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Günzburg: Transplantation abgesagt: Günzburger wartet auf neue Leber

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Transplantation abgesagt: Günzburger wartet auf neue Leber

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    Pflegt seine Kräuter im Haus und hat auch draußen einen Garten, um den er sich kümmert: Michael Wagner ist auf eine Spenderleber angewiesen.
    Pflegt seine Kräuter im Haus und hat auch draußen einen Garten, um den er sich kümmert: Michael Wagner ist auf eine Spenderleber angewiesen. Foto: Till Hofmann

    Michael Wagner wird um 1 Uhr durch die OP-Schleuse gerollt. Die Vorbereitungen zur Organverpflanzung sind abgeschlossen. Um 19.30 Uhr hat er an diesem 10. April den Anruf vom Transplantationszentrum erhalten. Jenen Anruf, auf den er seit Monaten jeden Tag wartet. Und der dann doch überraschend kommt. Man habe eine Spenderleber für ihn, lautet die Nachricht. Endlich. Er packt – gerade noch auf dem Sofa liegend – das Nötigste ins Auto. Seine Frau fährt mit ihm von Günzburg nach München. Welche Gedanken schießen einem da durch den Kopf? Gegen 21.15 Uhr trifft Wagner in der Notaufnahme des Klinikums ein. Jetzt liegt er da – völlig verkabelt. Es braucht nur noch das Signal der Operateure, dass die Anästhesie einsetzt. Nichts rührt sich. Wagner liegt drei Stunden da. Dann kommt ein Chirurg und teilt ihm mit, dass er nicht operiert werden könne. Die gespendete Leber sei in einem zu schlechten Zustand.

    Der Todkranke ruft kurz danach seine Frau an, die bei Bekannten in München um das Leben ihres Mannes bangt. Sie sagt, dass sie überrascht sei, so früh seine Stimme zu hören. Die Erklärung dafür folgt.

    Das alles könnte der Stoff für ein Filmdrama sein. Ist es aber nicht. Die Personen gibt es, die Schauplätze dieser Geschichte sind Realität, das Schicksal ist es auch.

    „O Mensch, lerne tanzen. Sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“ Das soll der heilige Augustinus einmal gesagt haben. Die zwei Sätze sind auf die fröhlich wirkende Fassade im Eingangsbereich der Günzburger Ballettschule Kircher-Wagner angebracht. Drinnen hustet Wagner fortwährend. Wasser sammelt sich in seinem Körper – eine Komplikation der fortgeschrittenen Erkrankung. Das Weiß in den Augen hat sich gelb verfärbt. Auch die Haut hat diese Farbe angenommen.

    „Mein Umfeld nimmt die Sache mehr mit als mich.“

    Die Worte an der Hausfassade wirken grotesk angesichts der Situation hinter den Mauern. „Mein Umfeld nimmt die Sache mehr mit als mich“, sagt Wagner, der am 1. Mai seinen 57. Geburtstag feiern will und möglichst viele weitere.

    Und er zieht das Positive selbst aus der vor knapp zwei Wochen quasi auf dem OP-Tisch abgesagten Transplantation. „Die Meldekette hat funktioniert. Und ich weiß nun, dass ich auf der Warteliste ziemlich weit oben stehen muss.“

    Zahlen zu Organspenden

    Rund 900.000 Personen sterben jährlich in Deutschland – nur 955 davon haben Organe gespendet. Etwa 250 Kindern konnte damit geholfen werden.

    10.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan. Täglich sterben im Schnitt drei Menschen aufgrund des Mangels an Spenderorganen.

    Aktuell warten 45 bis 50 Kinder auf ein Spenderherz. 800 Menschen warten auf ein Organ.

    84 Prozent der Deutschen stehen Organspenden positiv gegenüber, nur ein Bruchteil besitzt jedoch einen Spendenausweis. (Quelle: Deutsche Stiftung für Organtransplantation)

    Das bedeutet gleichzeitig, dass sich Wagners gesundheitliche Lage verschlechtert hat. Seit 21. Januar ist der frühere Bundeswehrsoldat auf jener Liste, die mit einem sogenannten MELD-Score die Schwere der Erkrankung und damit auch die Dringlichkeit der Organzuteilung ausdrückt. Wagner ist inzwischen Experte. Den häufig wechselnden Truppenärzten habe er, als er noch beim Militär gewesen sei, erzählt, worauf es bei seiner Erkrankung ankomme. Seit gut 15 Jahren bereitet ihm dieses wichtigste Stoffwechselorgan im menschlichen Körper Probleme. Das sei damals bei einer Routineuntersuchung herausgekommen, die eigentlich der Darmkrebs-Vorsorge gegolten habe. Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine seltene autoimmune Leberkrankheit, bei der zunächst die Gallengänge in der Leber angegriffen und durch eine Entzündung zerstört werden.

    Trotz Krankheit bleibt er Trainer fürs Geräteturnen

    Oft, erzählt Wagner, habe er gehört, dass dies eine „Laune der Natur“ sei. Soll das trösten, weil man sich selbst mit seinem Verhalten, seinen Ess- und Trinkgewohnheiten nichts hat zuschulden kommen lassen? Auf diese Betrachtung lässt sich der Günzburger erst gar nicht ein. Er versucht, so viel „normalen Alltag“ mitzunehmen, wie es irgendwie geht. Dazu zählt zum Beispiel der langsam gewordene Spaziergang hinauf zum Wochenmarkt am Dienstag. Sein Ehrenamt als Trainer fürs Geräteturnen bei Klubs in Pfuhl und Leipheim übt er weiter aus, „obwohl ich nicht mal mehr einen Klimmzug hinbekomme“. An den Trainingstagen schläft er vormittags lange, sammelt für die eineinhalb Stunden Kraft und kommt total erschöpft nach Hause.

    Die Ernährungsumstellung sei ihm nicht leicht gefallen. Das geht so weit, dass er zum Teil auf Schmerzmittel verzichten muss, weil die ihre Wirkung nur in Alkohol gelöst entfalten. Der Vater einer 18-jährigen Tochter und eines 15 Jahre alten Sohnes hat im Jahr 2018 viel Muskelmasse und damit Kraft verloren. Die Nahrungszufuhr vermag das kaum auszugleichen.

    Wenn die Nieren, Herz, Lunge nicht richtig funktionieren, hilft eine Dialyse oder aber andere Geräte können anstelle der Organe arbeiten. Bei der Leber ist das nicht so. „Wenn sie nicht funktioniert, bleibt nicht viel mehr, als den eigenen täglichen Verfall im Spiegel zu betrachten“, sagt Wagner. Das hat bei ihm keinen depressiven Unterton, sondern ist eine realistische Betrachtung. Und ein bisschen schwarzer Humor, den er sich trotz allem bewahrt habe, blitzt durch. Der Blick, der sich bei ihm „nach vorne richtet“, ist insgesamt zuversichtlich geblieben. Freilich: Ohne eine Transplantation in nächster Zeit wird die Lage sehr schwierig. Das weiß Wagner am besten. Das Verhältnis zum Tod sei eher entspannt. „Rückblickend kann ich sagen, dass mein Leben recht erfüllt gewesen ist. Angst vor dem Sterben habe ich jedenfalls nicht. Eher Angst davor, welchen Schmerz und welches Leid ich zurücklasse.“

    Trübe Gedanken lässt er nur selten an sich heran, „die ziehen einen ja noch mehr runter“. Viel lieber stellt er sich das nach erfolgreicher Operation vor: „Wie ich mir den ersten Zwiebelrostbraten schmecken lassen werde."

    Lesen Sie dazu den Kommentar: Nur eine Lösung hilft beim Thema Organspende

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