Jeder hofft, dass die Pläne für den Fall der Fälle in der Schublade bleiben können. Doch sollte es im Atomkraftwerk Gundremmingen einen gravierenden Unfall geben und zu viel Radioaktivität nach außen gelangen, wäre das Landratsamt vorbereitet. Zumindest in der Theorie. Denn jede Eventualität durchzuspielen sei unmöglich, heißt es in der Behörde. Dazu zählt vor allem auch die Evakuierung der umliegenden Gebiete. „Das wäre nicht realistisch“, betont Christoph Langer, Leiter des Geschäftsbereichs für öffentliche Sicherheit und Ordnung. „Denn kann man beispielsweise so einfach Betriebe dafür schließen?“ Stattdessen würden regelmäßig kleinere Szenarien geübt – wie erst kürzlich im Landkreis Neu-Ulm der Betrieb einer Notfallstation, in der die Evakuierten auf ihre mögliche Verstrahlung überprüft und dekontaminiert werden können.
Die Pläne dafür werden weiter aktualisiert, auch wenn schon in ein paar Jahren die Stromproduktion im Atomkraftwerk endet. Bis dahin kann schließlich noch viel passieren, und radioaktives Material wird es erst einmal weiter am Standort geben. Derzeit werden die Erkenntnisse aus der Atomkatastrophe von Fukushima eingearbeitet, wozu auch die Vergrößerung der Außenzone auf einen Radius von 100 Kilometern gehört. Der Zentralbereich umfasst einen Umkreis von fünf Kilometern und soll innerhalb von sechs Stunden evakuiert sein, der mittlere 20 Kilometer. Er muss binnen 24 Stunden geräumt werden.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre vorher eine lange Kette von Meldungen an die Behörden ausgelöst worden und Messtrupps hätten die Lage erkundet. Das Umweltministerium hält sogar eigene Messstellen vor. Entscheidend ist auch, in welche Richtung der Wind weht. Je nachdem könnte das Landratsamt zumindest für die ersten Stunden seinen Krisenstab in der Außenstelle Krumbach einrichten. Unwägbarkeiten gibt es einige, doch schon jetzt steht fest: Einfach ist es nicht, so viele Menschen in Sicherheit zu bringen – alleine in einem Umkreis von fünf Kilometern leben knapp 15000 Menschen, in der Mittelzone sind es 156000. Im Fall der Fälle werde es wohl keine gesittete, ruhige Evakuierung geben, befürchten die Experten im Landratsamt. Konzepte dafür gibt es aber.
So geht die Behörde davon aus, dass sehr viele Menschen mit dem eigenen Wagen fahren. Eine Route führt dazu aus dem Evakuierungsgebiet, eine für Einsatzfahrzeuge hinein. Doch es sind auch Busse und Züge eingeplant. Wessen Zuhause unbewohnbar geworden ist, soll erst einmal in den touristischen Zentren im Süden Schwabens unterkommen, wo es viele Hotels und somit viele Betten gibt. Fremdenzimmer seien besser als Turnhallen. Jeder Landkreis muss 1400 Personen aufnehmen, kreisfreie Städte 1000. Da jeder registriert wird, können auch Familien zusammengeführt werden, deren Kinder etwa in der Schule waren und zunächst woanders untergebracht sind als die Eltern.
Weit mehr als 800000 Jodtabletten sind in der Zentralzone um das Kraftwerk in den Gemeinden sowie im Landratsamt gelagert, in den Feuerwehrhäusern würden sie dann an die Bevölkerung ausgegeben. Der Vorrat ist so groß, dass auch die wachsende Zahl der Flüchtlinge keine Probleme bereitet und auch sie versorgt werden könnten. Die Bürger würden mit Sirenen darauf aufmerksam gemacht, dass sie das Radio einschalten sollen. Denn darüber würden sie mit vorbereiteten Durchsagen informiert, wie sie sich verhalten sollen. Die Feuerwehr würde mit mobilen Lautsprechern durch die Orte fahren und die Polizei von Haus zu Haus gehen. Zusätzlich gibt es Broschüren, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert und an alle Haushalte verteilt werden. Im Fall einer solchen Katastrophe könnte auch die Bundeswehr eingesetzt werden.
Allerdings weiß eben niemand, wie die Bürger tatsächlich reagieren, sagt Roman Gepperth, im Landratsamt unter anderem für die Evakuierungsplanung zuständig. Und vor allem könne auch niemand vorhersagen, wie viele der eingeplanten Rettungskräfte überhaupt zum Einsatz kommen – und wie viele stattdessen versuchen, sich und ihre Familie in Sicherheit zu bringen. Das weiß auch Kreisbrandrat Robert Spiller nicht. Er sieht aber auch grundsätzliche Probleme bei einer Evakuierung: „Wer weg will, lässt sich nicht aufhalten.“
Das heißt auch: Weder würde sich wohl jeder registrieren lassen noch jeder Anweisungen folgen. „Deshalb war es schon schwierig, gerade einmal 1000 Leute in Sicherheit zu bringen, als vor ein paar Jahren in Günzburg eine Bombe entschärft wurde.“ Doch würde da nicht doch eine Übung helfen, die Bevölkerung vorzubereiten? Es sei wahrscheinlicher, sagt Spiller, dass die Bürger dadurch verunsichert würden. Sinnvoller sei es, sie zu informieren, was sie selbst tun können – etwa in Gebäude zu fliehen. Auch macht er sich mehr Gedanken über Atommeiler nahe der deutschen Grenzen, die unsicherer seien als die Gundremminger Anlage, und die gefährliche Fracht, die auf Straße und Schiene durch die Region rollt.
Im Fall der Fälle würden aber nicht nur Einheiten der Feuerwehr, sondern auch der Rettungsdienste eingesetzt, so wie das Rote Kreuz. Das hält Fahrzeuge und Ausrüstung für den Katastrophenfall vor, doch ein Teil des Materials sei bereits in die Jahre gekommen, sagt Rettungsdienstleiter Alexander Veith. Ersatz gebe es vom Land jedoch nur spärlich. Das führe auch dazu, dass nur wenige Notfallstationen in Bayern noch funktionsfähig seien, weil Ausrüstung fehle. Demnächst werde der Rettungsdienst mit der AKW-Mannschaft üben, wie Verletzte aus dem Kontrollbereich gebracht werden. Veith glaubt aber ebenso wenig wie Kreisbrandrat Spiller, dass im Ernstfall alle Einsatzkräfte in den Gefahrenbereich gehen würden. Die Chancen, den Betrieb einer Notfallstation zu gewährleisten, seien hingegen größer. Wer sich nicht direkt der Strahlung aussetzen muss, werde wohl eher zum Dienst kommen.
Die Broschüre zum Katastrophenschutz für das AKW finden Sie hier:
www.kkw-gundremmingen.de/ download/Ratgeber_Bevoelkerung.pdf