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Kreis Günzburg: Hedwig Lachmann ist vor 100 Jahren gestorben

Kreis Günzburg

Hedwig Lachmann ist vor 100 Jahren gestorben

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    Hedwig Lachmann (geboren 29. August 1865, gestorben 21. Februar 1918) in einer undatierten Aufnahme aus Budapest (vor 1889).
    Hedwig Lachmann (geboren 29. August 1865, gestorben 21. Februar 1918) in einer undatierten Aufnahme aus Budapest (vor 1889). Foto: Sammlung Herbert Auer

    Hippiezeit. Der junge Dustin Hoffman, verliebt, geradezu losgelöst. „Die Reifeprüfung“ – das ist irgendwie seine Rolle, es ist sein großer Durchbruch als Schauspieler. Es gelingt ihm auch dank der glänzenden Regie im Hintergrund. Für „Die Reifeprüfung“ (1967) wird Regisseur Mike Nichols mit dem Oscar ausgezeichnet. Nichols ist in dieser Zeit so etwas wie der Mann der Stunde des großen Kinos. Bereits sein Debüt als Regisseur war glänzend und ist noch heute geradezu legendär: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1966) mit Richard Burton und Elizabeth Taylor. Nichols wurde in der Kategorie „Beste Regie“ für den

    Es sind glänzende Zeiten für Hollywood, auch für Mike Nichols selbst. Kaum jemand denkt in diesen Momenten daran, was Mike Nichols alles hinter sich gebracht hat, auch hinter sich lassen musste, um nach

    Symbol für das Ende einer Epoche

    Der Tod Hedwig Lachmanns ist so etwas wie ein Symbol für das Ende einer Epoche. Auch für das, was kommen sollte – und untrennbar mit dem Namen Hitler verbunden ist. Im Jahr 1918 erfasst eine schlimme Grippe-Epidemie den Kontinent. Millionen Menschen sterben. Darunter sind diesseits und jenseits der Fronten auch zahlreiche Intellektuelle, deren Geist für europäische Aufbruchstimmung stand. Manche hatten sich 1914 noch als Kriegsfreiwillige gemeldet wie der französische Dichter Guillaume Apollinaire (1880 bis 1918), dessen surreale Werke sich dann aber bald gegen die Grausamkeit des Krieges richten. Apollinaire fällt ebenso der Grippe zum Opfer wie der österreichische Maler Egon Schiele (1890 bis 1918). Der Schriftsteller Stefan Zweig wird während des Ersten Weltkrieges zum Kriegsgegner, später zu einem entschiedenen Gegner Nazi-Deutschlands. Er nimmt sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben. Ebenso wie Zweig ist auch Hedwig Lachmann jüdischer Herkunft. Gerade Intellektuelle aus jüdischen Kreisen hatten große Hoffnungen in ein geeintes, den Nationalismus überwindendes Europa gesetzt. Ihr Tod steht für das tragische Ende dieser Hoffnungen, er scheint das Unheil, das kommen sollte, ahnen zu lassen.

    „Vertraut und fremd und immer doch noch ich“ und „... auf Erden schon enthoben ...“: Die Titel zweier Lachmann-Bücher (von Armin Strohmeyr und Heinrich Lindenmayr, 2003 und 2006) lassen die komplexe Persönlichkeit Hedwig Lachmanns erahnen. Zeit ihres Lebens bleibt sie geradezu luftig mädchenhaft. Doch der Hauch der Jugend steht in einem ungewöhnlichen Kontrast zu ihrem intellektuellen, grüblerischen Tiefgang.

    Hedwig Lachmann wird 1865 als Tochter von Isaak Lachmann in Stolp/Pommern geboren. Isaak Lachmann übernimmt 1873 die Stelle des Kantors der jüdischen Gemeinde in Hürben. Nach Hürben: Es ist der Beginn einer Beziehung, die Hedwig Lachmann bis zu ihrem Tod prägen wird. Strohmeyr bringt dies in seinem Buch auf den Punkt: „Sie wird zeitlebens Hochdeutsch sprechen, den melodischen Dialekt der Bevölkerung nie annehmen; dennoch werden Krumbach und die sanft gewellte mittelschwäbische Landschaft sie prägen.“ Heinrich Lindenmayr umschreibt dies noch deutlicher: „Hier war ihre eigentliche Heimat, Hedwig Lachmann war Krumbacherin.“ Aber ist sie dort im Lauf ihres Lebens wirklich angekommen? In Hürben (Synagogengasse 3) wächst Hedwig Lachmann mit ihrer Schwester und vier Brüdern auf. Rasch zeigt sich ihre sprachliche Begabung. Im Alter von 15 Jahren legt sie in Augsburg ihr Examen als Sprachlehrerin ab, mit 17 geht sie als Erzieherin nach England. Zwei Jahre lebt sie in Budapest, sie lernt in dieser Zeit auch die ungarische Sprache. 1889 dann die Übersiedlung nach Berlin. Hier lernt sie schnell die Widersprüche ihrer Zeit kennen. Welche Rolle bleibt den Juden? Nationale Anpassung, nachdem ihnen seit 1871 endlich die formelle Gleichberechtigung zugestanden worden war? Oder kann der Weg nur Eigenständigkeit heißen in einer Zeit, in der des Kaisers Hofprediger Adolf Stoecker und der Historiker Heinrich von Treitschke das Wort Antisemitismus salonfähig machen? Vertraut und fremd: Hedwig Lachmanns Weg wird auch zum Sinnbild des Weges der deutschen Juden. Sie arbeitet als Hauslehrerin, bald aber schreibt sie auch Artikel für Zeitungen, sie übersetzt Werke ausländischer Schriftsteller wie etwa von Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“) und Edgar Allan Poe.

    Eine Beziehung im Verborgenen

    Die Liebesbeziehung mit dem verheirateten Schriftsteller Richard Dehmel bleibt Episode. 1899 lernt Hedwig Lachmann den jüdischen Literaten Gustav Landauer (geboren 1870 in Karlsruhe) kennen. Doch Landauer ist verheiratet und so wird auch diese Beziehung zunächst zu einer Beziehung im Verborgenen. 1901 versuchen die beiden in England einen neuen Anfang, 1902 aber kehren sie verarmt nach Deutschland zurück. Bemerkenswert ist, dass gerade in dieser turbulenten Zeit Hedwig Lachmanns schöpferische Kraft sichtbar wird. 1902 veröffentlicht sie den Gedichtband „Im Bilde“. Bereits 1900 war ihre Übersetzung von Oscar Wildes „Salome“ in der Wiener Rundschau erschienen. Richard Strauss verwendet diese Übersetzung als Libretto für seine 1905 in Dresden uraufgeführte gleichnamige Oper.

    Das Paar bekommt zwei Kinder

    1903 lässt sich Landauer scheiden, der Heirat der beiden steht jetzt nichts mehr im Wege. Das Paar bekommt zwei Kinder, Gudula und Brigitte. Beide bleiben schriftstellerisch aktiv, doch die Armut ist ein ständiger Begleiter ihres Lebens. Dramatisch verschärft sich die Lage mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914. Für Menschen, die an ein vereintes Europa glauben, ist kein Platz in dieser aufgeheizten Atmosphäre. Für Landauer und Lachmann werden die Kriegsjahre zur Leidenszeit. Hedwig Lachmanns Mutter Mina stirbt am 5. Februar 1917 in Hürben (1900 war bereits der Vater gestorben). Lachmann und Landauer kommen nach Krumbach-Hürben, sie beziehen die Wohnung der Mutter im jüdischen Schulhaus (unmittelbar westlich der Synagoge in der Synagogengasse). Hedwig Lachmann begegnet den Anfängen ihres Lebens – kurz vor ihrem Ende. Ihren tragischen Tod beschreibt Herbert Auer: „Als Walter Landauer, ein Neffe von Gustav, zur Armee eingezogen wurde, haben Hedwig und die Kinder ihn zum Bahnhof begleitet. Der Zug hatte aber mehrere Stunden Verspätung und die Wartehalle war nicht geheizt. Hier zog sich Hedwig eine starke Erkältung zu, die sich später als (...) Grippe herausstellte. Als noch eine Lungenentzündung dazu kam, war der zierliche, durch die Hungerjahre geschwächte Körper dieser Belastung nicht mehr gewachsen.“ Hedwig Landauer-Lachmann starb am 21. Februar 1918 und wurde in aller Stille und von der Bevölkerung fast unbeachtet auf dem israelitischen Friedhof in

    O Geist, dahingegeben – Der dunkelsten Gewalt – Wie sehnst du dich ins Leben, - Zurück in die Gestalt“.

    Ins Leben – die Sehnsucht nach Leben: Dafür steht auch das Werk ihres Enkels Mike Nichols. Das Lebenswerk Hedwig Lachmanns, für Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, erfuhr lange nach ihrem Tod doch noch eine umfassende Würdigung. Das ist nach all dem, was war, eine bemerkenswerte Botschaft.

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