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Günzburg/Burgau: Einzelhandel im Landkreis Günzburg: „Wie Weihnachten und Ostern auf einmal“

Günzburg/Burgau

Einzelhandel im Landkreis Günzburg: „Wie Weihnachten und Ostern auf einmal“

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    Judith Ganser freut sich riesig, dass sie Stammkundinnen wie Karin Stocker nun wieder in ihrem Modehaus Schild in Günzburg begrüßen darf. Da die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Günzburg an diesem Montag unter 50 liegt, fühlt sich das Zurück in die Zukunft des Einzelhandels wie das „neue Normal“ an.
    Judith Ganser freut sich riesig, dass sie Stammkundinnen wie Karin Stocker nun wieder in ihrem Modehaus Schild in Günzburg begrüßen darf. Da die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Günzburg an diesem Montag unter 50 liegt, fühlt sich das Zurück in die Zukunft des Einzelhandels wie das „neue Normal“ an. Foto: Jan Kubica

    Ein strahlendes Lächeln ziert das Gesicht von Judith Ganser, als sie das Tor zum unverhofft nun doch erlaubten Einkaufsvergnügen öffnet. Dieser 8. März 2021 ist für die Geschäftsführerin des Modehauses Schild in Günzburg „wie Weihnachten und Ostern auf einmal“, sagt sie. Ansteckend gute Laune haben an diesem frühlingssonnenüberfluteten Montagvormittag vermutlich alle Einzelhändler im Landkreis

    Stammkunden sind die Ersten im Geschäft

    Die ersten Besucher haben durch die Bank bekannte Gesichter, wie Ganser bemerkt. Zu ihnen zählt Karin Stocker aus Günzburg, die bei der herzlichen Begrüßung gleich in Superlativen schwelgt, sich „zu hundertfünfzig Prozent glücklich“ zeigt und hinzu fügt: „Ich bin kein Besteller. Ich brauche das Kundengespräch – und das gibt es hier.“

    Mit dieser Einschätzung ist sie offensichtlich nicht allein. Drinnen ist schon einiges los. Stoffe werden befühlt, über Größen diskutiert, Farben verglichen – und Ganser erwähnt fast beiläufig eine „tolle Stammkundenbindung“, deren Existenz auch in zwiebackharten Zeiten das unternehmerische Selbstverständnis nicht abstürzen ließ.

    "Neues Normal" statt "Click & Meet"

    Doppelt froh sind alle Geschäftsinhaber über den glücklichen Umstand, dass rechtzeitig zur Öffnungserlaubnis die maßgebliche Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Günzburg unter die wirkmächtige 50er-Marke gerutscht ist. Viele hatten sich bereits auf das neudeutsch hübsch klingende, tatsächlich aber aufwendig zu organisierende „Click & Meet“ vorbereitet. Nach diesem System müssen Kunden ihren Ladenbesuch planen, ihn vorab ankündigen und dann innerhalb eines definierten Zeitfensters im Geschäft erscheinen. Unkomplizierter aus Sicht der Händler ist natürlich, lediglich auf das Einhalten der Hygiene-Spielregeln zu achten und Besucherspitzen zu vermeiden.

    Vom Tisch ist das in Berlin und München kunstvoll ersonnene Inzidenz-Mikado und damit die Variante „Click & Meet“ freilich nicht. Womöglich müssen die Einzelhändler demnächst tagesaktuell umschwenken. „Wir informieren unsere Kunden darüber und lassen dieses Tool parallel laufen, denn wir rechnen damit, dass wir es brauchen werden“, unterstreicht Ganser.

    Beratung und Kundengespräch als Trümpfe

    Das eigentliche Thema des Montags ist aber nicht der Gedanke an Optionen, die den Status Quo zurück ins Negative wandeln. Vielmehr ist es die Freude über das „neue Normal“, die Aussicht auf eine Rückkehr zu gewohnten Kundenbeziehungen. Dazu sagt Stephanie Brenner, Inhaberin von Mode Frey in Burgau: „Unser Konzept ist aufgebaut auf das Persönliche, die Beratung, das Gespräch. Ab jetzt kann der Kunde wieder stöbern und sich Anreize schaffen.“ Und sie fügt hinzu: „Ich glaube, darüber sind wirklich alle froh.“

    Tränen der Freude bei Friederike Groß

    Die Steigerung von Freude trägt unterdessen Friederike Groß durch den Tag. Auf dem Weg ins Geschäft seien ihr „fast ein paar Tränen runtergelaufen“, berichtet die Chefin der Burgauer Galerie. Dass sich die an Kunstgegenständen, Geschenkartikeln und Einrahmungen interessierte Kundschaft zumindest an diesem Premieren-Vormittag ein wenig rar macht, berührt sie kaum. „Hauptsache, es läuft wieder einigermaßen an. Wenn ich etwas verkaufe, ist es schön, aber es ist halt eine Branche, die man nicht jeden Tag braucht“, schildert sie mit lustig blitzenden Augen.

    "Ich habe mich so gefreut, dass mir fast ein paar Tränen runtergelaufen sind", sagt Friederike Groß, Chefin der Burgauer Galerie. Hier präsentiert sie ein Gemälde des Malers Luis Alberto Ballon Prado.
    "Ich habe mich so gefreut, dass mir fast ein paar Tränen runtergelaufen sind", sagt Friederike Groß, Chefin der Burgauer Galerie. Hier präsentiert sie ein Gemälde des Malers Luis Alberto Ballon Prado. Foto: Jan Kubica

    Dennoch: Ein bisschen mehr als die vielleicht zehn Prozent des gewohnten Umsatzes, die ihr während des Lockdowns vor allem durch bestellte Rahmungen blieben, dürfen es demnächst gerne sein.

    Unabhängig von Inzidenzzahlen darf am Montag der Buchhandel bundesweit öffnen – zusammen mit Baumärkten und Blumengeschäften, die in Bayern bereits einen Vorsprung erhalten hatten. Sie alle werden jetzt plötzlich dem Einzelhandel des täglichen Bedarfs zugerechnet – ein Sortierungswechsel, der rational kaum nachvollziehbar ist.

    Zuvor galt: Schreibwaren ja, Bücher nein

    Es ist nicht der einzige Kritikpunkt, den Philipp Hutter in Richtung Politik anbringt. Der Junior-Chef des gleichnamigen Unternehmens in Günzburg hatte in den vergangenen Monaten schon unter der merkwürdigen Festlegung zu leiden, dass er sein Schreibwarengeschäft öffnen durfte, die wenige Meter entfernte Buchhandlung aber nicht. „Das haben wir nie verstanden, zumal Bücher in unseren Augen als Kulturgut grundsätzlich systemrelevant sind“, argumentiert er und wiederholt damit Worte, die so ähnlich auch die Büchereien in den Lockdown-Monaten immer wieder verwendet hatten.

    Dass Supermärkte darüber hinaus monatelang Bücher, Pflanzen und auch Kleidungsstücke verkaufen durften, während der Spezialhandel zum existenzgefährdenden Nichtstun verurteilt war, bezeichnet Hutter noch im Rückblick als „völlig ungerecht und unverständlich“.

    Einkaufen der Zukunft: Erleben statt Mitnehmen

    Aber das alles ist für den Moment Vergangenheit. Und schon beim Ortstermin zeigt sich, dass sich die Kunden vor allem bei hochpreisigen Bildbänden freuen, vor dem Kauf endlich wieder ein bisschen schmökern zu dürfen. Über die Jahre hat Hutter ohnehin bemerkt, dass sich das Einkaufsverhalten der Menschen ändert: weg vom klassischen einfach Mitnehmen hin zum gerne auch zeitintensiven Erleben. Darin vor allem sieht er das kundenbindende Gegenmodell zum Internethandel. In Hutters Worten heißt das: „Die über Jahre erworbene Fachkompetenz kann man nicht durch künstliche Intelligenz ausgleichen.“

    Die Stadt wird wieder belebt

    Eine so gemeinte umfassende Werkkenntnis besitzt zum Beispiel Karl-Heinz Cornely. Kaum öffnet er sein Uhren- und Schmuckgeschäft am Günzburger Marktplatz, schauen auch schon die ersten Kunden vorbei. Vor allem äußern sie Reparaturwünsche. „Wir haben das Glück, dass wir eine Goldschmiede- und Uhrmacher-Meisterwerkstatt haben und deshalb vieles selbst ausführen können“, berichtet Cornely. Aus seiner persönlichen Warte wurde es übrigens höchste Zeit, dass der Einzelhandel öffnen darf. „Durch Internetkäufe ging uns natürlich wahnsinnig Umsatz verloren.“ Doch nicht nur mit Blick auf seine eigenen Belange findet Cornely diesen März-Montag schön. „Es ist wichtig, dass die Geschäfte aufmachen, damit die Stadt wieder belebt wird“, sagt er.

    Kein Verständnis bringt Cornely unterdessen für die Salamitaktik der Politik in Sachen Wiederöffnung auf. „Entweder alle oder keiner“, lautet seine Devise.

    Stephanie Brenner ist Inhaberin von Mode Frey in Burgau. Für sie fühlt sich der erste Öffnungstag nach der Zwangspause an "wie alle Festtage zusammen".
    Stephanie Brenner ist Inhaberin von Mode Frey in Burgau. Für sie fühlt sich der erste Öffnungstag nach der Zwangspause an "wie alle Festtage zusammen". Foto: Jan Kubica

    Ein Auftrag an das Unternehmen Deutschland

    Seine Ansicht teilen dem Vernehmen nach die meisten Geschäftsinhaber im Landkreis Günzburg. Aus ihnen spricht zwar keine Wut, aber Unverständnis für die Pandemie-Vorgaben. In diese Richtung denkt etwa Stephanie Brenner, wenn sie von der Hoffnung als jenem Gefühl spricht, das als letztes stirbt. Und daran einen klaren Auftrag an das Unternehmen Deutschland knüpft: „Ich glaube wirklich, dass wir auf einem guten Weg sind – wenn die Impfungen endlich laufen. Da muss die Politik ihren Beitrag leisten. Dieses Jahr ist Bundestagswahl, da müssen Taten sprechen und nicht Worte.“

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