Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Günzburg: Besonderer Assistent in Günzburger Brillenstudio: Wie integriert sind Behinderte im Job?

Landkreis Günzburg

Besonderer Assistent in Günzburger Brillenstudio: Wie integriert sind Behinderte im Job?

    • |
    Der 27-jährige Samuel Hahn hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg, als Assistent.
    Der 27-jährige Samuel Hahn hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg, als Assistent. Foto: Christian Kirstges

    Es ist eine Aufgabe, die Harald Hahn in den vergangenen Jahren Lehrlingen lieber nicht übertragen hat. Zu oft seien Fehler passiert beim Auszeichnen der Preise auf den Brillen. Doch zum Glück hat er ein Mitglied im Team, das akkurat darauf achtet, dass sich keine Zahlendreher einschleichen: Sohn Samuel. Zu den Aufgaben des 27-Jährigen zählen unter anderem auch Vorbereitungen in der Werkstatt, Vorarbeiten für die Werbung, die Hilfe beim Dekorieren oder Botendienste. Auf seiner Visitenkarte steht „Optical Assistant“. Die Familie ist froh, diesen besonderen Assistenten zu haben. Sie ist froh, dass der junge Mann mit Downsyndrom im eigenen Betrieb arbeiten kann, während viele andere Menschen mit Behinderung nur in speziellen Werkstätten eingesetzt werden. „Wir haben einen sehr langen Weg, einen harten Kampf hinter uns“, sagt Mutter Uschi Hahn.

    Samuel ist das dritte Kind. Erst als er auf die Welt kam, hätten sie erfahren, dass er das Downsyndrom hat. „Wir kannten niemanden mit der Krankheit, wir konnten nichts damit anfangen.“ Doch von vornherein sei klar gewesen: Es solle kein Unterschied im Vergleich zu den beiden Geschwistern gemacht werden, „wir haben ihn von Anfang an überall hin mitgenommen“.

    In der Theaterpause richteten sich alle Blicke auf den Mann mit Downsyndrom

    Damals habe es in Günzburg schon das Montessori-Kinderhaus gegeben. In seiner Gruppe seien nur Kinder gewesen, bei denen die Eltern gewollt hätten, dass das Kind in eine inklusive Gruppe geht. „Man merkt da schnell: Kinder nehmen alle, wie sie sind. Vorurteile haben nur die Erwachsenen“, sagt Uschi Hahn. Sie kann sich noch gut daran erinnern, als die Familie vor einiger Zeit in der Komödie in München war. In der Pause seien alle Blicke auf Samuel gerichtet gewesen. „Ich wollte schon sagen, dass wir nicht die Darsteller sind“, sagt die Mutter und lacht.

    Das Publikum sei eben älter gewesen. Für jüngere Leute sei der Umgang mit Behinderten heute selbstverständlich. So sei Samuel aktiver Skifahrer und habe dort viele Kontakte, aber auch in Günzburg würden ihn viele kennen, da er bei seinen Botengängen in der Stadt nun einmal auf viele Menschen trifft. Und auch im Geschäft sei er ein Eisbrecher, weil er so ehrlich sei.

    Die Eltern mussten für ihren Sohn juristisch kämpfen

    Als er noch ein Kind war, sei es nicht möglich gewesen, dass er in eine Regelschule geht. Erst als er die Grundschule verlassen und auf die weiterführende Montessori-Schule in Günzburg gehen konnte, sei er aufgeblüht. Dass er eine Begleitung zur Seite gestellt bekam, sei ein langer Kampf gewesen – ein juristischer. Und auch, als die Eltern nicht wollten, dass er in einer Behindertenwerkstätte arbeiten muss, habe es Probleme gegeben. „Die Behörden waren damals damit überfordert“, erinnert sich Harald Hahn.

    Dass er im elterlichen Betrieb anfangen konnte, sei Zufall gewesen. Nach der Schule hätten sie festgestellt, in wie vielen Bereichen er helfen kann. Ein Selbstläufer sei das nicht gewesen, und so erstritten sie sich juristisch Zuschüsse, die inzwischen selbstverständlich sind. Dass sie gegen den Bezirk gewinnen, hätten sie damals selbst nicht für möglich gehalten. „Ohne Eltern, die so etwas auf sich nehmen und zur Not klagen, geht leider nichts voran“, bedauert Uschi Hahn.

    Corona und die Folgen für Behinderte auf dem Arbeitsmarkt

    Die Frage, wie integriert Menschen mit Behinderung im Landkreis Günzburg in den Arbeitsmarkt sind, lässt sich jedenfalls nur bedingt beantworten. Private und öffentlich-rechtliche Arbeitgeber, die mindestens 20 Arbeitsplätze haben, müssen auf mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Tun sie das nicht, haben sie einen Ausgleich zu zahlen. So gab es im Kreis Günzburg nach Angaben der Arbeitsagentur im Jahr 2018 – neuere Daten gibt es noch nicht – 1630 solcher Pflichtarbeitsplätze. Besetzt waren davon 1241. Auf der anderen Seite wurden 1378 schwerbehinderte und gleichgestellte Beschäftigte gezählt. Davon waren 848 Männer und 530 Frauen. Wirklich aussagekräftig sind die Daten also nicht.

    Samuel Hahn hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg, als Assistent.
    Samuel Hahn hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg, als Assistent. Foto: Christian Kirstges

    Die Folgen der Corona-Pandemie wirkten sich jedenfalls auch auf die Schwerbehinderten aus. So sei die Zahl der Arbeitslosen in dieser Personengruppe coronabedingt ebenfalls gestiegen. Im Februar seien 264 schwerbehinderte Menschen im Landkreis Günzburg arbeitslos gemeldet gewesen, das entspreche einem Anstieg zum Vorjahr um 41 Personen beziehungsweise 18,4 Prozent. Diese Steigerung sei jedoch im Vergleich zum Vorjahr deutlich geringer als der Anstieg der Arbeitslosigkeit insgesamt mit 26,8 Prozent. 11,5 Prozent der Arbeitslosen seien schwerbehindert gewesen.

    Wer als Schwerbehinderter arbeitslos wird, findet nur mit Problemen wieder einen Job

    „Die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen ist in den letzten Jahren gestiegen. Betriebe, die Menschen mit Behinderung einstellen, schätzen vor allem ihr Engagement, die hohe Motivation sowie ihre Zuverlässigkeit. Entscheidet sich ein Arbeitgeber also dafür, einen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen einzustellen, setzt er in der Regel alles daran, diese Arbeitskraft auch langfristig zu halten“, erklärt Richard Paul, Vorsitzender der Geschäftsführung der auch für den Kreis Günzburg zuständigen Agentur für Arbeit Donauwörth. Nichtsdestotrotz gebe es nach wie vor Vorbehalte.

    So sei die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen auch schon vor Corona nicht in dem Maße zurückgegangen wie im Durchschnitt. Schwerbehinderte hätten zwar ein deutlich reduziertes Risiko, arbeitslos zu werden. „Wenn sie jedoch arbeitslos sind, haben sie für den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt geringere Chancen und entsprechend bedarf es auch größerer Anstrengungen, die Arbeitslosigkeit zu beenden.“

    Chef der regionalen Arbeitsagentur: "Es braucht oft nur einen Schritt aufeinander zu"

    Um Unternehmen in allen Fragen im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen bestmöglich zu unterstützen, gebe es in der Arbeitsagentur in Günzburg Reha-Spezialisten. Die Palette der Förderinstrumente sei breit gefächert und reiche von der Qualifizierung sowie Gehaltszuschüssen für Arbeitgeber bis hin zur Unterstützung bei der technischen Ausstattung. Arbeitgeber könnten sich jederzeit beraten lassen.

    „Das Ziel, um das es uns gehen muss, ist, dass Behinderung nur als Verschiedenheit aufgefasst wird. Es ist normal, verschieden zu sein. In der Wirklichkeit ist Behinderung nach wie vor die Art von Verschiedenheit, die benachteiligt wird. Es ist eine schwere, aber notwendige, eine gemeinsame Aufgabe für uns alle, diese Benachteiligung zu überwinden. Wir können alle voneinander etwas abschauen, wir können alle von Verschiedenheit profitieren. Es braucht oft nur einen Schritt aufeinander zu. Wir dürfen uns erst dann zufriedengeben, wenn Menschen mit Behinderung dieselben Chancen haben, eine Beschäftigung zu finden,“ betont Paul.

    Von gut 11.000 Schwerbehinderten etwa die Hälfte erwerbstätig

    Da aus Gründen des Datenschutzes Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten keine Angaben machen müssen, lässt sich nicht wirklich klären, wie viele Behinderte einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft haben, also beispielsweise außerhalb von entsprechenden Werkstätten und anderen spezialisierten Einrichtungen. Zu diesen wiederum gibt es vom Bezirk Schwaben ein paar Angaben. So bietet das Dominikus-Ringeisen-Werk im Landkreis Günzburg 660 Plätze, belegt sind 531 (493 im Arbeits- und 38 im Berufsbildungsbereich). Die Albertus-Magnus-Werkstätten der Caritas in Günzburg mit Standorten in Dürrlauingen und außerhalb des Landkreises in Gundelfingen haben 200 Plätze, von denen 194 belegt sind. Weitere Aussagen kann aber auch der Bezirk nicht treffen.

    Samuel Hahn (Zweiter von rechts) hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg als Assistent. Das Foto zeigt auch Vater Harald, Mutter Uschi und Bruder Benjamin.
    Samuel Hahn (Zweiter von rechts) hat das Downsyndrom. Er arbeitet im Betrieb seiner Familie, dem Brillenstudio Hahn in Günzburg als Assistent. Das Foto zeigt auch Vater Harald, Mutter Uschi und Bruder Benjamin. Foto: Christian Kirstges

    Nach Angaben des Zentrums Bayern Familie und Soziales sind im Landkreis Günzburg zum Stichtag 31. Dezember vergangenen Jahres 11.106 Menschen als schwerbehindert (Grad der Behinderung 50 oder höher) gemeldet gewesen. Eine Angabe zur Erwerbstätigkeit sei im Schwerbehindertenfeststellungsverfahren freiwillig, daher könne hierzu keine valide Aussage getroffen werden. Nach den freiwillig gemachten Angaben seien von den 11.106 Menschen 5336 erwerbstätig. Wie beschrieben, müssen Arbeitgeber unter Umständen eine Abgabe zahlen, wenn sie nicht die vorgeschriebene Zahl an Arbeitsplätzen für Behinderte stellen. Das Geld werde für Leistungen zur Förderung der Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben eingesetzt, insbesondere die für begleitende Hilfe. Im vergangenen Jahr habe das Zentrum Familie und Soziales im Freistaat 122,8 Millionen Euro aus dieser Ausgleichsabgabe verwaltet.

    Ein Kollege mit Behinderung? "Das ist ganz normal"

    Dass Samuel im Brillenstudio Hahn, das an der Zufahrtstraße zum Günzburger Marktplatz liegt, arbeiten kann, macht die Eltern und Bruder Benjamin, der das Unternehmen weiterführen wird (wir berichteten), glücklich. Und der 27-Jährige selbst ist auch froh darüber, wie er sagt. In der Werkstatt hat er vor allem mit Augenoptikerin Inge Remmele zu tun, die er sehr mag. Auch sie hat gerne mit dem jungen Mann zu tun. Und wie ist es für sie, mit jemandem zu arbeiten, der eine Behinderung hat? „Wie soll das schon sein? Ganz normal.“

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden