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Interview: AKWs wie Gundremmingen weiter laufen lassen? "Das Thema ist gegessen"

Interview

AKWs wie Gundremmingen weiter laufen lassen? "Das Thema ist gegessen"

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    Gundremmingens früherer Bürgermeister Wolfgang Mayer (links) und Thomas Wolf von der Mahnwache.
    Gundremmingens früherer Bürgermeister Wolfgang Mayer (links) und Thomas Wolf von der Mahnwache. Foto: Christian Kirstges

    Herr Mayer, während Ihrer 18 Jahre als Bürgermeister von Gundremmingen haben Sie sich immer für die Atomkraft eingesetzt. Ende nächsten Jahres wird das Kraftwerk in Ihrem Ort abgeschaltet. Wie sehr tangiert Sie das noch persönlich, sechs Jahre nach dem Ende Ihrer Amtszeit?

    Wolfgang Mayer: Ich könnte das jetzt einfach abschmettern und sagen, es geht mich nichts mehr an. Aber mich schmerzt das schon. Ich bin Jahrgang 1956 und war sechs Jahre alt, als der erste Block des Kraftwerks gebaut wurde. Und zehn, als es in Betrieb ging. Mein Vater war damals im Gemeinderat, es war eine Kampfabstimmung sieben zu sechs für die Ansiedlung. Als ich am 1. Mai 1984 selbst in den Gemeinderat kam, waren gerade die Blöcke B und C fertig – damals wurde das übrigens einstimmig befürwortet. Viele Landwirte fanden dort einen Arbeitsplatz in der damals größten Doppelblockanlage der Welt, gut bezahlte Ingenieure ließen sich bei uns nieder. Mit Ausnahme des Störfalls in Block A 1977 und den beiden Todesopfern gab es keine größeren Störungen im Kraftwerk.

    Da müssten Sie jetzt ja eigentlich widersprechen, Herr Wolf.

    Thomas Wolf: Wir sind zivilisierte Leute und keine Trumpel, wir lassen uns ausreden.

    Mayer: Die Bevölkerung ist mit dem Kraftwerk wie mit einem normalen Industriebetrieb aufgewachsen, der größte Teil fühlte sich wohl damit. Seit der Steuerreform 1969 bei RWE, als Kommunen vor Ort auch finanziell etwas von den Betrieben hatten, sicher noch mehr. So konnten wir die Infrastruktur erneuern. Bis dahin waren viele Straßen nicht richtig befestigt. Auch eine Turnhalle konnten wir uns leisten. Der Ausstieg aus der Atomkraft war dann ein Wirrwarr-Spiel.

    Wolf: Ich kann Ihre Meinung zu Block A nicht teilen. Es gab dort ständig Unfälle, die zu großen Störfällen hätten führen können. Die Öffentlichkeit ist noch immer nicht wirklich informiert, wohin nach dem Störfall das Wasser abgeleitet wurde. Es gibt Gerüchte, dass es in die Donau ging – was erklären würde, warum der Faiminger Stausee nicht ausgebaggert wird. Wir haben 2010 dort selbst Proben genommen, aber nichts gefunden. Unfälle können auch in Industriebetrieben passieren, aber in einem Atomkraftwerk sind die Folgen andere. Die Blöcke B und C sind sicherer, aber nach dem Vorfall, als bei der Revision die Druckluftzufuhr versehentlich für den falschen Block abgeschaltet wurde, habe ich da meine Zweifel, wie sicher. Und der fehlerhafte Wasserstandsmesser in Fukushima war von dem Typ, wie er auch in Gundremmingen eingebaut ist. Die Mitarbeiter kennen ihr Kraftwerk und tun viel für die Sicherheit, aber die Technik ist nun einmal fehleranfällig. Wir beide waren sicher oft anderer Ansicht, aber heute können wir auch über vieles von früher lachen.

    Ein Blick ins Atommüll-Zwischenlager Gundremmingen mit den Castorbehältern.
    Ein Blick ins Atommüll-Zwischenlager Gundremmingen mit den Castorbehältern. Foto: Bernhard Weizenegger

    Mayer: Ja, wir haben uns nie gegenseitig beschimpft. Man muss eine gegenteilige Meinung akzeptieren. Jetzt ist das Zwischenlager das Thema. Unser jetziger Bürgermeister ist mit dem Kraftwerk aufgewachsen, als alles lief. Deshalb bittet er mich hin und wieder, mich einzubringen, so war ich kürzlich bei einem Treffen der Atom-Standortgemeinden in Gorleben. Der Zeitplan für ein Endlager ist bis 2050 nicht zu halten. Vor zehn Jahren habe ich das schon gesagt, damals wurde ich ausgelacht. Wir hatten unsere Bedenken gegen die Lager vorgebracht, sie wurden abgelehnt.

    Wolf: Dann waren wir ja mal auf der gleichen Seite, unsere Einwände wurden auch abgelehnt.

    Mayer: Und jetzt haben wir auch noch das Problem: Wenn es die Werkfeuerwehr des Kraftwerks mal nicht mehr gibt, wer soll sich dann im Ernstfall ums Zwischenlager kümmern?

    Wolf: Das Problem ist doch, dass es keine Möglichkeit gibt, einen Castorbehälter zu öffnen und zu reparieren, es gibt keine Heiße Zelle am Standort. Das Wissen, wie einer innen aussieht, ist nicht da. Die Sicherheit der Behälter müsste zum Thema werden, bevor einer undicht und dann durch die Republik gefahren wird.

    Mayer: Bundesregierungen haben es versäumt, sich um die Endlagerung zu kümmern in Zeiten, in denen es ruhig war. Zuerst musste Fukushima kommen. Auch heimische Politiker haben sich da lieber zurückgelehnt.

    Wolf: Damit kann man eben keine Wahl gewinnen. Weges des schlechten Konzepts für die Wiederaufarbeitung bin ich auch bei den Grünen ausgetreten.

    Mayer: Wir als Bürgermeister mussten uns vor die Bürger stellen und ihnen das erklären – nicht alle sind so verständnisvoll wie die Gundremminger. Jetzt holt uns das Thema wieder ein. Es gibt 1900 Castoren, die übrig bleiben. Wenn jeder einen Monat lang auf den Transport ins Endlager vorbereitet würde, wären das 1900 Monate! Dabei laufen die ersten Genehmigungen der Zwischenlager bereits 2034, wie in Gorleben und Ahaus, aus. Die Politik müsste den Menschen sagen, dass alleine das Leeren von Gorleben Jahre dauert und der Zeitplan einfach nicht zu halten sein wird.

    Das Atommüll-Zwischenlager in Gundremmingen von außen.
    Das Atommüll-Zwischenlager in Gundremmingen von außen. Foto: Christopher Mick/BGZ

    Wolf: Es fehlt die Ehrlichkeit der Politik. Aber das Thema Atomkraft, das ist in Deutschland gegessen.

    Mayer: Da gebe ich Ihnen recht. Der Atomausstieg war handwerklich miserabel. Es wurde nicht daran gedacht, wie wir von der Kernenergie autark werden und wie der Strom vom Norden in den Süden kommt.

    Wolf: Das Stromnetz war schon vor 15 Jahren nicht das Beste. Damals hätte man schon planen müssen, wie die Stromversorgung einmal aussehen soll. Warum aber werden stattdessen erneuerbare Energien gebremst?

    Mayer: In unserer Region ringen drei Firmen um ein mögliches Gaskraftwerk – dabei steht in Irsching eines still, das querfinanziert werden muss, um es vielleicht mal wieder in Betrieb nehmen zu können. Es gab AKW-Mitarbeiter, die hatten keine Photovoltaikanlage auf dem privaten Dach, weil sie im Kraftwerk arbeiteten. Erst als klar war, dass es zugemacht wird, änderte sich das. Nur scheibchenweise ändert sich was. Bei Vorträgen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier kam auch nichts raus außer heißer Luft.

    Wolf: Vor 32 Jahren habe ich Warmwasserkollektoren installiert, seither musste ich nur einen Temperaturfühler austauschen. Es hat mich immer aufgeregt, dass erneuerbare Energien nicht von Staat oder Industrie, sondern von Privaten ausgegangen sind. Wieder ein Thema, bei dem wir uns einig sind.

    Mayer: Ja, wie bei der Endlagerung. Zum jetzigen Zeitpunkt schon Gorleben rauszuwerfen bei der Standortsuche hat einen faden Beigeschmack.

    Wolf: Gorleben ist der Jahrhundertfehler in der Atompolitik. Aber wenn es jetzt nach rein wissenschaftlichen Kriterien geht, wäre es zu verschmerzen, wenn es bis zu einem Endlager noch mal 60 Jahre dauert.

    Mayer: Nichts hält länger als Provisorien.

    Wolf: Ja, was hier gefährlich ist. Denn es gibt sicherlich Terroristen, die Castorbehälter knacken können. Die Zusatzmauern im Zwischenlager Gundremmingen sind der Beweis, dass es andere auch glauben. Die Zwischenlager müssen deshalb unbedingt ertüchtigt werden. Und ich glaube nicht, dass alle Castoren einen Flugzeugabsturz aushalten würden. Aber auch das Kraftwerk selbst ist hier problematisch: Mit zwei Raketen durchbricht ein Terrorist die Mauer, mit einer dritten dringt er ins Abklingbecken vor – und dann sitzen wir in der Kacke.

    Zur Person: Wolfgang Mayer (Freie Wähler) war von 1996 bis 2014 Bürgermeister von Gundremmingen im Kreis Günzburg, als er nicht mehr kandidierte. Thomas Wolf ist das Gesicht der Mahnwache Gundremmingen, deren Mitglieder seit 1989 jeden Sonntag vor dem Kraftwerk gegen die Atomkraft demonstrieren.

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