Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Günzburg: Einblicke nach Geiselnahme: So sieht es in der Forensik aus

Günzburg

Einblicke nach Geiselnahme: So sieht es in der Forensik aus

    • |
    Blick ins Innere der Forensik: Insgesamt gibt es vier Stationen, die alle gleich aufgebaut sind, damit sich vor allem das Pflegepersonal schnell zurechtfindet.
    Blick ins Innere der Forensik: Insgesamt gibt es vier Stationen, die alle gleich aufgebaut sind, damit sich vor allem das Pflegepersonal schnell zurechtfindet. Foto: Paul Buschmann

    Die Nachricht, dass zwei Patienten nach einer Geiselnahme aus der forensischen Klinik am Bezirkskrankenhaus in Günzburg geflohen waren, hatte im vergangenen September für viel Unruhe in der Bevölkerung gesorgt. Angst, Wut, Vorwürfe und eine Menge Gerüchte kursierten: Wie konnten die Männer nur entkommen? Warum wurden sie überhaupt hier behandelt? Hat das

    Nachdem der Vorfall vier Monate zurückliegt, Ruhe eingekehrt und einer der Flüchtigen sogar gefasst worden ist (lesen Sie hierzu mehr), sahen die Verantwortlichen den Zeitpunkt gekommen, die Öffentlichkeit einzuladen und zu informieren. „Wir hätten das auch ohne Anlass tun können, aber wir hatten mit der Geiselnahme einen Anlass, der sehr öffentlichkeitswirksam war. Jetzt wollen wir zeigen, was wir tun, wie wir arbeiten, wen wir behandeln“, betonte Thomas Düll, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken in Schwaben, bei der Veranstaltung am Montagabend im Festsaal.

    Informierten über die Arbeit in der Forensik von links: Thomas Düll, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin der Forensischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Pflegedienstleiter Paul Buschmann und Sicherheitsbeauftragter Wilfried Dreßen
    Informierten über die Arbeit in der Forensik von links: Thomas Düll, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin der Forensischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Pflegedienstleiter Paul Buschmann und Sicherheitsbeauftragter Wilfried Dreßen Foto: Georg Schalk/BKH Günzburg

    Etwa 80 Interessierte nutzten das Angebot. Die Mehrheit, wie Düll feststellte, waren Beschäftigte aus anderen Abteilungen der Klinik. Dass sich unter die Zuhörer auch Patienten gemischt hatten, erfasste Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin der Forensischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, mit einem Blick, machte das Publikum aber erst am Ende der Veranstaltung darauf aufmerksam. Die Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der Forensik seien groß, erst recht nach dem Vorfall im September. „Wer Laie ist und so etwas mitbekommt, denkt gleich an das Schlimmste“, so Dudeck. Die wenigsten hätten eine Ahnung, was hinter den Mauern der Forensik passiere. Dabei betonte die Ärztin: „Wir sind ein offenes, transparentes Haus. Wir sind keine Dunkelkammer.“

    Wer wird in Günzburg behandelt?

    Wer in den sogenannten Maßregelvollzug kommt, legen Richter fest. Ein Gutachter beurteilt, ob ein Täter schuldfähig ist, ob er an einer psychischen Erkrankung oder an einer Sucht leidet, ob er sich noch steuern kann. Bei den Patienten handelt es sich der Ärztlichen Direktorin zufolge um schwere Straftäter, in der Regel geht es jedoch nicht um Gewalt- oder Sexualdelikte. In die Günzburger Klinik werden nur Verurteilte aus Schwaben, nicht aus ganz Deutschland aufgenommen. Man sei dazu verpflichtet, „wir können niemanden ablehnen“.

    Die Forensik in Zahlen

    Was macht eine Forensik: In Kliniken für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie werden Menschen behandelt, die im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung Straftaten verübt haben. Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass Menschen, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit Straftaten begangen haben, in psychiatrischen Krankenhäusern oder Entziehungseinrichtungen zum Schutz der Allgemeinheit untergebracht werden.

    Zahl der Kliniken: In Deutschland gibt es insgesamt 80 Forensiken. 14 davon sind in Bayern.

    Straftaten und Patienten: 2018 wurden 5,5 Millionen Straftaten begangen. Etwa 60 000 Gefangene waren in Justizvollzugsanstalten untergebracht. 11000 Patienten wurden in den forensischen Kliniken behandelt.

    Die Forensik in Günzburg: 2002 ging die Forensik am Bezirkskrankenhaus Günzburg in Betrieb. 2015 wurde der Neubau, der 23 Millionen Euro kostete, eröffnet. Hier gibt es 96 Behandlungsplätze und eine forensische Nachsorgeambulanz. Mehr als 120 Mitarbeiter sind hier tätig. Zusammen mit Kaufbeuren (218 Plätze) ist Günzburg die einzige Forensische Klinik im Bezirk Schwaben.

    Zum Hintergrund der Patienten: Laut Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin, wird der größte Teil der Patienten in Günzburg wegen Suchterkrankungen behandelt (75 Prozent). 25 Prozent haben eine Persönlichkeitsstörung. 35 Prozent haben Migrationshintergrund. 75 Prozent haben gegen das Betäubungsmittel-gesetz verstoßen. 35 Prozent haben eine Körperverletzung begangen. (hva)

    Sollte sich aber ein Patient als nicht therapiewillig zeigen, sich nicht an Spielregeln im Haus halten, könne ein Abbruch beantragt werden. Dies müsse gerichtlich verfügt werden. Genau um solche Fälle habe es sich bei den Männern gehandelt, die im September geflüchtet waren. Laut Thomas Düll waren sie für eine Rückverlegung in eine Justizvollzugsanstalt vorgesehen.

    Die Liegedauer in der Klinik beträgt zwischen zwei und sechs Jahren, die Regelbehandlung liegt bei 4,8 Jahren. Rückfällig werden die Patienten in 20 bis 25 Prozent aller Fälle, „eine deutlich geringere Quote als bei Straftätern, die aus der JVA entlassen werden“, betonte Dudeck. Um die Patienten kümmert sich eine ganze Reihe von Berufsgruppen, die Hand in Hand arbeiten.

    Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin der Forensischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, betonte, dass es niemals 100-prozentige Sicherheit geben wird.
    Prof. Dr. Manuela Dudeck, Ärztliche Direktorin der Forensischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, betonte, dass es niemals 100-prozentige Sicherheit geben wird. Foto: Georg Schalk/bkh Günzburg

    Pflegedienstleiter Paul Buschmann listete neben dem Pflegepersonal, das mit 76 Mitarbeitern die größte Gruppe ausmacht, auch Fachärzte, Psychiater, Psychologen, Sozial-, Ergo- und sogar Musiktherapeuten auf. Letztere könnten nicht unbedingt bewirken, dass ein Patient gesund wird, aber eine Therapie ohne Worte helfe in manchen Konfliktsituationen weiter.

    Wie läuft die Therapie ab?

    Wie Buschmann erklärte, gilt als Grundfundament der Therapie, die Patienten nicht zu verharmlosen, sie andererseits als menschlich und hilfsbedürftig zu akzeptieren. Den Männern soll ein möglichst reales Leben ermöglicht werden. Viele hätten einen niedrigen Intelligenzquotienten, müssten die einfachsten Dinge des Alltags, wie das Kaufen eines Bustickets, lernen. Die Therapiepläne sind prall gefüllt von 7 bis 17 Uhr.

    In den Küchen kommen bewusst Alltagsgegenstände wie Porzellantassen oder Gabeln zum Einsatz. Den Patienten soll ein reales Leben ermöglicht werden.
    In den Küchen kommen bewusst Alltagsgegenstände wie Porzellantassen oder Gabeln zum Einsatz. Den Patienten soll ein reales Leben ermöglicht werden. Foto: Paul Buschmann

    Buschmann erzählte von sozialem Kompetenztraining, Arbeitstherapie und Milieugestaltung, wobei soziale Fertigkeiten trainiert werden. Machen die Patienten gut mit, können sie sich eine Lockerung erarbeiten. In einer ersten Stufe beispielsweise werde ein Spaziergang in Begleitung eines Therapeuten erlaubt. Die Ärztliche Direktorin betonte, dass 80 Prozent der Patienten „raus“ dürfen. Der Maßregelvollzug erstreckt sich über vier Stationen, pro Station gibt es drei Wohngruppen mit jeweils acht Patienten. Da jeder aufgenommen werden müsse, könne es zu Überbelegungen kommen, sodass aus Zweier- auch mal Dreierzimmer werden.

    Wie sieht es mit der Sicherheit aus?

    Wilfried Dreßen ist seit 2001 Sicherheitsbeauftragter in der Forensik. Er ist dafür zuständig, ein eigens auf dieses Haus zugeschnittenes Sicherheitskonzept zu erstellen. Ins Detail wollte er nicht gehen, um nicht zu viel preiszugeben. Auf Mauern, Außenzäune und vergitterte Fenster verzichtet man in Günzburg, stattdessen sind mehr als 200 Kameras und ausbruchsichere Fenster verbaut. Auf Nachfrage einer Anwohnerin, warum trotz aller baulichen Maßnahmen über Wochen das Schreien eines Patienten zu hören gewesen sei, entschuldigte sich Manuela Dudeck mehrfach. Für den Mann, der schwer krank gewesen und inzwischen verstorben sei, habe man einfach kein Medikament gefunden, um ihm zu helfen. Ihn wegzusperren, lasse der humanistische Grundgedanke nicht zu.

    Mehr als 200 Kameras wurden innen und außen verbaut.
    Mehr als 200 Kameras wurden innen und außen verbaut. Foto: Bernhard Weizenegger

    Wie Wilfried Dreßen weiter ausführte, ist am Eingang zur Forensik eine Sicherheitsschleuse, darüber hinaus gibt es im Gebäudeinneren Türen, die nur mit speziellen elektronischen Geräten geöffnet werden können. Die Besucher werden überwacht, die Patienten- und Stationszimmer kontrolliert. Alltagsgegenstände wie Porzellantassen oder Gabeln seien zugelassen. „Wenn man will, kann man aus jedem Gegenstand eine Waffe machen“, betonte Dudeck.

    „100-prozentige Sicherheit werden wir nicht schaffen.“ Wie es sein könne, dass eine Geisel genommen werde, wollte ein Besucher wissen. Auch wenn zwei Personen Nachtdienst hätten, würden diese nicht Hand in Hand laufen, erklärte Dudeck. Sie müssten sich um 24 Patienten kümmern. Werde ein Mitarbeiter mit einem spitzen Gegenstand bedroht, gehe die Sicherheit des Kollegen vor.

    Was gibt es Neues zur Geiselnahme?

    Details zur Geiselnahme im September gaben die Verantwortlichen nicht preis, da das Ermittlungsverfahren noch laufe. Wie Manuela Dudeck mitteilte, handelte es sich bei dem gefassten Flüchtigen um einen Autodieb. Da er jetzt eine schwere Straftat begangen habe, werde er sicher nicht mehr nur mit dem Maßregelvollzug sanktioniert.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Flucht aus BKH: Zielfahnder verhaften Mann in Spanien

    BKH-Flüchtige in "Aktenzeichen XY": Wie die Polizei weiter vorgeht

    Nach Flucht: BKH soll keine Bedrohung für Bevölkerung sein

    Jetzt soll europaweit nach den BKH-Flüchtigen gefahndet werden

    Nach der Flucht aus dem BKH fehlt „eine heiße Spur“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden