In knapp drei Monaten jährt sich der Anschlag: Am 9. Oktober 2019 versuchte der Rechtsextremist Stephan Balliet in Halle an der Saale in die Synagoge im Paulusviertel einzudringen, um dort versammelte Personen zu töten. Eine Eingangstür unmittelbar vor der Synagoge hielt den Schüssen aus der Waffe des Mannes stand. Ihm gelang es nicht, den verschlossenen Zugang zu überwinden und die Gläubigen umzubringen. Was in Halle (Sachsen-Anhalt) geschah, hat Auswirkungen auch auf Ichenhausen.
Dort wird das frühere Synagogengebäude zwar schon lange nicht mehr für Gottesdienste genutzt. Aber es ist ein „Haus der Begegnung“ geworden, in dem den Menschen der jüdische Glaube erklärt, jüdische Kultur gelebt wird und ein interreligiöser Dialog stattfindet. Der Blick zurück in die dunkle Vergangenheit Nazi-Deutschlands fehlt ebenfalls nicht.
All das hat eine Rolle gespielt, um die frühere Synagoge, in dem sich vor der Nazizeit die einst größte Landjudengemeinde Bayerns zusammengefunden hatte, in ein Programm aufzunehmen. Dessen Ziel ist es, das Haus besser gegen mögliche Angriffe zu schützen. Nach Halle hat das bayerische Kabinett die Mittel dafür massiv erhöht.
Kripo Neu-Ulm hat Sicherungsanlagen in Ichenhausen überprüft
„Bisher ist nie etwas Negatives vorgekommen“, sagt Karin Beh, die seit mittlerweile 20 Jahren Besucher durch die Räume führt. Diese Erkenntnis allein bringt aber kein Mehr an Sicherheit. „Die Kriminalpolizei Neu-Ulm ist auf uns zugekommen, hat die Sicherungsanlagen überprüft und verschiedene Dinge empfohlen“, sagt Inge-Ruth Müller von der Verwaltung der Stiftung Ehemalige Synagoge. Die erste Empfehlung war, die Videosprechanlage neu zu installieren. Die Erneuerung der Überfallmeldeanlage war der zweite Schritt. Und schließlich sollen die Fenster des früheren Gotteshauses komplett von unten bis oben geschützt werden – mit „sicherheitsverglasten Elementen“, wie es im Angebot der Fachfirma heißt. Bislang ist nur auf etwa halber Fensterhöhe Plexiglas angebracht.
Die Erneuerung mit moderner Technik und einem besseren Schutzstandard kostet um die 160000 Euro. Dafür kommt der Staat auf. Das Geld kommt aus einem Topf des bayerischen Innenministeriums.
Nichts mit diesen Maßnahmen hat das Gerüst zu tun, das derzeit das Nebengebäude umgibt. Der Kamin muss saniert und das Kaminrohr verlängert werden, damit sich im Inneren nicht zuviel Regenwasser ansammeln kann. Der Putz bröckelte schon mächtig ab. in Mitleidenschaft gezogen worden ist auch die Fassade und der Sockel der Synagoge selbst – durch Taubenkot, der ausgesprochen aggressiv ist. Das muss alles abgespritzt werden – „und die Taubenabwehr erneuert“, wie Müller sagt. Die Kosten gibt sie mit rund 100000 Euro an.
Klaus Wolf ist der neue Vorsitzende der Stiftung Ehemalige Synagoge Ichenhausen
Fürs Inhaltliche ist Klaus Wolf zuständig. Er ist Hochschullehrer an der Universität Augsburg. Und nicht nur das: Der Professor für Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit dem Schwerpunkt Bayern („Diesen Zuschnitt gibt es wirklich nur einmal“) ist Nachfolger des früheren Kultusministers Hans Maier als Vorsitzender der Stiftung Ehemalige Synagoge Ichenhausen.
Wolf lässt einen fünf Minuten langen Film über die Synagoge drehen. Den Auftrag dazu hat der junge Filmemacher Tobias Atzkern aus Münsterhausen. In Zeiten von Instagram und Youtube reiche ein schöner Bildband nicht aus – vor allem, weil Wolf jüngere Menschen mit einem Thema in Berührung bringen will, das scheinbar vor allem etwas mit Vergangenem zu tun hat.
Warum 2021 ein bedeutendes Jubiläum auch in Ichenhausen ansteht
Damit aber nicht genug: 2021 steht ein bedeutendes Jubiläum an. Dann gibt es nämlich nachweisbar seit 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland. Der Augsburger Universitätsprofessor erwähnt das Edikt des römischen Kaisers Konstantin des Großen aus dem Jahr 321. Darin ordnete der Kaiser an, dass Juden in Köln öffentliche Ämter in der Stadtverwaltung bekleiden dürfen. Dieses Dekret (das Original befindet sich im Vatikan) ist gewissermaßen die Geburtsurkunde der ältesten jüdischen Gemeinde im Europa nördlich der Alpen. Bundesweit hat sich der eigens aus diesem Anlass gegründete Verein „321“ zum Ziel gesetzt, jüdisches Leben in der Bundesrepublik zu fördern.
Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, hat Organisationen im Freistaat darum gebeten, daran mitzuwirken. Wolf will in Ichenhausen mit künstlerischen Beiträgen das Festjahr begehen. Außerdem soll dort ein durch das Wertebündnis Bayern initiierter Trialog mit Vertretern aus Judentum, Christentum und Islam stattfinden. Das höre sich zwar etwas hochtrabend an, sagt Wolf. „Aber solche Begegnungen sind wichtig. Und die Zielgruppe sind die jungen Leute.“
Noch in diesem Jahr stellt der Wissenschaftler ein Buch vor, das er herausgibt: Es ist das Ergebnis einer Tagung in Ichenhausen 2018. Die Forscher hatten sich damals mit der gegenseitigen Beeinflussung des jüdischen Purimspiele und der christlichen Fastnachtsspiele beschäftigt. Das Buch ist bereits im Verlag De Gruyter erschienen.
Lesen Sie dazu den Kommentar von Till Hofmann:
Ehemalige Synagoge in Ichenhausen: Ein von vielen unentdeckter Schatz
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