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Günzburg: Wenn Pflege zur Zerreißprobe wird

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Wenn Pflege zur Zerreißprobe wird

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    Für Angehörige kann die Pflege eines Familienmitglieds sehr belastend sein.
    Für Angehörige kann die Pflege eines Familienmitglieds sehr belastend sein. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolfoto)

    „Mutter, wann stirbst du endlich?“ Diesen Titel gab Martina Rosenberg 2012 ihrem ersten Buch – und wurde damit bekannt. Reißerisch? Provokant? Schon. Doch was stand hinter dieser Frage, die in dieser Deutlichkeit in der Öffentlichkeit noch nie gestellt wurde? Die Journalistin, Schriftstellerin und sozial Engagierte gibt darauf die Antwort, auf Einladung der Geschäftsstelle Günzburg der Bayerischen Versicherungskammer, vor vollbesetztem Saal im Deffinger Hotel-Gasthaus Linde.

    Was also war diesen Umständen vorausgegangen, bevor sie – aufgeschrieben – zum Spiegel-Bestseller wurden? „Für meine Familie und vor allem für mich“, berichtet die 54-Jährige in freier Rede und klarer Aussage, „war es eine neunjährige Rundum-Leidenszeit, die ich freiwillig für die Pflege meiner demenzkranken Mutter und meinen depressiv und schwerkranken Vater auf mich genommen habe, bevor ich, kurz vor meinem physischen und psychischen Totalzusammenbruch, die Reißleine zog und professionelle Hilfe in Anspruch nahm.“

    „Wie ein Fluch“

    Ergänzend fügt sie hinzu: „Ihr gegenseitiges Versprechen, den anderen nie in ein Heim zu geben, schwebte wie ein Fluch über uns.“ Heute schreibt Rosenberg Bücher (auch Krimis mit fachbezogenem Hintergrund), hält Vorträge und Seminare, die hauptsächlich pflegenden Familienangehörigen Wege aus vermeintlich auswegloser Situation aufzeigen wollen. „Mit der Absicht, dass Sie es besser machen, als ich es gemacht habe“.

    Da die Dauer der Pflege, und auch ihr Verlauf, nicht kalkulierbar sei, müsse bereits im Vorfeld darüber „gemeinsam gesprochen und geplant“ werden. Im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern liege in Deutschland die häusliche Pflege traditionsgemäß in Händen der Familienangehörigen (zu 70 Prozent Frauen). „Demenzerkrankungen nehmen sprunghaft zu, und damit auch die damit verbundenen Probleme“, sagt Rosenberg.

    Warnung vor seelischer Belastung

    Lehne ein dermaßen Erkrankter jegliche Hilfe ab, müsse auch dem entsprochen werden, gemäß richterlicher Entscheidung, wonach „jeder das Recht auf Verwahrlosung“ habe. Die Voraussetzung für eine gute Pflege, so die Referentin, sei ein gutes Verhältnis zueinander, eingebunden in ein stabiles Umfeld, in dem die Gesamtverantwortung nicht allein auf eine „naheliegende“ Einzelperson abgewälzt werde. Eindringlich warnt sie vor dem Ignorieren beginnender Erschöpfungssyndrome, vor seelischer Belastung, vor Flucht in Tabletten und Alkohol, die nicht selten (wie bei ihr selbst) zu Totalzusammenbruch bis Suizidgedanken führten.

    „Nein“ zur Pflege von Angehörigen zu sagen, wenn die eigenen Kräfte versiegen, müsse über jeglichen Gewissenbissen stehen. „Hilfe Ja, Selbstaufgabe Nein!“ Die Autorin sagt aber auch: „Pflege kann gelingen, wenn wir uns vorbereiten und uns offen diesem Thema stellen!“ Dazu beleuchtet sie verschiedene Möglichkeiten professioneller Inanspruchnahme, von finanzieller Absicherung über ambulante Hilfe, stationäre Pflege bis zu osteuropäischen Hilfskräften, bei denen allerdings beachtet werden sollte, ob die Qualifizierung den erwarteten Leistungen entspräche.

    Ein Muss sind Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

    Ein wichtiges Kapitel vorausschauender Bewältigung unvorhersehbarer Ereignisse: das Erstellen von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Ein Muss, um gegen alle medizinischen und rechtlichen Komplikationen gewappnet zu sein, wenn man selbst nicht mehr in der Lage ist, notwendige Entscheidungen zu fällen. Inzwischen auch bequem per Internet machbar. Deren Wichtigkeit bestätigt als Gastrednerin auch die Beratungsfachfrau der Ökumenischen Sozialstation Günzburg, Elfriede Mayer. Im ambulanten Dienst, täglich „unter immensem Zeitdruck und trotz eines Überstunden-Guthabens von 530 Stunden“, im Einsatz zur Versorgung von 30 Patienten.

    „Pflege ist unwahrscheinlich emotional“, lautet ihr Fazit, „kann aber auch sehr schön sein.“ Wobei, schränkt sie ein, Demenz ein erschwerender Faktor sei. „Gefühle bleiben, aber der Kopf geht kaputt.“ Ihr Rat: Zu unterstützender Hilfe für pflegende Angehörige biete die Sozialstation ein entsprechendes Kursangebot.

    Weitergehende Informationen unter www.pflege.pro

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