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Kreis Günzburg: Wo bleibt der Nachwuchs für die Chöre?

Kreis Günzburg

Wo bleibt der Nachwuchs für die Chöre?

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    Im Probenraum wird für einen der noch wenigen Auftritte geübt.
    Im Probenraum wird für einen der noch wenigen Auftritte geübt. Foto: Bernhard Weizenegger

    Beim Gesangsverein Burgau gibt es zum Anfang der Probe immer dasselbe Ritual. Chorleiterin Rosi Benesch liest einen Artikel aus einer Zeitschrift vor, in dem es um das Thema Singen geht. So auch an diesem Abend im Untergeschoss des Albertus-Magnus-Hauses: Eine Studie aus Finnland belege, dass das Singen im Chor sozial und gut für das Gedächtnis sei. Das können die Mitglieder bestätigen. Mental sind sie nun eingestimmt, zum stimmlichen Aufwärmen starten sie mit „Hello good morning“. Gesungen wird auf Deutsch – mehrstimmig. Benesch begleitet am Klavier. An den Wänden im Probenraum hängen Fotos von früheren Auftritten und eine Ehrenurkunde vom Deutschen Sängerbund zum 100-jährigen Bestehen. Das waren Zeiten. Doch die haben sich schon längst geändert.

    Sie sind heute so schwierig, dass der Verein sogar im städtischen Mitteilungsblatt Burgau aktuell mit Annoncen Mitglieder sucht. „Bedingt durch die Altersstruktur brauchen wir dringendst neue Sängerinnen und Sänger, um weiterhin bestehen zu können“, stand jetzt dort. Warum man denn zur Probe kommen soll? „Auch Sie werden sich glücklich fühlen, wenn Sie durch Ihren Gesang und durch Ihre Mitwirkung vielen Menschen eine Freude machen können“, heißt es weiter.

    So viele und große Auftritte wie früher, bei denen etwa in der Kirche oder dem Therapiezentrum Freude bereitet werden konnte, gibt es allerdings nicht mehr. Dafür sind die neun Frauen und vier Männer zu wenige, der Altersschnitt liegt bei 75 Jahren. „Wenn wir weniger als neun sind, wird es für den Gesangsverein kritisch“, sagt Vize-Vorsitzender Sebastian Rupprecht. Der 84-Jährige ist seit 1956 dabei und damit der Dienstälteste hier. Den Chor gibt es seit 1894, ein Ende ist für viele unvorstellbar. Auf den Aufruf im Mitteilungsblatt habe sich nur eine Person gemeldet – die dann nicht zur Probe gekommen ist. „Jeder sitzt heute am Computer oder ist in anderen Vereinen, keiner kennt mehr Noten, ich habe keine große Hoffnung, dass der Chor noch lange besteht“, meint etwa Anna Benesch. Sie ist die Mutter der Leiterin und die Älteste hier, geboren wurde sie 1930. Die Jüngste, auf die Welt gekommen im November 1975, ist hingegen optimistischer. Sie denkt schon, dass es weitergeht, sagt Sabine Wohnhas. Ein paar Auftritte beispielsweise im Altenheim können sie schließlich immer noch stemmen.

    Die Altenheimbewohner singen gerne mit

    Heimleiter Markus Knöpfle sagt, dass die Bewohner sich immer freuen, wenn der Gesangsverein zu Besuch ist, oder auch andere Gruppen. Gerade wenn Lieder von früher gesungen werden, bei denen die Menschen im Heim einstimmen können, hätten sie große Freude. „Es ist eine schöne Erinnerung und Abwechslung, es zaubert ihnen ein Lächeln ins Gesicht.“ Musik sei ein fester Bestandteil im Burgauer Altenheim.

    Der Kreischorverband Mittelschwaben freut sich auch über jeden, der noch singt. „Es ist schwierig“, sagt Vorsitzende Anja Schinzel aus Rettenbach. Die Traditionschöre leiden unter akutem Nachwuchsmangel. Wo Gospel gesungen wird, funktioniere es noch besser. Gerade das klassische Volksliedgut sei nicht mehr gefragt. Zum Ende vergangenen Jahres waren im

    Manchmal ist es zu spät, um das Ruder herumzureißen

    Der geschäftsführende Präsident des Chorverbands Bayerisch-Schwaben, Jürgen Schwarz, erklärt, dass die Situation überall verschieden sei. „Jüngere haben nicht das erste Ziel, im Chor zu singen. Wir müssen schauen, dass wir uns früh in die musikalische Bildung einmischen. Die Kinder sollen Spaß am Singen bekommen.“ Auch Volkslieder könnten ankommen – wenn sie modern aufbereitet werden. Mundart zieht, wenn sie peppig daherkommt. So wie vor einem Jahr bei einem Projekt der Grundschule in Scheppach, als die Kinder ein Lied der Allgäuer Band Losamol umgeschrieben hatten und die Musiker zu Besuch kamen. Chöre könnten auch bei den 50- bis 60-Jährigen ansetzen, etwa mit offenen Chorproben. Über den Spaß am Singen könne die Leistung gesteigert werden. „Aber manchmal ist es zu spät, etwas zu ändern, trotz aller Bemühungen – wenn man nicht früh genug erkannt hat, dass man etwas ändern muss.“

    Bei den anderen Chören in Burgau ist die Lage unterschiedlich. So sagt Claudia Smalko vom Kirchenchor, bei weiblichen Mitgliedern gut aufgestellt zu sein, Männer zu finden sei aber schwer. „Sie möchten sich nicht binden, sie haben keine Zeit, sagen sie.“ Alle Kirchenchöre hätten das Problem, irgendwann werde es wohl dreistimmige Frauenchöre geben. Hinzu kommt: Wer kein Kirchengänger ist, wird sich mit einem Kirchenchor schwer tun. Überaltert sei man aber nicht. Martina Neidlinger-Kroker, Leiterin des Kirchenchors Unterknöringen, sagt: „Es ist allgemein schwierig. Wir haben Glück, dass immer mal jemand nachkommt. Sonst würde es uns nicht mehr geben.“ Auch sie bräuchten Nachwuchs und hätten auf der anderen Seite mit „altersbedingten Krankheitsausfällen“ zu kämpfen. Der Altersschnitt liegt zwischen 60 und 70, den Chor gibt es schon seit dem 18. Jahrhundert.

    Singen spielt in vielen Familien keine Rolle mehr

    Die Vorsitzende des Kammerchors Burgau, Sigrid Nusser-Monsam, hat auch das Problem, Jüngere zu finden, wenngleich der Altersdurchschnitt hier bei „nur“ Mitte 50 liege. Neu arrangierte Lieder von Komponist George Gershwin kämen auch bei Jüngeren gut an, aber dass sie dann auch selbst im Chor mitmachen... Die Weihnachtsoratorien begeisterten ebenfalls Jugendliche, bloß sei die Zahl derer in diesem Alter, die freiwillig dorthin gehen, gering. Mit ihnen in Kontakt zu kommen, um sie für das Mitmachen zu begeistern, sei schwierig. Immerhin: Beim Chorwochenende waren auch Kinder von Mitgliedern da, die öfter mitkommen wollen.

    Der Leiter des Chors der evangelisch-lutherischen Kirche, Markus Putzke, kennt ebenfalls das Argument, dass die wöchentliche Probe für viele nicht machbar sei. Er würde sich angesichts eines Altersschnitts von über 60 über Jüngere freuen, immerhin ist die Tochter eines Chormitglieds dabei, die im Unterstufen-Alter ist. Er sieht als Problem, dass Singen in vielen Familien keine Rolle mehr spiele, die Kinder also auch nur selten damit in Berührung kommen. Für Burgau könnte da eine Musikschule, eine gezielte musikalische Früherziehung helfen.

    Beim Grundschulchor sind die Kinder begeistert bei der Sache

    An der Grundschule zumindest sind die Kinder begeistert bei der Sache, wie sich bei einer Probe des Schulchors für das Weihnachtsmusical zeigt, das sie an diesem Donnerstag aufführen. Da ist der Musikunterricht eine halbe Turnstunde, Buben und Mädchen bewegen sich passend zum Text. Aus allen Klassenstufen sind sie dabei, beim Singen tauchen sie in eine andere Welt ein, erzählt der siebenjährige Dominik. Er gibt im Stück „Ein Friedenslicht reist um die Welt“ den Josef. Und die gleichaltrige Alessia meint, Singen beruhige. Da vergesse man auch eine schlechte Note. Nach den Worten von Schulleiterin Angelika Rogg-Bigelmaier verbindet es, egal welcher Religion jemand angehört, oder auch keiner: Jeder macht mit. Lehrerin Christa Wall macht die Erfahrung, dass der Schwerpunkt heute auf der Bewegung liegen muss.

    Dass Kinder eine ganze Musikstunde lang sitzen und Lieder üben, sei nicht mehr machbar. Fast 40 Jahre leitete sie in Günzburg einen Kinderchor, doch es seien immer weniger geworden über die Jahrzehnte, die dort mitmachten. „Singen ist für viele das unterste Level“, Sport sei gefragter. Die Kinder vor ein Tablet zu setzen sei für viele Eltern auch einfacher als sie regelmäßig zur Probe zu fahren. Der Stellenwert des Singens habe abgenommen, dabei zeige sich oft: Wer musikalisch ist, gehöre zu den Besten in der Schule. Bei der Frage, wessen Eltern in einem Chor mitmachen, meldet sich hier auch nur ein Mädchen. Immerhin: Die Begeisterung der Schüler, im Schulchor mitzumachen, ist sichtbar groß.

    Die Zahl der Kirchenchöre ist stark gesunken

    Egal ob weltlicher oder kirchlicher Chor: Die Probleme sind vergleichbar, sagt Pater Stefan U. Kling vom Amt für Kirchenmusik des Bistums Augsburg. Am ehesten funktionierten Projektchöre, die sich für eine begrenzte Zeit bilden. Aber es variiere von Ort zu Ort. Wichtig sei, Menschen anzusprechen, sie zu begeistern. Im Falle der Kirchenchöre müsse die Pfarrei dahinterstehen. „Es ist nicht einfach, aber ich will nicht schwarzsehen.“ Dabei ist die Zahl der Kirchenchöre im Bistum

    Schwarzsehen will auch Felicitas Mader nicht. Um für Jugendliche etwas zu bieten, hatte sie sich in den Pfarrgemeinderat wählen lassen. In Unterknöringen leitete die 30-Jährige eine Jugendgruppe, die Jugendstimme St. Martin, bis sie sie Ende 2016 wegen ihrer dritten Schwangerschaft beenden musste. Gut zehn Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren waren dabei, die auch in der Kirche und im Altenheim sangen. Zwar sei es schwer, Jugendliche zu begeistern und es seien auch nicht immer alle in den Gruppenstunden dabei gewesen – „sie haben so viele andere Aktivitäten“ –, aber alle hätten Spaß daran gehabt. Sie will die Gruppe auf jeden Fall reaktivieren.

    Weitermachen will auch der Gesangsverein Burgau. „Wir singen so lang, bis wir im Himmel sind und frohlocken“, meint Sänger Adolf Stark lachend. Und als Chorleiterin Rosi Benesch freundlich ermahnt, es solle bei einem Weihnachtslied fröhlich geschaut werden, meint er: „Früher waren wir halt in der Wirtschaft.“ In Burgaus Kernstadt gibt es kaum noch Lokale, die Platz für einen Chor haben. Auch hier stirbt ein Stück Tradition. Aber, da sind sie sich alle einig: Solange noch einer da ist, wird weiter gesungen.

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