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Günzburg/Augsburg: Drei Apotheken in der Region sollen illegale Arzneien verkauft haben

Günzburg/Augsburg

Drei Apotheken in der Region sollen illegale Arzneien verkauft haben

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    Drei Apotheker aus den Landkreisen Günzburg und Augsburg werden beschuldigt, illegal Arzneimittel hergestellt zu haben und sie als Nahrungsergänzungsmittel beworben und über einen Onlineshop verkauft zu haben.
    Drei Apotheker aus den Landkreisen Günzburg und Augsburg werden beschuldigt, illegal Arzneimittel hergestellt zu haben und sie als Nahrungsergänzungsmittel beworben und über einen Onlineshop verkauft zu haben. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Am Dienstagnachmittag musste Apotheker Michael Lyhs in der St. Martins-Apotheke in Jettingen-Scheppach eine Mitteilung des Landratsamtes Günzburg aushängen. Darin wird „aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes eindringlich vor der Einnahme folgender (Defektur-)Arzneimittel gewarnt“: Das eine ist Procain, das andere Roter Reisschalenextrakt. Procain ist nach Auskunft des betroffenen Apothekers früher als Geriatrikum eingesetzt worden – als ein Mittel, das den Kreislauf anregen soll. Aus den Schalen des Roten Reises seien Wirkstoffe extrahiert worden, die einen positiven Einfluss auf den Fettstoffwechsel haben können. Weder das eine noch das andere Präparat sei verschreibungspflichtig, sagt Apotheker Lyhs.

    Das sieht unter anderem das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit offenbar anders – deshalb nun auch die Warnung an die Bevölkerung, die über das Landratsamt Günzburg verbreitet worden ist. Und auch die Polizei sowie die Staatsanwaltschaft veröffentlichten am Dienstagnachmittag in einer abgestimmten Aktion die Mitteilung, nach der der Verdacht besteht, dass die tatverdächtigen Apotheker aus dem südlichen Landkreis Augsburg sowie aus dem östlichen Landkreis Günzburg über drei Apotheken in den Landkreisen, sowie über einen Onlinehandel selbst hergestellte Produkte illegal und falsch beworben an ahnungslose Verbraucher verkauft haben.

    Procain ist eines der betroffenen Mittel.
    Procain ist eines der betroffenen Mittel. Foto: Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

    Weitere Apotheke in Jettingen-Scheppach und Langenneufnach betroffen

    Neben der St. Martins-Apotheke in Jettingen-Scheppach ist auch die Rathausapotheke am selben Ort sowie die Stauden-Apotheke in Langenneufnach (Landkreis Augsburg) betroffen. Die Rathausapotheke führt nach Informationen unserer Zeitung Lyhs Ehefrau, die Apotheke in den Stauden sein Schwager. Mittel, die in der St. Martins-Apotheke hergestellt worden sind, könnten auch in den beiden anderen Häusern vertrieben worden sein. Das Landratsamt will das jedenfalls nicht ausschließen.

    In der Mitteilung der Polizei heißt es: „Es besteht der Verdacht, dass es sich hierbei nicht, wie durch die Apotheker beworben, um Nahrungsergänzungsmittel handelte, sondern um Produkte, die unter das Arzneimittelgesetz fallen und hierfür weder eine Genehmigung vorlag, noch entsprechende Vorschriften bei der Herstellung eingehalten wurden.“

    Bei Razzien in drei Apotheken und in Privatanwesen im Juli 2019 nahm neben der Kripo Neu-Ulm auch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) teil. Dabei wurden größere Mengen an Ausgangssubstanzen, Verpackungsmaterialien, Endprodukten sowie entsprechende Daten als Beweismittel sichergestellt.

    Kunden sollen Präparate bei der Polizei abgeben

    Das LGL ist derzeit mit der Erstellung von Gutachten zu rund 60 entnommenen Produktproben betraut. Hierbei musste jedoch bereits zum jetzigen Zeitpunkt festgestellt werden, dass zwei Produkte wegen ihrer festgestellten Substanzzusammensetzung durch das Landesamt als „gesundheitlich bedenklich“ eingestuft wurden. Es handelt sich dabei nach eingehender Prüfung um (Defektur-)Arzneimittel in blauen Plastikdosen und gelber (seltener auch weißer) Etikettierung mit den bereits erwähnten Wirkstoffen Procain und Roter Reisschalenextrakt. Sie wurden als Nahrungsergänzungsmittel an Verbraucher verkauft.

    Roter Reisschalenextrakt ist eines der betroffenen Mittel.
    Roter Reisschalenextrakt ist eines der betroffenen Mittel. Foto: Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

    Kunden, die im Besitz derartiger (Defektur-)Arzneimittel sind, werden gebeten, diese nicht mehr einzunehmen und bei der nächsten Polizeidienststelle abzugeben. Defektur bedeutet im Gegensatz zu einer Rezeptur, dass die Mittel auch auf Vorrat hergestellt werden können. Eine Rezeptur bezieht sich auf ein Mittel, das für eine Person bestimmt ist.

    Bei den hergestellten Arzneimitteln sei nicht zweifelsfrei gewährleistet, dass diese nicht bedenklich oder in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert seien. Vorsorglich sollte deshalb auch von der Einnahme anderer, in den drei Apotheken selbst hergestellten und abgegebenen (Defektur-)Arzneimitteln abgesehen werden. Ausdrücklich nicht von dieser Warnung betroffen sind über die drei Apotheken abgegebene Fertigarzneimittel anderer Anbieter.

    Bei gesundheitlichen Beschwerden zum Arzt gehen

    Das Landratsamt Günzburg rät dazu, einen Hausarzt zu kontaktieren, falls nach der Einnahme der genannten Arzneimittel gesundheitliche Beschwerden auftreten

    Während das LGL mit der Erstellung aller notwendigen Gutachten beschäftigt ist, kümmert sich die Kripo Neu-Ulm um die Auswertung aller Beweismittel. Diese umfangreichen Ermittlungen werden nach Auskunft der Polizei noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

    Michael Lhys ist angehalten, derzeit Mittel nicht mehr nach eigenen Rezepturen herzustellen. Das habe das Landratsamt ihm vor einer Woche so mitgeteilt. Er habe keine Information, was ihm konkret vorgeworfen werde. „Ich kann nur abwarten“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. „Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht sind es auch auch Fehler in der Deklaration. Aber das ist nur eine Vermutung.“

    Die Produkte wurden in blauen Plastikdosen mit Deckel und gelber Etikettierung in seltenen Fällen auch weiße Etikettierung an den Verbraucher abgegeben.
    Die Produkte wurden in blauen Plastikdosen mit Deckel und gelber Etikettierung in seltenen Fällen auch weiße Etikettierung an den Verbraucher abgegeben. Foto: Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

    Der Apotheker hat einen Anwalt eingeschaltet

    Er sei seit 22 Jahren Apotheker. „Aber so etwas habe ich noch nicht gehabt.“ Lyhs hat einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut. „Das wird sehr geschäftssschädigend sein. Bei mir hängt das aus, jeder liest das in der Zeitung.“ Die Überprüfung der hergestellten Mittel und die Durchsuchung der Anwesen waren letztlich das Ergebnis einer Mitteilung des Landratsamtes Günzburg an die Staatsanwaltschaft Memmingen. „Wir selbst haben weder einen Pharmazeuten noch polizeiliche Befugnisse“, begründete Landratsamtssprecher Karl-Heinz Thomann den Behördenweg. Das Landratsamt hat Hinweise aus der Bevölkerung erhalten, wie unsere Zeitung erfuhr. (mit zg)

    Um diese Mittel geht es

    Procain (Inhalt lt. Deklaration: Procain HCl 200 mg, Natri-umascorbat ad 400 mg), Inhalt: 100 Kapseln, Datum: 04. Oktober 2018, EXP. 12/20, Ch.-Nr.: 334855

    Roter Reisschalenextrakt (Inhalt lt. Deklaration: Roter Reisschalenextrakt 300 mg), Inhalt: 90 Kapseln, Datum: 28. Juni 2019, EXP. 07/21, Ch.-Nr.: 342365

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