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Interview: „Ich neige nicht dazu, Panik zu verbreiten“

Interview

„Ich neige nicht dazu, Panik zu verbreiten“

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    In seinem Keller, der auch Übungsraum für das Musizieren ist, zog der Musiklehrer Stefan Baldauf während der 14-tägigen Hausquarantäne ein, getrennt von Frau und Sohn.
    In seinem Keller, der auch Übungsraum für das Musizieren ist, zog der Musiklehrer Stefan Baldauf während der 14-tägigen Hausquarantäne ein, getrennt von Frau und Sohn. Foto: Bernhard Weizenegger

    Können Sie das Wort „Corona“ überhaupt noch hören, ohne dass Sie gleich Ohrensausen bekommen?

    Es ist jetzt nicht so schlimm, dass es mich aufregt. Es ist einfach das Thema, das momentan die Welt in Atem hält. Insofern bin ich da noch nicht abgestumpft.

    Besteht die Gefahr des Abstumpfens?

    Ich denke schon in gewisser Weise. Corona kann man in der öffentlichen wie in der veröffentlichten Diskussion nicht entfliehen. Man muss sich aber vor Augen führen: Es geht um einen massiven Einschnitt in die gegenwärtige Lebenssituation. Sich darüber gewisse Gedanken zu machen, zu reden, das ist doch ganz normal.

    Sie waren der erste bekannt gewordene Corona-Infizierte im Landkreis Günzburg. Wie ist es dazu gekommen?

    Ich war mit meiner Familie – also mit Frau und Sohn – in Südtirol beim Skifahren. Das war in den Faschingsferien von Sonntag bis Freitag. Am 29. Februar waren wir wieder zu Hause. Dort sind wir ganz normal in den Schulalltag gestartet. Mein Sohn geht in die vierte Klasse Grundschule, meine Frau ist in der musikalischen Früherziehung im Kindergarten tätig und Dozentin an der Berufsfachschule für Musik in Krumbach. Ich habe für die Musikvereine

    Wie ging’s dann weiter?

    Sie ging zur Anmeldetheke. Die Damen an der Rezeption waren sehr erschrocken. Die Ärztin meinte: Solange meine Frau keine Symptome hat, muss sie sich keine Gedanken machen. Da meine Frau sehr verantwortungsbewusst ist und auf Nummer sicher gehen wollte, hat sie sich gleich in der Praxis auf eigene Kosten untersuchen lassen – und für mich und unseren Sohn jeweils ein Test-Set mitgenommen. Am Samstag ist sie von der Ärztin angerufen worden. Ergebnis: Ihr Test war negativ. Für meinen Sohn und mich konnte der Rachenabstrich erst am Montag abgegeben werden. Für den Freitag war es bereits zu spät. Noch am selben Tag erfuhren wir, dass der Test unseres Kindes negativ war. Am Dienstagvormittag so um Neun, halb Zehn hat die Ärztin wieder angerufen und mein Ergebnis mitgeteilt. Es war positiv. Ich war zu Hause im Büro, als meine Frau den Anruf entgegennahm.

    Was war Ihr erster Gedanke?

    So in die Richtung: das kann ja gar nicht sein. Wir waren in der Urlaubswoche immer miteinander unterwegs; erst als der Schulalltag wieder losging, war es jeder für sich. Ich stelle mir schon die Frage, wie und bei wem ich mich angesteckt habe. Ich bin bis heute nicht draufgekommen.

    Erzählen Sie bitte, was nach der Ansteckung mit dem Virus alles passiert ist.

    30 Minuten nach der Ärztin hat das Gesundheitsamt angerufen. Die Dame am Telefon hat mich über die weitere Vorgehensweise informiert: Dass ich nun 14 Tage in Quarantäne müsse, meine Frau und mein Sohn ebenso. Ich sollte eine Liste von Personen erstellen, mit denen ich zwischen dem 2. und 9. März Kontakt hatte. Ich habe einfach meinen Stundenplan als Musiklehrer hergenommen. Dazu kam ein Massagetermin, Sporttraining am Montag. Das war’s eigentlich schon.

    Was war mit Ihren musikalischen Verpflichtungen?

    Da muss ich zeitlich wieder einen Schritt zurückgehen. Nachdem wir am Freitag davon erfahren haben, dass Südtirol Risikogebiet ist, haben wir Veranstaltungen am 6. und 7. März in Freising und bei Nürnberg gemeinsam mit den Organisatoren vor Ort abgesagt und auch sofort die Günzburger Musikschule informiert. Ich hätte am 7. März ein Schülerkonzert in der

    Waren Sie jemals in Quarantäne?

    Nee. Ich hatte keine Ahnung, wie häusliche Quarantäne abläuft. Man weiß ja, dass man isoliert wird. Wir haben eine glückliche Wohnsituation in einem Einfamilienhaus. Im Keller sind die Büros und ist ein Proberaum für das Schlagzeugspielen. Im Erd- und im Obergeschoss ist jeweils ein Bad. Für den Privatunterricht muss man nicht durch den Wohnbereich, um in den Keller zu gelangen. Es gibt einen separaten Abgang. Das war nun sehr hilfreich. Ich hab mir eine Matratze geholt, ein paar T-Shirts, Socken und Unterhosen. Der Kellerraum ist so um die 15 Quadratmeter groß, glücklicherweise mit Fenster. Und ich hatte Internetanschluss. Vom häuslichen Leben habe ich nicht mehr viel mitgekriegt.

    Haben Sie sich krank gefühlt?

    Überhaupt nicht. Ich hatte keinerlei körperliche Beschwerden. Insofern war diese Gefahr noch nicht einmal richtig greifbar.

    Wie wurden Sie verpflegt?

    . Wir wollten es richtig machen. Meine Frau hat gekocht, oben auf die Kellertreppe das Essen gestellt. Ich habe es dann geholt – mit Abspülhandschuhen bewaffnet. Meine Frau rief zuvor mit dem Mobiltelefon an. Später haben wir auf dem Tablet Skype installiert und Videotelefonie gemacht. Jeden Abend hat sich die Familie an der Treppe getroffen: Die beiden oben, ich unten. So haben wir von unseren Tagen erzählt.

    Wie waren Ihre Erfahrungen? Was hat sich alles im Alltag geändert?

    Man hat keinen Alltag mehr. Nachdem wir von meinem positiven Corona-Testergebnis erfahren hatten, war die Welt schlagartig anders. Ich war aber auch froh, dass ich und kein anderes Familienmitglied direkt mit dem positiven Resultat konfrontiert war. Denn ich neige nicht dazu, Panik zu verbreiten oder in Angstzustände zu verfallen.

    Und als die 14 Tage Quarantäne vorbei waren?

    Da bin ich in Ichenhausen in der eingerichteten Abstrichstation zweimal vorstellig geworden, weil man nach einem Positiv-Befund zwei negative Tests benötigt.

    Haben Sie Ablehnung erfahren?

    Nein. Klar habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob man mir die Schuld dafür geben könnte, dass es jetzt in Günzburg Corona gibt. Das ist irrational. Ich war der erste bekannte Fall. Das Dunkelfeld ist groß. Ich kenne mich mit Viren nicht aus. Deshalb war es mir ein regelmäßiger Austausch wichtig, beispielsweise mit Joe Gleixner, dem Chef der Städtischen Musikschule in

    Auch als Sie wieder gesund waren, waren Sie bis vor kurzem als Musiklehrer noch erheblich eingeschränkt.

    Dann ging’s erst richtig los. Ich hatte Corona hinter mir. Aber dann kam ja erst der Lockdown. ich ging für die komplette Family zum Einkaufen – für meine Leute, die Schwiegermama, die Tante; mit drei Einkaufszetteln in der Tasche.

    Haben Sie Ihr Verhalten, Ihre Lebensweise geändert? Ist etwas plötzlich wichtig, das noch vor wenigen Wochen unbeachtet geblieben ist?

    Das ist eine gute Frage. (Denkt lange nach.) Wenn man sagt „Nein“, ist es wohl nicht richtig. Aber ich wüsste wirklich nicht, was sich verändert haben sollte. Familie und Gesundheit war vor Corona schon wichtig. Zuhause bauen wir eigenes Gemüse an, essen wenig Fleisch, wir kochen selbst. Das war vorher bereits der Weg, dessen Richtigkeit sich jetzt vielleicht bestätigt.

    Wenn Sie zurückblicken auf die bislang elf Wochen Ihres Lebens seit Anfang März: Welche Überschrift würden Sie diesem Corona-Kapitel geben?

    Das kann ich jetzt nicht auf den Punkt bringen. Aber diese Zeit hat mich gefestigt, da ich trotz der sozialen Distanz im engeren Kontakt mit Schülern, Eltern und meiner Familie stand, über die Situation sprechen konnte. Es ist tatsächlich etwas persönlicher geworden. Interview: Till Hofmann

    52, Vater eines zehnjährigen Sohnes, ist Musiklehrer und Berufsmusiker. Seit 11. Mai gibt er wieder Präsenzunterricht. Mit seiner Frau spielt er in den zwei Bands „Zydeco Annie“ und „Orchestra Mondo“.

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