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Bibertal: Verschmutztes Trinkwasser: Kissendorf und Silheim im Ausnahmezustand

Bibertal

Verschmutztes Trinkwasser: Kissendorf und Silheim im Ausnahmezustand

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    Alles andere als Alltag in der Gemeinde Bibertal: An der Grundschule Kissendorf hat die Feuerwehr am Freitag- und Samstagabend Trinkwasser für die betroffene Bevölkerung ausgegeben.
    Alles andere als Alltag in der Gemeinde Bibertal: An der Grundschule Kissendorf hat die Feuerwehr am Freitag- und Samstagabend Trinkwasser für die betroffene Bevölkerung ausgegeben. Foto: Till Hofmann

    Es ist kurz nach 20 Uhr am Samstagabend. Und Verena Heinz steht mit nassen Haaren und FFP2-Maske in einem Hotelzimmer im ersten Stock des Landgasthofs Waldvogel. Gebucht hatten sie und ihr Freund und ihre Mutter – kein Zimmer, das ist ja nach wie vor in der Corona-Pandemie nur Geschäftsreisenden vorbehalten. Das Trio hat sich auf zwei Zimmer aufgeteilt, um zu duschen.

    Nach Leipheim mal so eben ins Hotel zur Körperpflege fahren, obwohl die Drei nur wenige Kilometer entfernt wohnen und zuhause auch über Waschbecken, Dusche und Badewanne verfügen. Das ist kein Spleen von Verena Heinz und den Anderen. Denn natürlich würden sie viel lieber in den eigenen vier Wänden die Brause aufdrehen, wann immer sie wollen.

    Wasser in Bibertal roch modrig

    Aber das geht nicht, schon seit fast einer Woche nicht. Am vergangenen Montag, es war der späte Nachmittag, haben drei Bürger in der Gemeindeverwaltung Bibertal angerufen, ihr Wasser würde so modrig riechen. Ab diesem Zeitpunkt war in den beiden Bibertaler Ortsteilen Kissendorf und Silheim nichts mehr wie es war. Denn das Trinkwasser ist zum Teil erheblich mit Keimen belastet. E.coli-Bakterien liegen wohl in hoher Konzentration vor, die Infektionen auslösen können. Mit Enterokokken ist ebenfalls nicht zu spaßen. Die haben das Potenzial, Blutvergiftungen, Herzbeutelentzündungen oder Harnwegsinfektionen hervorzurufen.

    Ein dritter Erreger, Pseudomonas aeruginosa, auch als Krankenhauskeim bekannt, ist entgegen einer mündlichen Aussage des Labors der Landeswasserversorgung Baden-Württemberg mit Sitz in Langenau doch nicht nachgewiesen worden. Das ist jedenfalls der aktuelle Stand von Bibertals Bürgermeister Roman Gepperth. Im Laufe des Montags weiß er mehr, sagt der Verwaltungsfachmann, der seit knapp über einem Jahr die Geschicke der Flächengemeinde mit elf Ortsteilen leitet. Dann sollen die Resultate der ersten sechs, an unterschiedlichen Stellen genommenen Proben (drei in Kissendorf, drei in Silheim) ausführlich und in schriftlicher Form vorliegen. Und auch die zweite Probenserie vom Freitag soll dann analysiert sein.

    Mehrere Rohre waren zuvor gebrochen

    Klar ist: Das Wasser, das von der Wasserversorgung Rauher-Berg-Gruppe in Pfaffenhofen (Landkreis Neu-Ulm) kommt, ist sauber – und wird im Laufe des Transports verunreinigt. Im Verdacht stehen derzeit mehrere Wasserrohrbrüche vom vorvergangenen Donnerstag und Freitag. Die zerborstenen Asbest-Zement-Rohre sind durch Kunststoffrohre ersetzt worden. Aber könnte beim Zusammenflicken ein Eintrag von außen ins System gelangt sein? Oder hat sich durch den Wasserdruck beim Wiederanfahren etwas gelöst, das das Trinkwasser zum ungenießbaren Gut macht? Bisher gibt es nur Fragen, aber keine Antworten.

    Die Duschprobleme haben Hans und Hannelore Weiner mit Hilfe ihres Sohnes Helmut gelöst. Der wohnt mit seiner Familie in Burgau und stellt nicht nur Dusche und Waschmaschine zur Verfügung. Seine Frau hat den Schwiegereltern im Verbrauchermarkt auch fünf Liter fassende Plastikwasserflaschen gekauft. Der Inhalt kann beispielsweise fürs Kochen verwendet werden. Ob es denn wieder Probleme mit dem Wasser gebe, erkundigte sich die Kassiererin erschrocken und meinte die Markgrafenstadt selbst. Dort mussten die Bürger der Kernstadt und von Oberknöringen im April ihr Trinkwasser mehrere Tage lang vorsorglich abkochen. Die Schwiegertochter der Weiners konnte an der Kasse des Supermarktes für Burgau und sehr zur Erleichterung der Kassiererin Entwarnung geben.

    Wasser aus dem Hahn darf nicht benutzt werden

    Die gilt freilich weder für Silheim noch für Kissendorf, wo der 77 Jahre alte Weiner und seine um ein Jahr jüngere Ehefrau wohnen. Beide nehmen es, wie es kommt. Hannelore Weiner sagt: „Wir wissen uns zu helfen, schließlich sind wir alte Camper.“ Erst im Zelt, später im Wohnwagen und bis vor zehn Jahren im Wohnmobil. Da sei man gewohnt, sich auf das Nötigste zu beschränken. Hans Weiner lacht, wenn er im Wintergarten von seinem kleinen Missgeschick berichtet, das ihm widerfuhr: Wasser aus dem Hahn ist ja tabu, um damit in der Maschine den Pulverkaffee zu lösen.

    Hans Weiner vor dem Wasserhahn in der Küche, der zurzeit nicht benutzt wird.
    Hans Weiner vor dem Wasserhahn in der Küche, der zurzeit nicht benutzt wird.

    Also habe er beherzt zu einer Mineralwasserflasche gegriffen – Teil jener Wasserration, die von der Feuerwehr am Freitag- und Samstagabend ab 18 Uhr zwei Stunden lang am Parkplatz der Kissendorfer Grundschule an Betroffene verteilt worden ist. Um es kurz zu machen: Die Kohlensäure im Mineralwasser hat in Kombination mit der Kaffeemaschine die Küche in ein wahres Schlachtfeld verwandelt.

    Wie im Drive in

    Für die Weiners ist es ein Katzensprung zur Wasser-Abholstelle. Die meisten aber kommen mit dem Auto. Die Verriegelung des Kofferraums ist bereits gelöst, wenn den Menschen von den Kräften der Feuerwehr bedeutet wird, sie sollen zu den Getränkewagen der Brauerei vorfahren. Die hat zwei Transporter stehen lassen und die Schlüssel für die Fahrzeuge ausgehändigt. Wenn eine weitere Lieferung benötigt werde, solle man einfach rechtzeitig anrufen. Ein Lastwagen voller Wasserkisten wird dann gebracht; und dafür ein anderer, dessen Ladung ausgeräumt und in den Autos verstaut worden ist, mitgenommen. Alles kontaktlos und unkompliziert, vor allem aber „ein Zeichen des Vertrauens der Brauerei uns gegenüber“, lobt der Bürgermeister.

    Im Waldvogel in Leipheim reicht Chefin Stefanie Pröbstle ihren Dusch-Gästen Handtücher. Verena Heinz und Anton Rupp waren zwei von ihnen.
    Im Waldvogel in Leipheim reicht Chefin Stefanie Pröbstle ihren Dusch-Gästen Handtücher. Verena Heinz und Anton Rupp waren zwei von ihnen.

    Gepperth ist, wie er selbst sagt, inzwischen im „K-Modus“. Mit dem Buchstaben kürzt er das Wort „Katastrophenschutz“ ab. Vor der Wahl zum Bürgermeister im März des vergangenen Jahres war er im Landratsamt für eben jenen Katastrophenschutz in der Behörde mit zuständig. Das bringt in dieser Situation den Vorteil, dass der Mann mit den Abläufen vertraut ist und die Anlaufstellen kennt.

    Sehen Sie sich im Video an, wie die Feuerwehr das Wasser kontaktlos an die Bevölkerung gebracht hat:

    Zehn nach Zwölf war er am Freitag aus der Krisenbesprechung im Günzburger Landratsamt wieder zurück. Keine sechs Stunden später wurden an der Grundschule bereits die ersten Wasserkisten für drei Tage ausgegeben. Am Montag steht der nächste „Wassereinsatz“ der Ortsteilfeuerwehren an. Ob Heinz Molle, 74, mit einem Auto dann wieder wie am Samstag bereits um 17.30 Uhr dasteht und als Erster bedient wird? Molle belohnte sich mit halbstündigen Warten selbst. Denn danach ging’s gleich „zum Vesper“, wie er ankündigte.

    Seit Samstag schnurren vier Waschmaschinen in den leeren Wohncontainern nahe der Bühler Feuerwehr, in denen Asylbewerber untergebracht waren. Jetzt ist das ein temporärer Waschsalon. Zeit war sogar, ein eng beschriebenes Blatt mit 21 „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ auszulegen.

    Kanister und Milchkannen werden an Entnahmestelle gefüllt

    Wenige Kilometer weiter stehen die Familien Autenrieth und Sonderholzer an der Frischwasser-Entnahmestelle am Sportheim des FC Silheim und füllen Kanister und Milchkannen ab. Der Sportverein ist an die unbelastete Leitung angeschlossen, die nach Bühl führt.

    Die Familien Autenrieth und Sonderholzer füllen an einer Entnahmestelle in Silheim unbelastetes Wasser in Kanister um.
    Die Familien Autenrieth und Sonderholzer füllen an einer Entnahmestelle in Silheim unbelastetes Wasser in Kanister um.

    Es regnet. Es ist Pandemie. Ihren Humor haben die Familien dennoch nicht verloren, wenn sie über die aktuelle Wasserabstinenz, Corona und all die Belastungen sprechen. Gleichgültig zieht der Mähroboter auf dem Fußballfeld seine Bahnen.

    Zurück zu Verena Heinz und dem Dusch-Erlebnis im Hotel. „Es war toll. Ich habe mich riesig gefreut“, sagt sie und strahlt übers Gesicht. Das kann auch die Schutzmaske nicht verbergen.

    Lesen Sie auch den Kommentar von Till Hofmann:

    Vom Wasser und vom Wir-Gefühl

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