Kaum ist das bronzene Stadtmodell von Günzburg enthüllt, da kommen schon die ersten Neugierigen. Schnell zur Stelle sind die zehnjährige Selin und die elfjährige Dorontina. Selin, die in der Nähe der Frauenkirche wohnt, schaut sich in der Miniaturstadt um, entdeckt das Schloss und drückt ihre Finger auf das Rathaus. Ihre Freundin sucht währenddessen, ob sie das Haus findet, in dem sie wohnt. „Uns gefällt das Modell sehr gut“, sagen beide. Selin klopft mit der Hand auf die Oberfläche und fragt: „Aus welchem Material ist das?“
Es ist aus Zehner-Zinn-Bronze, im Volksmund auch Goldbronze genannt, berichtet Künstler Egbert Broerker aus Soest (Nordrhein-Westfalen). Er hat vor 30 Jahren diese Art des Blindenstadtmodells entwickelt. Mehr als 100 solcher Kunstwerke hat er seitdem für viele Städte in Deutschland und Europa schon gestaltet. Im Landkreis ist dieses Stadtmodell „zum Fühlen, Sehen und Begreifen“ bislang einzigartig. Die nächsten vergleichbaren Modelle stehen in Ulm, Kaufbeuren, Irsee und in München vor der Frauenkirche. Zehn Monate Arbeit stecken in dieser Arbeit, die ab sofort von jedermann begutachtet und berührt werden kann.
Auf einem Sockel an der Ecke Marktplatz/Zur Wätte wird die gesamte Günzburger Altstadt maßstabsgetreu gezeigt – ein Gebiet vom AOK-/Sparkassen-Gebäude bis zur Kirche St. Martin am Pfarrhofplatz, von der Maria-Ward-Realschule in der Schützenstraße bis zum Altenheim der Heiliggeist-Spitalstiftung in der Unterstadt. Dazwischen stehen Kirchtürme, Häuser, Straßen usw., Bäume und Wasserläufe sind dargestellt. Alles ist beschriftet – auch in Blindenschrift.
„Das Stadtmodell stellt eine echte Bereicherung unserer Günzburger Innenstadt dar“, sagt Oberbürgermeister Gerhard Jauernig. Es sei als Blindenstadtmodell konzipiert und ausgeführt worden. Jauernig: „Durch die Verbindung von haptischer Erlebbarkeit der Stadtkonturen in Verbindung mit Blindenbeschriftung wird den Sehbehinderten im wahrsten Sinne des Wortes auf eindrückliche Art eine Orientierung und Erfahrung der Konturen unserer Altstadt ermöglicht.“
Das Stadtmodell diene aber nicht nur den Menschen mit Sehschwäche oder Behinderung, sondern stelle auch für Besucher und Touristen eine „wundervolle Gelegenheit“ dar, sich einen Überblick über die Stadt zu schaffen, meint der Rathauschef. „Der Einheimische kann sich anhand der Miniatur an seiner Heimatstadt erfreuen und den Gassen nachspüren.“ Als Standort sei bewusst die belebte Mitte der Altstadt gewählt worden. Jauernig: „Das Stadtmodell, quasi ein PPP-Modell, entspricht unserem Ansatz für ,Leben findet innen Stadt’. Ziel ist es, die Innenstadt in Zusammenarbeit zwischen privater und öffentlicher Hand zu entwickeln.“
Die Sparkasse Günzburg-Krumbach und der Lions Club Günzburg haben das Modell finanziert. Lions-Präsident Horst Walz räumt ein, dass es nicht unumstritten gewesen sei, angesichts einer Gesamtspendensumme von 60000 bis 70000 Euro, die der Club im Jahr vergibt, so viel Geld für ein Kunstwerk zur Verfügung zu stellen. Man habe sich mehrheitlich dafür entschieden. „Die Lions helfen eben nicht nur sozial Schwachen, sondern unterstützen auch den Kulturbereich“, so Walz. „Wir freuen uns, dass etwas Bleibendes erschaffen wurde“, sagt Sparkassenchef Walter Pache. Das sei in einer Zeit, in der so viel digital stattfindet, umso beachtlicher.
Bei dem Sockel handelt es sich nach Angaben von Steinmetz Wolfgang Hummel um historische Sandsteine des Vorgängers der abgebrochenen Donaubrücke an der B16. Sie sei um 1880 erbaut worden. Die Steine seien sehr dauerhaft. Selin klopft hin und nickt. Fünf davon wurden laut Hummel als Unterbau für das Modell verwendet.