärt das Landratsamt.

    Die Zeiten sind nicht leicht - bergen aber auch Chancen

    Die Zeiten sind schwierig, sagt auch Christian Weng, Leiter der Jettinger Blasmusik. Aber sie bergen auch Chancen, findet er. „Wir haben Glück und können in der Turnhalle proben, die ist auch für unser sehr großes Orchester ausreichend. Wir werden auch unseren Winterzauber aufführen und proben bereits viel.“

    Natürlich könne das Konzert nicht wie gewohnt stattfinden, da sei Fantasie und Flexibilität gefordert. „Wir haben schon verschiedene Ideen, wie wir uns platzieren. Vielleicht im Querformat oder in der Diagonale und natürlich in unterschiedlichen Besetzungen. Das erfordert Arbeit und Zeit, aber alle unsere Spieler, auch das Jugendorchester, sind hoch motiviert und helfen selbstverständlich bei der Bestuhlung und der jeweils notwendigen Desinfektion.“ So wird in Jettingen die Krise auch zu einem schönen Erlebnis der Engagements und des Miteinanders.

    In der Burtenbacher Halle wird gemeinsam geprobt

    Alfred Walker, Leiter der Kemnater Musiker, hat aus den Einschränkungen Positives gezogen. „In unserem Probenraum können wir nicht als Gesamtorchester spielen. Wir haben uns deshalb nach Registern aufgeteilt. Das hat sich perfekt bewährt. Denn die Musiker können neue Stücke so viel besser einüben und schulen ihr Gehör. So können wir mit dieser Methode sogar die Tonqualität des Orchesters steigern.“

    Wenn die Register firm sind, wird in der Burtenbacher Markgrafenhalle gemeinsam geprobt. Das führe zu erstaunlich schnellen, guten Ergebnissen. „Wir werden das System sicher auch nach der Pandemie beibehalten.“ Derzeit wird im Übungsraum fleißig in Kleingruppen geprobt. Denn das Adventskonzert wird, wenn kein Lockdown dazwischenkommt, stattfinden – mehrfach sogar, wie auch voraussichtlich in Jettingen, um allen Musikfreunden die Chance der Teilnahme zu bieten.

    Hoffen auf praktische Lösungen

    „Wir treten in unterschiedlichen kleineren Besetzungen auf und haben ein aufregendes Programm, von Barock bis Moderne zusammengestellt.“ Die Zeit der erzwungenen Stille haben die Kemnater genutzt, ein ambitioniertes Programm für das kommende Jahr auszuarbeiten, denn unterkriegen lassen sie sich nicht. Trotzdem sei es natürlich schade, dass die Kameradschaft im Orchester nicht wie bisher gepflegt werden kann.

    Aber wie auch Christian Weng, hofft Alfred Walker darauf, dass nicht nur medizinische Lösungen gefunden werden, sondern auch ganz praktische. „Hier müssen die Erfahrungen aller Musiker grenzüberschreitend zusammengetragen werden, aufgrund derer die Beschränkungen angepasst und Lösungsstrategien für den einzelnen Verein erarbeitet werden können.“

    Gespräche mit dem Leiter der Staatskanzlei laufen

    Der Musikbund führt aktuell Gespräche mit Florian Herrmann, dem Leiter der Staatskanzlei. Joachim Graf berichtet, dass Herrmann um Geduld bittet: Die Politik müsse sich an der Wissenschaft orientieren und mögliche Gefahren überprüfen. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität leitet eine Studie, die Aerosol-Ausstöße in Räumen misst – unter Blasmusikbeschallung. Die Studie soll nach langen Monaten Klarheit schaffen, wie hoch das Infektionsrisiko ist.

    Parallel dazu läuft ein Pilotprojekt am Münchner Nationaltheater, mit 500 Zuschauern in einem Raum. Sobald die Ergebnisse dieser Forschung vorliegen, soll nach dem Wunsch des ASM ein Krisengremium über Lösungen beraten; mit Vertretern der Ministerien für Wissenschaft und für Gesundheit, der Blasmusikverbände und des Musikrats. „Chöre sind ebenfalls stark betroffen“, sagt Graf.

    Vor allem "ältere Semester" könnten ihr Instrument aufgeben

    In der Blasmusikkrise meldet sich auch Franz Josef Pschierer zu Wort, ASM-Präsident und Ex-Wirtschaftsminister. Nach einem Treffen mit Florian Herrmann hat er einen Lagebericht mit Forderungen verfasst. Darin begrüßt Pschierer die staatlichen Corona-Hilfen für die Laienmusik. Aber: „Der Mindestabstand von zwei Metern lässt keinen geordneten Probebetrieb unserer Mitgliedsvereine zu.“ Statt Abstand empfiehlt der ASM andere Maßnahmen: ständiges Lüften, Temperaturmessungen, Ausschluss von Musikern aus Risikogebieten. Vor allem für Regionen mit geringen Infektionszahlen wünscht sich Graf eine Erleichterung.

    Er schlägt ein Ampel- oder Stufenwarnsystem vor, um Sicherheit zu schaffen: Überschreite ein Kreis den Inzidenzwert, könne man auf Rot schalten und in diesem Gebiet den Musikbetrieb stoppen. Das Verständnis für die Musiker-Abstandsregel schwinde allmählich, sagt Graf, „und man schielt hier ein bisschen neidvoll nach Österreich“. Das Nachbarland zählt 140000 Bläser – und verordnet nur einen Meter Abstand. Gab es deshalb neue Infektionsherde? Bislang anscheinend nicht. Außerdem rolle auf den Sportplätzen in Schwaben auch wieder der Fußball, sagt Graf, mit Vollkontakt.

    Der ASM zählte zuletzt rund 40000 Musiker und 800 Ensembles. Aber Graf befürchtet, dass vor allem „ältere Semester“, also lang aktive Musiker, ihr Instrument aufgeben. Auch Jugendliche könnten Ehrgeiz und Interesse verlieren, wenn ein Alltag mit Musik nicht möglich ist. Ganz aktuelle Statistiken liegen dem ASM nicht vor, aber im April 2021 wird er wieder seine Mitglieder zählen. Graf rechnet mit Verlusten.

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