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Geschichte: Warum musste Ernst Lossa sterben?

Geschichte

Warum musste Ernst Lossa sterben?

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    Buchautor Robert Domes neben dem Bild Ernst Lossas, das der Junge, vor seinem gewaltsamen Tod, seinem Pfleger schenkte. Mit der Bitte – das Ende seines kurzen Lebens wohl vorausahnend – „um eine schöne Einsargung“.
    Buchautor Robert Domes neben dem Bild Ernst Lossas, das der Junge, vor seinem gewaltsamen Tod, seinem Pfleger schenkte. Mit der Bitte – das Ende seines kurzen Lebens wohl vorausahnend – „um eine schöne Einsargung“. Foto: Helmut Kircher

    Es war eine traurige Geschichte. Die Geschichte eines Euthanasie-Opfers, die die Volkshochschule Günzburg bei ihren 15. Reisensburger Schlossgesprächen präsentierte. Denn, so wollte es deren Vorsitzender Walter Czech verstanden wissen, sie konfrontiere uns mit Geschehnissen, die „uns bewusst machen, wozu ein Unrechtsstaat fähig ist!“

    „Nebel im August“ ist die Geschichte betitelt, ein Biografie-Roman aus der Feder des ehemaligen Journalisten und jetzigen Autors Robert Domes (55), wohnhaft zwar im Allgäu, doch ist sein Besuch hier fast so etwas wie ein Heimspiel. Geboren und aufgewachsen nämlich ist er in Oxenbronn. Mit seinem Buch habe er, so Czech, „dem mörderischen Vernichtungsprogramm der Nazidiktatur sozusagen ein Gesicht gegeben“. Das Gesicht, so wird der Autor im Laufe seiner Lesung darlegen, eines Kindes, Ernst Lossa mit Namen, das Aufstieg und Auswirkungen des Nazirassenwahns aus einem ganz besonderen Blickwinkel erlebt und erlitten hat. Von dem aus ganz unten nämlich. Dem von der Landstraße her. Vom ausgegrenzten Rand der Gesellschaft. Es beginnt im Planwagen, führt ins Waisenhaus, in verschiedene Erziehungsanstalten, und endet schließlich in einer „Irrenanstalt“, die in den 40er-Jahren zu einer der größten, grausamsten und unerbittlichsten Tötungsanstalten im Raum Schwaben wird. Warum aber, warum musste

    Der Anstoß zu seinem ersten Buch kam von dem ehemaligen Leiter des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, Dr. Michael von Cranach. Fünf Jahre akribischer Recherche in Akten, Archiven, Bibliotheken, Familienkreisen, Briefen und Privatdokumenten schlossen sich dem an. „Hätte ich diese aufwendige Zeitspanne geahnt“, stellt Domes seinen Ausführungen voran, „hätte ich das Ganze wahrscheinlich gar nicht erst begonnen.“ Um einen aus der Volksgruppe der Jenischen – damals lakonisch mit dem falschen Begriff „Zigeuner“ bezeichnet und damit im Sinne der Naziideologie bereits „lebensunwert“ – geht es in der von Domes mit unverkennbar sensiblem Gespür für Sprache und Dramaturgie nachgezeichneten Lebensgeschichte des Ernst Lossa. Er durchsetzt die biografisch chronologischen Fakten mit fiktiven Dialogen, Details und Szenen. Damit gelingt ihm ein ungemein lebendiges und Spannung erzeugendes Geschehen. Manchmal jeder Schwere enthoben, dann wieder erdenschwer gewichtig. Die Personen sind durchweg authentisch, größtenteils werden die Originalnamen verwendet. Zu berührender, erschütternder und seelentiefer Nachdenklichkeit führt die tragische Lebensgeschichte dieses, in der Tat freilich schwierigen, Jungen. Dessen Leben zu einem unkontrollierbaren Selbstläufer wird.

    Das, nach 14 Jahren vergeblicher Selbstwertfindung, der menschenverachtenden Nazi-Ideologie eines verblendenden Rassenwahns zum Opfer fällt. Domes lässt es durch kurze Lesepassagen aus seinem Buch, durch eingestreute, zeitgeschichtliche Hinweise und Informationen, immer wieder neu entstehen. Ohne stilistischem Leidensgefüge nachzuspüren, beschreibt er in klaren Sätzen, unsentimental und schnörkellos die Geschichte aus der Perspektive des Jungen. Schaut ihm quasi über die Schultern. Beschreibt seine relativ glückliche Zeit mit den Eltern, dem freien Leben des „fahrenden Volkes“ im Planwagen, den zwei Geschwistern, bald sollen es drei werden. Doch das ist dann bereits alles, was ihm sein Schicksal an kindlichem Glücksempfinden zu bieten hat. Die „neue Zeit“ wirft ihre braunen Schatten voraus.

    Weder behindert und schon gar nicht geisteskrank, landet er schließlich, von einer Gutachterin „beschlechtachtet“ als „asozialer Psychopath“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren und Irsee. Unter den Vergessenen dieser psychiatrischen Wegsperranstalt findet der Bub zum ersten Mal so etwas wie Geborgenheit und Freundschaft. Mit der gleichaltrige Nandl sogar einen zarten Hauch von Liebe. Kindlich, unschuldig, ein Kartenhaus der Träume. Das aber bald, den ehernen Gesetzen rassistischen Irrsinns folgend, zusammenfällt.

    Wie so viele „lebensunwerte“ Kinder, „verstirbt“ das Mädchen an der üblichen Krankheit „Lungenentzündung“. Verursacht durch die Injektion einer Überdosis Morphium-Scopolamin. Auf den Jungen wartete, nur wenige Tage später, dasselbe Schicksal. Warum?

    Die Jahre später erfolgte juristische Aufarbeitung der Vorgänge in psychiatrischen Krankenanstalten konnte – oder wollte? – darauf keine Antwort geben. Die Mordanklagen gegen Ärzte und Pfleger wurden zu „Anstiftung wegen Beihilfe zum Totschlag“ herabgestuft und mit milden bis überhaupt keinen Verurteilungen ad acta gelegt. „Es gab“, so Robert Domes beiläufig, „während der Nazizeit zwar mehr als 2300 getötete Patienten in den Anstalten Kaufbeuren und Irsee, doch so gut wie keine Täter!“

    im August“ – Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa. Erschienen im cbt-Verlag München ISBN 978-3-570-30475-4 Preis 7.95 Euro Der gleichnamige Film (Nach Motiven des Romans) läuft in Günzburg am 7. und 14. Dezember, in Offingen am 20. und 21. Dezember.

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