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Jettingen-Scheppach: Reiter in Jettingen meistern den Auflagenparcours mit einem Lächeln

Jettingen-Scheppach

Reiter in Jettingen meistern den Auflagenparcours mit einem Lächeln

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    Reitsport oder Notbewegung? An der Longe dirigiert Sophie Linder ihre Stute Deesse de Rueire über den Sandboden in der Jettinger Reithalle. Hindernisse darf die Reisensburgerin selbst zu Übungszwecken nicht aufbauen; das Sportverbot gilt auch für das Pferd als Sportler.
    Reitsport oder Notbewegung? An der Longe dirigiert Sophie Linder ihre Stute Deesse de Rueire über den Sandboden in der Jettinger Reithalle. Hindernisse darf die Reisensburgerin selbst zu Übungszwecken nicht aufbauen; das Sportverbot gilt auch für das Pferd als Sportler. Foto: Bernhard Weizenegger

    Die Frage nach dem Abstandsgebot oder ähnlichen, in Zeiten der Pandemie allgegenwärtigen Auflagen stellt sich an diesem sonnigen Januarmorgen nicht. Nur Sophie Linder befindet sich zu dieser frühen Stunde in der Reithalle des RFV Jettingen. Mit wachem Blick, ruhiger Hand und klaren Kommandos dirigiert die Springreiterin aus Reisensburg ihre achtjährige Selle-Francais-Stute Deesse de Rueire über den feinen Sand, der die 60 mal 22 Meter große Fläche bedeckt. Die „Göttin“ hat in Fachkreisen schon einige Zungenschnalzer ausgelöst, gilt in der Springreiter-Szene als ausbaufähiges Talent. Kein Wunder, dass die ehrgeizige Reiterin Großes vorhat mit dem Tier. „In ihrem Alter geht’s ja erst so richtig los“, sagt Linder mit einem liebevollen Blick auf die Stute. Den Zwei- bis Drei-Sterne-Bereich, also Prüfungen mit Hindernishöhen bis 1,45 oder 1,50 Meter, traut sie sich zusammen mit Deesse de Rueire in absehbarer Zeit zu. „Gerne auch international“, wie sie mit blitzenden Augen anfügt.

    Hindernisse darf Sophie Linder nicht aufbauen

    Dafür gilt es, fleißig zu sein – auf beiden Seiten des Sattels. Linder bemüht sich ideenreich um abwechslungsreiche Übungsformen, damit ihr Springpferd auch ohne Turnier-Auftritte Muskeln, Kondition und Geschmeidigkeit, sprich, seine sportliche Fitness, bewahrt. Gerne würde die 27-Jährige auch mal wieder springen, doch Hindernisse darf sie aufgrund des staatlich auferlegten Sportverbots momentan nicht aufbauen. „Damit fehlt den Pferden schon eine Aufgabe“, klagt Linder. Zwar entwickle jedes Paar über die Jahre eine Routine, „aber so, wie es sich im Augenblick darstellt, ist das nicht vorteilhaft, wenn man im Sport erfolgreich sein möchte“.

    Was die Deutsche Reiterliche Vereinigung empfiehlt

    Abseits der von Bundesland zu Bundesland teilweise abweichenden Vorgaben in Sachen Pandemiebekämpfung hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) ihren Mitgliedern jede Menge Handlungshilfen gegeben. Zu Kernpunkten ihres Hygiene- und Infektionsschutzmanagements zählen:

    Zeitbudget Alle Beteiligten sind dringend aufgefordert, ihre Anwesenheitszeiten auf der Anlage „auf ein notwendiges Maß“ zu begrenzen. Zusätzlich muss aufgrund staatlicher Vorgaben die Zahl der Pferde, die in einem Stalltrakt gleichzeitig gepflegt werden, so klein wie möglich gehalten werden.

    Dokumentation Um mögliche Ansteckungsketten im Nachhinein verfolgen zu können, sollen die Betreiber der Anlagen eine nachvollziehbare Dokumentation des gesamten Personenverkehrs erstellen. Die FN schlägt vor, einen Ansprechpartner im Stall oder im Verein zu benennen, der für die Überwachung aller Vorgaben verantwortlich ist und eventuell vorhandene Wissenslücken anderer Anwesender beratend füllen kann.

    Höchstgrenzen Auf Reitanlagen und in Reithallen ist die Zahl der Anwesenden so zu begrenzen, dass jedes Mensch-Pferd-Paar etwa 200 Quadratmeter Fläche zur Verfügung hat. In die Überlegungen zum Abstandhalten einbeziehen müssen alle Verantwortlichen laut FN die Vorgabe, dass bei Bedarf die Versorgung durch Tierärzte und Hufschmiede gewährleistet sein muss.

    Die Begegnung mit Sophie Linder rückt eine Frage ins Blickfeld, die ambitionierte Pferdefreunde derzeit in der Tagesgestaltung umtreibt wie keine zweite: Ist das jetzt Reitsport oder gilt das als notwendiges Bewegen von Pferden aus zwingenden Gründen des Tierschutzes? So harmlos, je nach Sichtweise womöglich gar belanglos dieses Thema inmitten einer weltumfassenden Pandemie scheinen mag, so transportiert es doch viel Diskussionsmaterial, um nicht zu sagen Zündstoff. Denn die bayerische Staatsregierung balanciert mit ihrer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung auf einem arg schmalen Grat zwischen (verbotener) Nutzung von Sportanlagen inklusive aller Unterrichtsformen im Innen- und Außenbereich, (erlaubter) Bewegung an der frischen Luft unter dem Vorbehalt, dass sie allein, zu zweit oder mit Angehörigen des gleichen Hausstands erfolgt, sowie (notwendiger) Förderung hoch entwickelter Lebewesen. Wobei der letztgenannte Punkt zusätzliche Bedeutung durch den Sachverhalt erfährt, dass Tiere wie Deesse de Rueire selbst Sportler sind und auf Dauer ihre Eignung für höhere Turnier-Aufgaben und damit nicht unwesentlich ihren wirtschaftlichen Wert einbüßen, wenn ihr Potenzial brachliegt.

    Ein unauflösbares Dilemma

    Aus alledem ergibt sich für die Reiterei als Sportdisziplin ein an sich unauflösbares Dilemma. Denn niemand benötigt allzu viel Fantasie für die Feststellung, dass eine messerscharfe Trennung zwischen „das Pferd bewegen“ und „keinen Reitsport betreiben“ ein frommer Wunsch bleiben muss.

    Auf die Frage, wie mit den Herausforderungen der Gegenwart umzugehen ist, reagiert Anton Vogel im ersten Moment mit einem wortlosen und dennoch vielsagenden Schulterzucken. Als Zweiter Vorsitzender des RFV Jettingen fällt ihm nun schon für eine längere Zeitspanne die Aufgabe zu, einerseits staatliche Vorgaben möglichst buchstabengetreu umzusetzen sowie andererseits etwa 40 Pferde in Form und knapp 300 Mitglieder bei Laune zu halten. Reibungslos funktioniert das seit einer ganz kurzen Gewöhnungsphase bei den grundsätzlichen Dingen, berichtet er. So sind alle Beteiligten dringend aufgefordert, ihre Anwesenheitszeiten auf der Anlage auf ein notwendiges Maß zu begrenzen.

    200 Quadratmeter pro Paar sind Pflicht

    Zudem legen die Auflagen fest, dass jedes Mensch-Pferd-Paar in einer Reithalle 200 Quadratmeter zur Verfügung haben muss – bei gleichzeitiger Einhaltung des Mindestabstands zwischen den anwesenden Personen und verbunden mit der Extra-Betonung: „Sämtliches soziale Miteinander der Reiter ist zu vermeiden.“ Für die Halle am Triebweg in Jettingen, die eine Reitfläche von 1320 Quadratmetern bietet, bedeutet das: Bei sechs Paaren ist Schluss. „Sollte ein Siebter dazu kommen, muss der warten, bis ein anderer die Halle verlässt“, führt Vogel aus. Um derartige Zusammentreffen zu vermeiden, bedarf es einer gewissen Logistik. In Reiterkreisen wird deshalb eine App verwendet, die wie ein Terminkalender funktioniert und in der jedes Vereinsmitglied seine Anwesenheitszeiten eintragen kann.

    Eine Sache des Einfühlungsvermögens

    Unterdessen kümmert sich Sophie Linder bereits fürsorglich um das nächste ihrer insgesamt drei Pferde im Stall des RFV Jettingen. Ein riesiger Kraftaufwand sei das Ganze nicht, schildert Linder, „es hat viel mehr mit Gespür und Einfühlungsvermögen zu tun“. Und es ist auf alle Fälle eine zeitfressende Leidenschaft. „Alle drei Tiere zu reiten, dauert täglich viereinhalb bis fünf Stunden. Dazu kommen insgesamt zwei Stunden an der Longe.“

    Dennoch versorgt die 27-Jährige ihre Tiere selbst, wann immer es geht. „Weil ich meine Pferde liebe und sehe, dass ein gutes Ergebnis rauskommt, wenn ich mich um sie kümmere.“

    Lesen Sie auch:

    Wie geht der RFV Jettingen mit den Vorgaben um? Ein Interview mit Anton Vogel

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