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Interview: Warum ist die Corona-Inzidenz im Landkreis Günzburg so hoch?

Interview

Warum ist die Corona-Inzidenz im Landkreis Günzburg so hoch?

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    Dr. Patrick Dudler ist der Leiter des Gesundheitsamts und fachlich der oberste "Corona-Bekämpfer" im Landkreis Günzburg.
    Dr. Patrick Dudler ist der Leiter des Gesundheitsamts und fachlich der oberste "Corona-Bekämpfer" im Landkreis Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Der Landkreis Günzburg ist aktuell mit einer Inzidenz von 155,9 derLandkreis unter allen 71 bayerischen Landkreisen mit der höchsten Sieben-Tage-Inzidenz. Im bundesweiten Vergleich liegt man unter den Stadt- und Landkreisen auf Rang acht – gehört also zu den Top Ten in Deutschland, wobei niemand auf dieser Corona-Rangliste vorne stehen möchte. Wie konnte es dazu kommen?

    Dr. Patrick Dudler: Das hat unterschiedliche Ursachen: Zum einen sehen wir hier eine Verschiebung. Vor ein paar Wochen waren wir noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Zu dem Zeitpunkt waren andere Landkreise sehr stark betroffen. Darüber hinaus haben wir viele Fälle innerhalb von Familien. Ein großer Teil derer, die dann positiv werden, sind bereits bekannt und tauchen auch entsprechend in der Statistik auf. Gerade im privaten und familiären Bereich gelten viele strenge Vorschriften wie Masken nicht, die Nähe ist zudem größer. So werden viele Infektionen weitergegeben.

    Landratsamt Günzburg: So läuft die Kontaktnachverfolgung

    Es wird seit Wochen von Vertretern der Kreisverwaltungsbehörde (etwa dem Gesundheitsamt) von einem „diffusen Geschehen“ im Landkreis gesprochen. Das hört sich so ähnlich an wie: Genaues weiß man nicht. Hat das Landratsamt die Corona-Bekämpfung noch im Griff? Ist die Datenlage so dürftig? Klappt die Nachverfolgung noch?

    Dudler: Die Kontaktnachverfolgung ist im Landratsamt sehr gut organisiert. Wir können jeden Kontakt abfragen und nachverfolgen. Wir arbeiten jeden bekannten Fall unverzüglich ab. Es bleiben keine Fälle liegen. Das „diffuse Geschehen“ bezieht sich auf die Verteilung der Fälle im Landkreis. Es besteht keine längerfristige Häufung in einzelnen Orten.

    Das ist die Ausgangslage

    Lange Zeit lag der Landkreis Unterallgäu mit der Sieben-Tage-Inzidenz höher als der Kreis Günzburg. Doch auch das gehört der Vergangenheit an. Am 21. Mai 2021 ist der heimische Landkreis tatsächlich unter den 71 derjenige in Bayern, der mit der Höhe des Inzidenzwertes (155,9) an erster Stelle steht. Nur zwei kreisfreie Städte, nämlich Memmingen (235,8) und Schweinfurt (164,7) haben - auf 100.000 Einwohner gerechnet - noch mehr Menschen, die sich innerhalb der vergangenen sieben Tage mit dem Coronavirus in Bayern infiziert haben. Der bayernweite Durchschnittswert liegt übrigens bei 66,9. Mit 155,9 nimmt der Landkreis Günzburg am Freitag bundesweit Rang acht ein. Der Kreis Günzburg und Nachbarlandkreise bilden im Freistaat das größte Konglomerat von Gebietskörperschaften mit hohen Inzidenzwerten, wie ein Blick auf die Deutschlandkarte des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigt. Die dunkelrote Färbung auf der Karte bedeutet, dass der Wert über 100 liegt.

    Zahlreiche Online- und Print-Leser unserer Zeitung fragen sich, warum die Inzidenz im Kreis Günzburg so hoch ist. Wir haben deshalb am Freitagvormittag Fragen zusammengestellt und dem Landratsamt signalisiert, dass wir am selben Tag gerne Antworten darauf hätten. Dem Landratsamt wurden die Fragen kurz nach 12 Uhr zugemailt, drei weitere Fragen dann wenige Minuten vor 13 Uhr. Bis 15.30 Uhr war zur Beantwortung Zeit, was der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Patrick Dudler, in Zusammenarbeit mit Behördensprecherin Jenny Schack übernommen hat.. Gerne hätten wir noch nachgehakt, was bei einem mündlichen Interview üblich ist. Doch um am Freitag überhaupt noch Antworten zu erhalten, haben wir die schriftliche Form gewählt. (ioa)

    Werten sie Ansteckungsfälle besonders schnell als solche? Wird hier penibler gearbeitet als andernorts?

    Dudler: Wir arbeiten präzise. Jeder Fall wird bearbeitet. Ansteckungsfälle tauchen, wenn sie bekannt sind, in der Statistik auf. Eine „besonders schnelle Wertung“ gibt es nicht. Wer nachweislich positiv getestet ist, wird als Fall gewertet.

    Gesundheitsamtschef Dudler: "Wir sehen überall Infektionen"

    Warum ist beispielsweise unter den Gemeinden und Städten im Landkreis Günzburg mit aktuell angesteckten elf Personen die Fallzahl in Rettenbach so hoch? Und was ist in Günzburg mit 77 Positiv-Befunden? Muss befürchtet werden, dass die Fallzahl dort bald dreistellig wird? Woran liegt’s, dass sie jetzt schon so hoch ist?

    Dudler: Aus dem Infektionsgeschehen einzelner Orte kann nicht auf andere Orte geschlossen oder hochgerechnet werden.

    Haben bestimmte soziale Schichten aufgrund ihres Verhaltens ein höheres Ansteckungsrisiko? Falls ja, um welche Bevölkerungsgruppen handelt es sich und was ist zu tun?

    Dudler: Die Bevölkerungsstruktur im Landkreis Günzburg ist heterogen. Wir sehen überall Infektionen. Sie lassen sich nicht klar abgrenzen oder eingrenzen auf Altersgruppen, soziale Schichten oder Migrationshintergrund. Betroffen sind vor allem Familien.

    Belasten zum Beispiel Patienten mit Wohnsitzen in anderen Landkreisen, die in Krankenhäusern im Landkreis Günzburg untergebracht sind, die hiesigen Pandemiezahlen oder sind diese Personen statistisch nicht enthalten?

    Dudler: Sie zählen nicht in unsere Landkreis-Statistik und tauchen nicht in der Inzidenz auf. Hier geht es nach Wohnort. Wir melden an die zuständigen Behörden vor Ort. Natürlich fällt vorher und im Nachgang bei uns Arbeit an, wie zum Beispiel Kontaktpersonennachverfolgung.

    Corona im Kreis Günzburg: Warum ist die Inzidenz so hoch?

    Wenn sich denn so vieles im privaten Bereich angeblich abspielt? Sind die Günzburger sorgloser im Umgang mit Schutzmaßnahmen? Werden Pandemievorschriften nicht so befolgt?

    Dudler: Das können wir nicht beurteilen. Uns wird lediglich ein positiver Test zur Kenntnis gebracht. Über das Verhalten können wir keine Aussagen machen. Wir gehen aber davon aus, dass das Verhalten normalverteilt ist.

    In der Landeshauptstadt München haben sich aktuell 765 Menschen in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt. Im Landkreis sind es 198. Aber natürlich ist die Münchner Bevölkerungszahl mit 1,48 Millionen um ein Vielfaches größer als im Landkreis Günzburg. Es ist etwa der Faktor 11,6. Wenn man diesen auf die Corona-Ansteckungen anwendet und hochrechnet, dann würde die Günzburger Zahl für München 2300 Fälle bedeuten und nicht die tatsächlichen 765. Was sagen Sie dazu?

    Dudler: Offenkundig haben wir derzeit eine höhere Inzidenz.

    Werden Vorschriften hier zu lax umgesetzt? Wird zu lasch kontrolliert?

    Dudler: Die Rückmeldungen an unser Amt zeigen, dass wir durchaus unsere Aufgabe ernst nehmen.

    Ist der Impffortschritt zufriedenstellend?

    Dudler: Wir würden uns mehr Impfstoff wünschen. Die Kapazität, diesen zu verimpfen, hätten wir. Die Impfzentren sind sehr gut aufgestellt. Da geht es uns wie derzeit allen Landkreisen.

    Wie ist die Perspektive für den Landkreis Günzburg?

    Die Menschen wollen ihre Rechte wieder zurück und ein normales Leben führen. Haben Sie Verständnis dafür, wenn der Ärger hier wächst, weil im Landkreis wegen der Inzidenz nicht möglich ist, was an den meisten anderen Orten in Bayern geht (zum Beispiel einkaufen gehen, gastronomische und kulturelle Angebote nutzen, Sport ausüben)?

    Das hat Landrat Hans Reichhart in einem Video am Freitag gesagt:

    Der Landrat wünscht frohe Pfingstfeiertage

    In einem Facebook-Video, das auf der Seite des Landratsamtes Günzburg am Freitagnachmittag veröffentlicht worden ist, bedauert Landrat Hans Reichhart das Infektionsgeschehen im Kreis Günzburg, "das wir uns alle nicht wünschen". An Ostern habe man mit den Werten deutlich besser gelegen als viele andere Landkreise und es sei im Vergleich zu anderen auch mehr möglich gewesen. Jetzt ist es genau umgekehrt. "Wir sind später in die dritte Welle hineingekommen, jetzt kommen wir leider später wieder heraus." Die Ansteckungen mit dem Virus seien "sehr diffus", träten überall im Kreisgebiet auf. Der Landrat wünschte in dem gut zwei Minuten langen Video frohe Pfingsten und rief dazu auf, sich noch ein bisschen zusammenzureißen und sich weiterhin mit den Kontakten ein wenig einzuschränken, um eine Perspektive zu bekommen. (ioa)

    Dudler: Wir dokumentieren die Infektionen, wir machen sie nicht. Wir würden uns alle wünschen, dass das Infektionsgeschehen konstant nach unten zeigt. Hier herrscht unsererseits vollstes Verständnis.

    Welche Perspektive können Sie der Bevölkerung im Landkreis Günzburg geben?

    Dudler: Wir haben Hoffnung, dass sich auch bei uns die Fallzahlen nach unten entwickeln. Beeinflussen können wir dies nicht.

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