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Dorfserie (10): In Remshart bedeutet die Gemeinschaft noch etwas

Dorfserie (10)

In Remshart bedeutet die Gemeinschaft noch etwas

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    Umgeben von Feldern, Wiesen und Bäumen und mit dem Silbersee in unmittelbarer Nähe liegt Remshart sehr idyllisch.
    Umgeben von Feldern, Wiesen und Bäumen und mit dem Silbersee in unmittelbarer Nähe liegt Remshart sehr idyllisch. Foto: Ulrich Wagner

    Die Fahnen des FC Bayern München, von Borussia Mönchengladbach, der Frankfurter Eintracht und des FC Heidenheim hängen „friedlich“ nebeneinander. Was woanders undenkbar wäre, stört hier niemanden. Es ist eben die „Bayerische Friedensstraße“, leben und leben lassen könnte das Motto sein. Auf dem Campingplatz am Silbersee, wo eine der Reihen diesen inoffiziellen Namen bekommen hat, weil dort viele Bayern ihre Wohnwagen haben, kann alles, ohne dass etwas muss – solange man sich an die Platzordnung hält.

    Die Dauercamper haben hier eine schöne Gemeinschaft und machen viel zusammen, erzählt Corina Seizinger. Aber wer mal lieber Zeit für sich haben möchte, kann sie haben. Kein Problem. Ihre Familie ist mit vier Generationen vertreten, sie selbst ist die zweite. Auch Vater Günter, ihre Tochter und deren Nachwuchs fühlen sich hier wohl. „Man ist einfach frei.“ Friedrich Spielberger, den alle Fritz nennen, hat seinen ersten Wohnsitz auf dem Platz, der zu Remshart gehört. „Als Rentner geht das ja.“ Auch im Winter wohnt er hier. Seit die Anlage vor 20 Jahren eröffnet wurde, ist er dabei. Auf dem vorherigen Areal, das heute die Liegewiese des Sees ist, war er auch lange.

    Insgesamt gibt es 101 Plätze für feste Camper und gut zehn für Tagesgäste. Für Letztere ist das Gelände vom 1. April bis 15. Oktober geöffnet. Die Warteliste für feste Plätze ist lang, 34 Fremde und neun Familienmitglieder von Dauergästen stehen darauf – die „eigenen“, wie Spielberger sie nennt, bekommen den Vorzug. Der Großteil der Leute hier kommt aus dem Württembergischen, ansonsten aus der näheren Umgebung. Aber auch internationale Urlauber sind zu finden, das Legoland spielt wie in der ganzen Gegend eine zunehmend große Rolle.

    Beim italienischen Restaurant wachsen Weintrauben

    Iris Lux ist die Zweite Vorsitzende des Vereins der Campingfreunde, der sich mit zwei Verwaltern um den Platz kümmert. Als die Autobahn ausgebaut wurde, erinnert sie sich, wohnten auch viele Arbeiter hier. Das Revisionspersonal des Kernkraftwerks spiele auch eine Rolle, aber nicht mehr so eine große wie früher. Für sie selbst macht die Lage am See das Besondere des Platzes aus, der entstand, weil Bodenschätze ausgebeutet wurden. Auch Marco Iavazzi, der Pächter des Restaurants an der Zufahrt, schätzt „den ruhigen, schönen Platz am Wasser“.

    Seit 1999 ist er hier, vorher betrieb er in Günzburg ein italienisches Restaurant. Er habe einige langjährige Gäste vom Campingplatz, „es ist eine schöne Gemeinschaft“. Unter der Terrassenüberdachung gedeihen Weintrauben. Sie sind älter als 30 Jahre, er hat sie vom Vorgänger übernommen und gut gepflegt. Bis zu 100 Liter Rosé lassen sich aus ihnen gewinnen. Im Sommer beschäftigt er bis zu sieben Mitarbeiter und mehrere Aushilfen, in der Freizeit trainiert er die Fußballspielgemeinschaft von Rettenbach, Gundremmingen und Offingen. Das Miteinander ist eben sein Ding, egal ob im

    Sonntags nach der Kirche trifft man sich - nach Geschlechtern getrennt

    Diese Gemeinschaft ist auch das, was Remshart in besonderem Maße ausmacht. Das Dorf, das zu Rettenbach gehört, hat zwar nur gut 300 Einwohner, aber eine Feuerwehr, einen Obst- und Gartenbauverein und die Faschingsfreunde. Ehrenamtlich bringen sich auch andere ein, und sonntags nach der Kirche ist es ein festes Ritual, dass man sich auf dem Platz davor trifft – Männer und Frauen in zwei getrennten Grüppchen – und sich darüber austauscht, was so los ist im Ort. Danach geht es für die Herren zum Frühschoppen in den Pfarrstadl, der in Eigenregie bewirtet wird und für alle möglichen Feiern genutzt werden kann. Und die Damen machen sich auf den Heimweg, um das Mittagessen zu kochen.

    Der Dorfplatz ist der zentrale Treffpunkt zu jeder Jahreszeit, sei es zum Maibaumaufstellen, zum Präsentieren der Erntedankkrone, zum Christbaumherrichten oder in der Silvesternacht. Dass es schon seit Jahrzehnten kein Gasthaus mehr gibt und unklar ist, was aus dem alten Gebäude wird, lässt sich somit besser verschmerzen. Auch die ehemalige Schule neben der früheren Wirtschaft steht leer, dafür wird das neuere Schulhaus in der Nähe, wo ebenfalls niemand mehr unterrichtet wird, von den Vereinen genutzt oder auch für ein Public Viewing bei großen Fußballturnieren. Gerade für die Älteren ist es ein Vorteil, dass ein Bäckerwagen im Ort Station macht.

    Ein Münchner in Remshart

    Das Miteinander zeigt sich aber auch daran, dass die Dorfgemeinschaft beim Erneuern des Spielplatzes angepackt hat und Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Hecken auf öffentlichem Grund schneiden. Was woanders der Bauhof erledigt, macht man hier selbst. „Dieses Privileg lassen wir uns nicht nehmen“, sagt Alois Brunhuber, der sein ganzes Leben lang – 67 Jahre – in Remsart lebt und bis 2008 Bürgermeister in Offingen war. Auch wer später hierher zog, sei gut integriert. Beispielsweise Martin Erdle. Der ist Münchner durch und durch und war früher eigentlich nur mal zu Besuch in Remshart, heute will er aber nicht mehr weg von hier. Die Miete in der Landeshauptstadt könne sich ja eh keiner mehr leisten, sagt er, und hier hat er viel Platz, um mit seinen Hunden lange Spaziergänge zu unternehmen. Er lebt in einem Viertel, in dem in den 70ern Münchner Wochenendhäuser hatten, im Ruhestand wurde daraus für manchen die dauerhafte Bleibe.

    Josef Hanel hingegen kam im Alter von fünf Jahren als Heimatvertriebener in den Ort, heute ist er 77. Auch er schätzt die Gemeinschaft im Dorf, bloß mancher Jüngere mache sich daraus leider nicht mehr so viel. Er selbst hatte sich unter anderem als Gemeinderatsmitglied von 1972 bis 2002 eingebracht und ist heute einer von drei Ehrenringträgern der Gemeinde, einer Auszeichnung für besonderes Engagement. Beruflich war er Chef der früheren Volksbank Burgau und von seinem Balkon aus überblickt er die ehemalige Staatsstraße, auf der nicht mehr allzu viele Fahrzeuge unterwegs sind. Die Umgehung sei, neben der Dorferneuerung, ein Segen für den Ort. Die Gemeinde finanzierte sie übrigens vor und übergab sie an den Freistaat.

    Wilder Westen an der Kammel

    An der früheren Staatsstraße liegt auch die alte Mühle. Birgit Seif hat hier eingeheiratet, hauptberuflich arbeitet sie in Ursberg als Kinderpflegerin. Nach und nach baute sie sich im alten Pferdestall und später in der angrenzenden Melkkammer sowie im Gebäude, wo Kälber untergebracht waren, ein Geschäft für Floristik und Dekoration auf. Das Können dafür eignete sie sich selbst an.

    Die Mühle wurde 1980 aufgegeben, die Tierhaltung 1999/2000. Dafür läuft das Wasserkraftwerk weiter, der Mühlkanal wird von der Kammel gespeist. Und einmal im Jahr findet auf der Insel des Grundstücks ein privates Tipifest für Einheimische statt. Wilder Westen in Remshart, sozusagen. Gekauft wurde die Mühle 1811 aus dem Besitz des Barons von Riedheim, Birgit Seifs Schwiegervater war der letzte Müller. Auch heute noch ist die Familie von Riedheim bedeutend in der Region. Sie hat nach wie vor viele Flächen, die sie auch bewirtschaftet.

    Vom Wasserschloss steht noch der Stadel - in Rettenbach

    Längst verschwunden ist das Remsharter Wasserschloss, das ganz in der Nähe stand. Die dortige Straße trägt den Namen Schlossgarten, Hügel und Graben sind zu erahnen. Doch von dem um 1910 abgebrochenen Anwesen ist nichts übrig, nur eine Infotafel erinnert daran. Immerhin gibt es den früheren Stadel noch – wenn auch in Rettenbach. 1980/81 wurde er dort am Ortsrand nach einem „Umzug“ wieder aufgebaut, erzählt Schäfer Anton Briegel, der hier noch als Hobby 40 Schafe hält. Seine Herde mit 350 Tieren gab der jetzt 78-Jährige 1998 ab, Schwester Luise und Nachbar Vincenz kümmern sich mit ihm um die verbliebenen.

    Im und am Stadel stehen zwei alte Schäferwagen. Briegel, seit 24. Juli 1954 Schäfer – sein Vater kam in den 1920ern nach Rettenbach als Lohnschäfer –, schlief in einem davon in der Nacht, wenn die Schafe um Rettenbach, Remshart und Harthausen standen. Sie bedeuten ihm viel: „Das Schaf ist ein heiliges Tier“. Der Wandel der Landwirtschaft stimmt ihn nachdenklich, in Remshart gibt es nur noch zwei Landwirte. Doch vielleicht führt Vincenz die Tradition, zumindest als Hobby, fort. Man steht eben zusammen.

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