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Günzburg/Memmingen: Prozess: So gelang dem Günzburger BKH-Geiselnehmer die Flucht

Günzburg/Memmingen

Prozess: So gelang dem Günzburger BKH-Geiselnehmer die Flucht

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    Zwei Patienten sind im September 2019 aus der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Günzburg geflüchtet. Sie waren monatelang auf der Flucht, jetzt steht einer von ihnen – ein 28-jähriger Deutsch-Russe – vor dem Landgericht Memmingen.
    Zwei Patienten sind im September 2019 aus der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Günzburg geflüchtet. Sie waren monatelang auf der Flucht, jetzt steht einer von ihnen – ein 28-jähriger Deutsch-Russe – vor dem Landgericht Memmingen. Foto: Bernhard Weizenegger

    Fast vier Monate lang war der junge Mann auf der Flucht, erst im Januar dieses Jahres konnte die Polizei ihn schließlich in Spanien, genauer gesagt in der Region Malaga, verhaften. Im September 2019 war er auf spektakuläre Art und Weise zusammen mit einem anderen Patienten aus der Forensik des Bezirkskrankenhauses in Günzburg getürmt. Um aus dem Gebäude zu fliehen, nahmen die beiden Männer eine Pflegerin als Geisel. Am Montag wurden vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Memmingen zum Auftakt des Prozesses gegen den 28-jährigen Deutsch-Russen mehrere Details seiner Flucht bekannt.

    Demnach klagte der nun vor Gericht stehende Patient in der Nacht vom 22. auf den 23. September über Schmerzen und verständigte die Pflegerin über eine hierfür vorgesehen Sprechanlage gegen 1 Uhr nachts. Die 21-jährige Frau holte ein Schmerzmittel, füllte es in einen Becher und machte sich auf den Weg zu der Station des Mannes. Dort ging die zierliche Frau zu einer sogenannten Kostklappe an der Türe – über diese relativ große Durchreiche gab sie ihm die Tablette. Doch dann wurde die Heilerziehungspflegerin überrumpelt.

    So flüchteten die BKH-Patienten in Günzburg aus der Forensik

    Die junge Frau, die erst wenige Wochen zuvor auf dieser Station ihren Dienst antrat, stand vor der auf Hüfthöhe angebrachten Durchreiche, als der Angeklagte zu ihr sagte: „Was jetzt passiert, tut mir leid“, erzählte die Frau vor Gericht. In Sekundenschnelle schlüpfte der 28-jährige schlanke Patient durch die Öffnung. Der Pflegerin gelang es noch, über ihren Notrufknopf einen Alarm abzugeben, aber dann war der Angeklagte bereits bei ihr. Er packte sie am Nacken und drückte ihr einen spitzen Gegenstand gegen den Hals. Direkt nach ihm schlüpfte ein zweiter Patient durch die Öffnung – es ist ein noch immer flüchtiger 23-jähriger Ukrainer.

    Zu dritt liefen sie durch das Gebäude, die speziell verschlossenen Türen wurden mit dem Chip der Pflegerin geöffnet. Erst an der Hauptschleuse ging es nicht mehr weiter. Denn diese Türe kann nur von dem Sicherheitsdienst und nicht vom Pflegepersonal geöffnet werden. Die beiden Patienten traten nach Aussage der Pflegerin mehrmals gegen die Türe, es wurde gebrüllt. Erst in dieser Situation habe sie richtig Angst bekommen, Todesangst habe sie trotz der Stichwaffe an ihrem Hals aber nicht gehabt, sagte sie vor Gericht.

    Prozess in Memmingen: Günzburger BKH-Patienten bauen selber eine Waffe

    Diese selbst gebaute Waffe bestand, wie sich später herausstellte, aus der Spitze einer zerbrochenen Porzellanschale, die mit einer Art Griff aus Stoff und einer Klopapierrolle versehen war. Als der Mann vom Sicherheitsdienst, der in einem speziellen Glaskasten in der Nähe der Schleuse sitzt, die aus seiner Sicht sehr bedrohliche Situation über die Bildschirme bemerkte, reagierte er umgehend. „Ich habe gegen die Vorschriften sofort die Tür der Schleuse geöffnet. Die Geisel war mir in dem Moment wichtiger“, sagte der Mann vom Sicherheitsdienst vor Gericht.

    Damit war die letzte Hürde in Richtung Freiheit für die beiden Patienten genommen. Wenige Meter nach der Schleuse ließen sie die junge Frau stehen, warfen die selbst gebastelte Waffe weg und flüchteten.

    Die Polizei fahndete nach den Flüchtigen, unter anderem wurden ein Polizeihubschrauber und ein Personensuchhund eingesetzt, Unterstützung gab es auch von der bayerischen Bereitschaftspolizei und der öffentliche Nahverkehr wurde kontrolliert. Doch die Männer blieben verschwunden. Inzwischen ist klar, wo sie die ersten Tage waren.

    BKH-Geiselnehmer verbrachten die ersten beiden Nächte noch in Günzburg

    Wie ein Kriminalpolizist am Montag vor Gericht sagte, verbrachten die beiden Flüchtigen die erste Nacht am Donauufer im Bereich des Günzburger Auwegs. Die nächste Nacht waren sie gemeinsam in einer Schrebergartensiedlung – ebenfalls in Günzburg. Der Angeklagte sei vermutlich wenige Tage später noch in eine Gartenlaube in Langenau eingebrochen und in eine Wohnung in Herbrechtingen. Danach verliert sich seine Spur – ehe er am 10. Januar 2020 in Spanien verhaftet und knapp zwei Wochen später mit dem Flugzeug nach Friedrichshafen gebracht wurde.

    Während die Flucht fast vier Monate dauerte, betrug der gesamte Ausbruch vom Zimmer bis zum Ausgang der Forensik nur etwa 90 Sekunden. Vor Gericht wurden die Videoaufnahmen von insgesamt sieben Überwachungskameras von jener Nacht mehrmals gezeigt.

    Der Angeklagte wollte sich vor Gericht nicht persönlich zu seiner Flucht äußern, sein Verteidiger Michael Haizmann las allerdings eine Erklärung seines Mandanten vor. Darin bezeichnete der 28-Jährige die Vorwürfe als grundsätzlich zutreffend. Der Angeklagte war seit Mitte Juni 2019 im Maßregelvollzug in Günzburg. Seiner Meinung nach sei er im BKH ausschließlich als Krimineller und nicht als Drogensüchtiger behandelt worden. Da er keine therapeutische Erfolgsaussicht gehabt habe, bemühte er sich um einen Platz in anderen Therapieeinrichtungen. Die Verhandlung gegen den 28-jährigen Angeklagten wird am Dienstagvormittag fortgesetzt.

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