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Dürrlauingen/Günzburg: Schläge an der Bushaltestelle: Junge Männer aus Förderungswerk Dürrlauingen vor Gericht

Dürrlauingen/Günzburg

Schläge an der Bushaltestelle: Junge Männer aus Förderungswerk Dürrlauingen vor Gericht

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    An einer Bushaltestelle mitten in Dürrlauingen ist ein heute 17-Jähriger zusammengeschlagen worden. Der Fall kam nun vor Gericht.
    An einer Bushaltestelle mitten in Dürrlauingen ist ein heute 17-Jähriger zusammengeschlagen worden. Der Fall kam nun vor Gericht. Foto: Ingrid Grohe (Symbolbild)

    Natürlich das Förderungswerk, könnte man denken. Denn immer mal wieder stehen Jugendliche aus der Einrichtung in Dürrlauingen vor Gericht, mal wegen größerer und mal wegen kleinerer Delikte. Dass jedoch jeder ganz individuell betrachtet werden muss, hat sich auch beim aktuellen Jugendschöffengerichts-Prozess am Günzburger Amtsgericht gezeigt. Angeklagt waren ein zur Tatzeit im März vergangenen Jahres 19-, 20- und 22-Jähriger. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Jugendlichen an einer Bushaltestelle im Ort angegriffen und auf ihn eingeschlagen zu haben. Einer soll ihm sogar mit Anlauf in den Bauch gesprungen sein.

    Das Opfer, ein heute 17-jähriger Schüler aus Dürrlauingen, erzählte vor Gericht, dass er damals mit zwei Bekannten an der Bushaltestelle gesessen sei, als er laute Musik in der Nähe hörte. Als sich die drei nun angeklagten jungen Männer näherten, habe er sie gefragt, warum das so laut sein müsse. Da seien sie aneinandergeraten, er sei schließlich geschlagen worden. Als er im Gerangel die Baseball-Kappe eines der dreien in der Hand hatte und dieser sie zurückhaben wollte, habe er sie auf den Boden geworfen. „Damit habe ich wohl provoziert“ und sie hätten weiter auf ihn eingeschlagen.

    Richter zum Angeklagten: "Das sind ja Hänflinge im Vergleich zu Ihnen"

    Auf die Frage des Vorsitzenden Walter Henle, warum ihn die Musik gestört hatte, antwortete der Schüler, dass seine kleineren Geschwister öfters wach würden, weil jemand mit lauter Musik vorbeigehe. Es sei nun zwar vor 22 Uhr gewesen – laut Anklage gegen 21 Uhr –, „aber das musste ja trotzdem nicht sein“. Er sei nicht aggressiv gewesen, „ich war nicht auf Krawall aus“. Aber es könne sein, dass die Gruppe seine Frage anders aufgefasst habe. Einer habe ihn gefragt, ob ihm das Dorf gehören würde. Wer dann mit den Schlägen begonnen hat und wer konkret was getan hat, konnte der 17-Jährige zunächst nicht genau sagen. Er habe jedenfalls am ganzen Körper Schläge gespürt, „von einer Person allein können sie nicht gekommen sein“. Vor allem seine linke Gesichtshälfte und der Magenbereich seien getroffen worden. Wirklich gewehrt habe er sich nicht.

    Das konnte Richter Henle nicht verstehen, „das sind ja Hänflinge im Vergleich zu Ihnen. Wenn ich Sie sehe, würde ich denken, mit dem lege ich mich besser nicht an“. Doch das Opfer meinte, niemand zu sein, der auf Streit aus sei. Der Schüler identifizierte schließlich den damals 20-Jährigen als denjenigen, der mit den Schlägen begonnen habe.

    Eine Entschuldigung und 200 Euro Schmerzensgeld

    Auf die Frage, warum er bei der Polizei gesagt hat, dass er kein Interesse daran habe, dass die Täter strafrechtlich verfolgt werden, meinte das Opfer: „Man hört ja öfter, dass was im Nikolausheim ist und das dann eingestellt wird. Ich wollte mir den Stress ersparen“, bei der Polizei und bei Gericht auszusagen. Und danach gefragt, warum er nach der Tat gesagt habe, keinen der Angreifer zu kennen und nun umgeschwenkt ist, antwortete der Schüler, dass er sie zwar vom Sehen her kenne, aber nicht ihre Namen.

    Vom 20-Jährigen habe er jedenfalls einen Entschuldigungsbrief und 200 Euro Schmerzensgeld bekommen, damit sei die Sache für ihn auch erledigt. Auf die Frage des Richters, ob es sein könne, dass er den jungen Mann später zusammen mit anderen überfallen und zusammengeschlagen habe, wollte sich der 17-Jährige nicht äußern. Aber was er sagte: Vom damals 22-Jährigen sei er an der Bushaltestelle getreten worden, das habe er an dessen farblich markanten Schuhen erkannt – die habe der schon getragen, als sie zusammen auf einer Schule gewesen seien. Das Gesicht habe er dann auch noch erkannt. Was der Dritte gemacht hat, wisse er aber nicht.

    Zeugenaufruf in der Zeitung führt zu den drei jungen Männern aus Dürrlauingen

    Die zwei Bekannten, beide 2003 geboren, mit denen er damals an der Bushaltestelle war, schilderten den Ablauf anschließend unterschiedlich. Einer von ihnen konnte sich nicht mehr wirklich an das erinnern, was geschehen war. Allzu sehr eingemischt hätten sie sich auch nicht, als der Bekannte verprügelt wurde.

    Das Förderungswerk in Dürrlauingen (Vordergrund).
    Das Förderungswerk in Dürrlauingen (Vordergrund). Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Ein Polizist sagte aus, dass man auf das Trio gekommen sei, weil sich jemand aus dem Förderungswerk nach einem Zeugenaufruf in der Zeitung bei ihnen gemeldet habe – die jungen Männer hätten damals alle im Nikolausheim gewohnt und seien abgängig gewesen. Zwei leben übrigens immer noch hier, der damals 22-Jährige inzwischen nicht mehr. Trotz der Empfehlung der Beamten habe das Opfer keinen Arzt aufgesucht und habe auch gesagt, die Täter nicht zu kennen. Der Polizist sagte, er habe den Eindruck, dass es eine Vorgeschichte zwischen den Beteiligten gegeben habe.

    Die jungen Männer sind der Justiz schon bestens bekannt

    Alle drei Angeklagten hatten nicht zum ersten Mal mit der Justiz zu tun. Der zur Tatzeit 20-Jährige hat drei Voreinträge im Bundeszentralregister wegen Diebstahls sowie gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung in mehreren Fällen. Zudem sei er erst kürzlich der vorsätzlichen Körperverletzung in drei Fällen schuldig gesprochen worden. Tatort war der Zentrale Omnibusbahnhof in Ulm – die Opfer mieden diesen Ort zu später Stunde noch immer, so sehr stecke ihnen der Vorfall in den Knochen, sagte der Richter. Das Adoptivkind mit geringem Intelligenzquotienten hat mehrere Wechsel von Schulen und Hilfseinrichtungen hinter sich und lebt seit 2017 in Dürrlauingen. Dort entwickele er sich inzwischen gut, aber gerade unter dem Einfluss von Alkohol verliere er die Kontrolle – er habe einen falsch verstandenen Beschützerinstinkt. Doch seine Motivation, sein Leben in den Griff zu bekommen, werde als groß geschildert, erklärte Henle.

    Beim damals 22-Jährigen sehe die Sache anders aus: Zwar hat auch er drei Voreinträge wegen Diebstählen und Körperverletzungen, doch er sei drogenabhängig und nicht mehr in Dürrlauingen. Auch drei Einträge hat der Dritte, damals 19, dabei ging es um die vorsätzliche unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln, Hehlerei und Beleidigung.

    Einer der Angeklagten muss sich auch wegen Beleidigung von Polizisten verantworten

    Die Jugendgerichtshilfe sieht beim 20-Jährigen ebenfalls einen guten Werdegang in Dürrlauingen, in der Ausbildung sei er mit das „beste Pferd im Stall“, wie man dort sage. Er habe seine Freunde beschützen wollen und falsch reagiert. Seine Sozialprognose sei günstig. Die sei beim zweiten Angeklagten hingegen mehr schlecht als recht, eine Mitarbeit sei von ihm nicht zu erwarten. In der Erwartung, jetzt ohnehin ins Gefängnis zu müssen, hänge er nur noch rum. Günstig sei die Prognose wiederum beim dritten Angeklagten. Er war übrigens auch wegen der Beleidigung von Polizeibeamten in anderer Sache angeklagt – noch in der selben Nacht hatte er sich bei ihnen entschuldigt.

    Anwältin: Erst das Förderungswerk Dürrlauingen sei an ihren Mandanten rangekommen

    Die Staatsanwältin zeigte keinen Zweifel an den Aussagen der Zeugen, bis auf den letzten Angeklagten hätten sich die Vorwürfe bestätigt. Dieser sei nur wegen der Beleidigung zu verurteilen, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit und zwei Freizeitarreste sollten reichen. Angesichts der hohen Rückfallgeschwindigkeit des ersten Angeklagten müssten bei diesem eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und ein Antiaggressionstraining schon sein. Beim Zweiten sei eine Bewährung nicht mehr möglich: Er solle eine Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten erhalten.

    Das Günzburger Amtsgericht.
    Das Günzburger Amtsgericht. Foto: Bernhard Weizenegger

    Die Anwältin des 20-Jährigen, Dorothee Messer, bat um eine Bewährungsstrafe für ihren Mandanten. Das Förderungswerk sei die einzige Einrichtung, die an ihn herangekommen sei, und er sei auf einem guten Weg. Der Anwalt des 22-Jährigen, Mehmet Pektas, sah keinen Nachweis für die Schuld des Angeklagten, es gebe Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Und im Zweifel sei er eben freizusprechen. Einen Freispruch in Sachen der Körperverletzung forderte Matthias Egger für seinen Mandanten, da dieser daran nicht beteiligt gewesen sei. Für die Beleidigung reiche eine Arbeitsauflage. Bis auf diesen jungen Mann, der sich erneut entschuldigte, wollte sich keiner der Angeklagten äußern. Der 20-Jährige holte zwar aus, etwas zu einem Überfall auf ihn zu sagen, wurde aber von seiner Anwältin gebremst.

    Einer der drei jungen Männer muss ins Gefängnis, wenn es nach dem Amtsgericht geht

    Und so sprach das Jugendschöffengericht den ersten und zweiten Angeklagten der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig. Der 20-Jährige erhielt eine Bewährungsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie weitere Auflagen, der 22-Jährige eine Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung – er sei „völlig wurzellos“, die erheblichen Erziehungsdefizite müssten jetzt mit viel Zeit im Strafvollzug nachbehandelt werden. Es sei die einzige Chance, noch an ihn ranzukommen. Der 19-Jährige wurde mit 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit verwarnt. Er nahm das Urteil an, hier verzichtet auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel. Bei den anderen ist es noch nicht rechtskräftig.

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