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Interview: Interview mit IHK-Regionalvorsitzendem Hutter: "Der Handel ist zutiefst enttäuscht."

Interview

Interview mit IHK-Regionalvorsitzendem Hutter: "Der Handel ist zutiefst enttäuscht."

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    Hermann Hutter, hier vor einem Teil der Spieleauswahl seines Verlages, kann auf Knopfdruck lächeln. Aber eigentlich ist ihm gar nicht zum Lachen zumute. Denn der zweite Lockdown setzt auch seinem Geschäft zu. Das, was nicht erwirtschaftet werden kann, ersetzt der Staat nur zu einem Bruchteil, sagt er.
    Hermann Hutter, hier vor einem Teil der Spieleauswahl seines Verlages, kann auf Knopfdruck lächeln. Aber eigentlich ist ihm gar nicht zum Lachen zumute. Denn der zweite Lockdown setzt auch seinem Geschäft zu. Das, was nicht erwirtschaftet werden kann, ersetzt der Staat nur zu einem Bruchteil, sagt er. Foto: Till Hofmann

    Herr Hutter – es hat sich ja schon seit Längerem angedeutet, dass wir das bekommen werden, was wir seit Mittwoch haben: einen zweiten Lockdown. Und dass davon der Einzelhandel nicht komplett ausgenommen wird, war ja auch irgendwie klar.

    Hermann Hutter: Das stimmt schon. Ich will auch nicht als grundsätzlicher Kritiker dastehen. Und natürlich haben es die Politiker nicht leicht. Die sitzen irgendwie zwischen allen Stühlen und können es niemandem recht machen. Ich weiß außerdem, dass es darum geht, eines der wertvollsten Güter überhaupt – die Gesundheit der Menschen – zu schützen, und das liegt mir sehr am Herzen. Dennoch muss es bei den Maßnahmen gerecht zugehen. Und diesen Eindruck habe ich eben nicht.

    Erklären Sie das bitte.

    Hermann Hutter: Der Handel ist zutiefst enttäuscht. Anfang September verlautbarte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch in der Bild-Zeitung: Mit dem Wissen, das man heute über das Coronavirus habe, würde man den Einzelhandel nicht mehr schließen. Zehn Wochen später sieht alles anders aus. Überhaupt scheint es mit dem Wissens-Zugewinn in der Politik recht langsam voranzugehen. Jetzt werden über Apotheken an Menschen, die als besonders schützenswert eingestuft werden, FFP2-Masken abgegeben. Hätte man so etwas nicht schon viel früher machen können, ja machen müssen? Das geschieht nun elf Monate nach Beginn der Pandemie.

    Sie klingen verärgert. Woran entzündet sich dieser Ärger denn am meisten?

    Hermann Hutter: Da gibt es mehrere Punkte. Der Handel hat viel in Hygienemaßnahmen gesteckt – mit gutem Ergebnis: beispielsweise das Textilhandelsunternehmen Ernsting’s Family, 1800 Filialen mit 10000 Verkäuferinnen. Zwei davon waren positiv – das ist massiv geringer, als es die durchschnittliche Ansteckungsrate in der Bevölkerung ist. Der Einzelhandel mit seinen Hygienekonzepten ist also kein Hotspot.

    Einzelhändler sollen nicht sehenden Auges bankrottgehen

    Es geht jetzt einfach generell darum, Kontakte so weit wie möglich herunterzufahren.

    Hermann Hutter: Das mag schon sein. Aber ich denke nicht, dass die Einzelhändler zuschauen sollten, wie sie sehenden Auges bankrottgehen. Nehmen Sie doch mal den Textil- und den Schuhhandel. Da gibt es, nachdem bereits im Frühjahr sechs Wochen zugemacht werden musste, seit Monaten zwischen 30 und 50 Prozent Umsatzeinbußen. Das hat natürlich auch mit Homeoffice zu tun. Zu Hause tut’s zur Not auch ein Jogginganzug. Außerdem haben dieses Jahr einfach die Kaufanlässe gefehlt, sich entsprechend oft festlich zu kleiden, nachdem vieles untersagt oder begrenzt war. Während andere Branchen das deutlich geringere Geschäft des Frühjahrs teilweise ausgleichen konnten, war das im Textilbereich nicht der Fall. Und jetzt – mitten im Weihnachtsgeschäft – folgt die zweite Zwangspause. Um nur mal eine Zahl zu nennen: In vielen Branchen wird in den wenigen Wochen vor und nach Weihnachten etwa 40 Prozent des Jahresumsatzes gemacht, die jetzt in Teilen fehlen.

    Der Staat entzieht sich aber nicht seiner Verantwortung und gibt Hilfestellung.

    Hermann Hutter: Die Frage ist nur, wie hoch die Hilfe ausfällt. Die Gastronomie ist da zum Beispiel in den Fokus gerückt. Wenn drei Viertel des Umsatzes vom Staat erstattet werden, die der Gastronom im November und Dezember 2019 erzielt hat, dann ist das ein Wort. Mit der Größenordnung der Soforthilfen, die uns in Aussicht gestellt werden, hat das nichts zu tun. Der Einzelhandel im Non-Food-Bereich erhält vom Staat nur Fixkostenzuschüsse, die in der Regel zwischen fünf und zehn Prozent des Umsatzes, den er verliert, ausgleichen. Mit anderen Worten: Die Gastronomie steht ungefähr um den Faktor 10 besser da als wir, wenn es um eine Kompensation des Staates wegen der erzwungenen Schließungen geht. Gegen diese Ungleichbehandlung werden vermutlich viele klagen.

    Hermann Hutter: Geistige Nahrung scheint nicht so viel wert zu sein

    Gibt es weitere Ungerechtigkeiten?

    Hermann Hutter: Die gibt es. Jetzt nehme ich mal meine Geschäfte her: Der Schreibwaren- und Geschenkeladen musste schließen, während andere Geschäfte geöffnet haben, die durchaus veritable Schreibwarenabteilungen unter ihrem Dach haben. Ist das gerecht? Buchläden dürfen in Bayern ebenfalls nicht mehr öffnen. Und dann wurde uns auch noch quasi über Nacht untersagt, eine Abholmöglichkeit anzubieten, wie das im Frühjahr noch der Fall war. Die Ansage nur wenige Stunden vorher, was wir nicht mehr dürfen, befremdet mich. Inhaltlich empfinde ich das ohnehin als unnötig. Denn Speisen dürfen in Restaurants abgeholt werden – und da ist das Zeitfenster oftmals nicht so breit geöffnet wie bei uns. Die geistige Nahrung aber scheint nicht so viel wert zu sein. Dabei gibt es durchaus Menschen, die Bücher etwa für Prüfungen benötigen. Wir könnten ausliefern, was wir auch an einzelnen Tagen machen. Allerdings können wir nicht wegen eines Buches in jeden Ort fahren. Das rechnet sich gar nicht mehr. Oder der Kunde bestellt online bei den Großen und der Einzelhandel vor Ort bleibt außen vor.

    Haben Sie den Online-Handel nicht auch in Günzburg so forciert?

    Hermann Hutter: Das ist schon richtig. Aber das geht nicht von heute auf morgen, dass alles umgestellt wird – vor allem nicht bei kleinen Unternehmen, die vielleicht bislang wenig Erfahrung damit hatten. Und es gibt durchaus Verbraucher, die sich im Internet über ein Produkt ausgiebig informieren, um es dann im stationären Handel zu kaufen. Die wollen zu uns, dürfen aber nicht. Der Einzelhandel wird zukünftig mehrere Verkaufskanäle haben, um die Kunden mit ihren individuellen Bedürfnissen abzuholen.

    Kulturgut Buch wird in Berlin als systemrelevant erachtet

    Wenn wir noch kurz bei den Buchhandlungen bleiben: Die sind eines von mehreren Beispielen für das Prinzip „Andere Bundesländer, andere Sitten“. Denn in Berlin sind die Buchläden sehr wohl geöffnet.

    Hermann Hutter: Auch daran sieht man, wie willkürlich etwas gehandhabt wird. Offenbar wird das Kulturgut Buch in Berlin als systemrelevant erachtet und damit auch die Orte, an denen es ver- und gekauft wird.

    Welche Folgen fürchten Sie insgesamt?

    Hermann Hutter: Wir werden aufpassen müssen, dass nicht viele Läden schließen und Innenstädte veröden. Die Gefahr ist real. Wenn der Handel mit seinen 3,1 Millionen Beschäftigten in bestimmten Bereichen kaum mehr etwas verkauft, wird auch die Industrie bald vieles nicht mehr produzieren müssen – mit den entsprechenden Konsequenzen.

    Hermann Hutter, 57, ist unter anderem Vizepräsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE) und IHK-Regionalvorsitzender.

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