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Heimatvertriebene: Besuch des Grabes war nicht selbstverständlich

Heimatvertriebene

Besuch des Grabes war nicht selbstverständlich

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    Lothar Thiel, der bei Bad Reichenhall lebende Cousin des Offinger Handschuhfabrikanten Alois Chiba, legt selbst Hand an, um das Grab ihrer Vorfahren auf dem kleinen Aberthamer würdiger zu gestalten.
    Lothar Thiel, der bei Bad Reichenhall lebende Cousin des Offinger Handschuhfabrikanten Alois Chiba, legt selbst Hand an, um das Grab ihrer Vorfahren auf dem kleinen Aberthamer würdiger zu gestalten. Foto: Foto: Wilfried Läbe

    Offingen „Friedhöfe sind bis heute dazu bestimmt, Gedanken an und Gefühle für die darin ruhenden Familienmitglieder und Freunde nicht zu vergessen oder zu verdrängen.“ Das sagt der 70-jährige Offinger Alois Chiba. Als gebürtiger Aberthamer erinnert er sich, dass es seinen auf dem Offinger Friedhof ruhenden Eltern schmerzlich verwehrt geblieben war, die Gräber ihrer Vorfahren in der alten Aberthamer Heimat zu besuchen und zu pflegen. „Das hat nicht nur meine Eltern, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Heimatvertriebenen neben ihrer Angst und Ungewissheit vor der Zukunft sehr verletzt“, berichtet Chiba.

    Der 70-Jährige weiß auch, dass das völlig veränderte, friedliche und um Aussöhnung der Völker bemühte Europa von heute diesen Seelenschmerz lindern will. „Das wurde für die Sudetendeutschen am 27. Februar 1992 im deutsch-tschechischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. Das verwandelte

    Deutsch-tschechischer Vertrag

    In dem deutsch-tschechischen Vertrag versprechen sich beide Vertragspartner Pietät gegenüber den Toten und Respekt vor dem Bedürfnis der Angehörigen, das Andenken an die Verstorbenen in Ehren zu halten und dass den Gräbern als Zeugen der Geschichte und kulturellen Eigenart eine angemessene Pflege ermöglicht wird. Ferner verpflichten sie sich, dass deutsche und tschechische Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft, die auf ihrem Gebiet ruhen, unter dem Schutz der Gesetze stehen.

    „Das ist gut so und sollte auch von den Nachfolgegenerationen beachtet werden, denn Friedhöfe sind zu allen Zeiten Zeugen der Geschichte“, sagt Chiba. Der kleine Friedhof der 1529 als königliche Bergstadt gegründeten und seit 1853 als Zentrum der Handschuhmacher mit aller Welt verbundenen Stadt Abertham im Westerzgebirge ist Zeugen geschichtlicher Ereignisse geeignet. Hier und auch auf den Friedhöfen der benachbarten Gemeinden Bärringen, Bergstadt Platten, Breitenbach, Neudeck, Neuhammer und Gottesgab ruhen die Begründer und deren nachfolgende Generationen einer über ein Jahrhundert weltweit konkurrenzlosen Exportindustrie für Handschuhe. Es sind, wenn überhaupt noch vorhanden, zum Großteil verwahrloste letzte Ruhestätten.

    In den Gräbern der beiden bedeutendsten Aberthamer Handschuhmacher-Pionieren Alois Chiba und Barnabas Zenker, in den letzten Ruhestätten der Familien Weikert, Porkert, Grimm, Schulz, Heinrich, Bayer, Porkert, Schaffer, Günther, Huth, Krankl, Linder, Meinl und vielen mehr ruhen Generationen, die zwischen 1853 bis 1937 mit ihrem Fleiß und ihrer ganzen Kraft Lederhandschuhe als Exportschlager in 60 Länder gefertigt haben. 1937 gingen von den in der damals 3000 Einwohner zählenden Gemeinde hergestellten 6,6 Millionen Paar Handschuhe 5,6 Millionen ins Ausland. Drei Millionen in die USA, die andere Million nach Kanada, nach Südafrika, nach England, Frankreich und nach Skandinavien.

    Viele der Nachkommen dieser etwa 11500 in 250 Handschuhmachereien arbeitenden Menschen (1850 Handschuhmacher, 1800 Hilfskräfte, 7500 Näherinnen in Heimarbeit, 350 Lehrlinge) aus Abertham und Umgebung fanden nach ihrer Vertreibung nach Offingen, Burgau, Ichenhausen und Günzburg mit dem erlernten Handwerk des Handschuhmachers eine neue berufliche Heimat.

    Es mag eine Fügung des Schicksals sein, dass von all diesen in ihrer neuen Heimat im Landkreis Günzburg gegründeten Handschuhmachereien unter den wenigen noch produzierenden Firmen in Offingen der Namen des Pioniers von 1853, Alois Chiba, zu finden ist. Er ist der Urgroßvater des gleichnamigen 70-jährigen Offingers. Wie beliebt und populär Chiba in seiner Heimat war, verrät sein Aberthamer Grab. Es wurde vor allem von deutschen Bewohnern über all die kommunistischen Jahre gepflegt. Und auch heute können sich der Offinger Firmeninhaber Alois Chiba, sein in Bad Reichenhall lebender Cousin Lothar Thiel wie auch alle anderen Verwandten bei ihren regelmäßigen Besuchen in Abertham in Ehrfurcht vor dem Familiengrab der großen Leistungen ihrer Ahnen gedenken. Das gilt auch für die Burgauer Nachkommen des Barabeus Zenker.

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