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Von nervig bis gefährlich: Wie umgehen mit Verschwörungserzählungen am Arbeitsplatz?

Von nervig bis gefährlich

Wie umgehen mit Verschwörungserzählungen am Arbeitsplatz?

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    Ihre Kollegin nervt Sie regelmäßig mit Verschwörungserzählungen? Dann kann es sinnvoll sein, klare Grenzen zu setzen - und entsprechende Themen am Arbeitsplatz künftig auszuklammern.
    Ihre Kollegin nervt Sie regelmäßig mit Verschwörungserzählungen? Dann kann es sinnvoll sein, klare Grenzen zu setzen - und entsprechende Themen am Arbeitsplatz künftig auszuklammern. Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn

    Der Kollege erzählt, dass Impfstoffe Mikrochips enthalten, die Kollegin sieht einen weltumspannenden Geheimbund am Werk? Sogenannte Verschwörungserzählungen sind auch hierzulande verbreitet. Das wurde besonders in den vergangenen Jahren rund um die Corona-Pandemie deutlich.

    Oft werden die Theorien über das Internet verbreitet. Hängen Kolleginnen oder Kollegen diesen an und wollen sie womöglich weitertragen, kann das auch das soziale Miteinander am Arbeitsplatz belasten.

    "Wir erleben sehr häufig, dass ein starker Verschwörungsglaube auch mit einem Predigerverhalten einhergeht. Dass man versucht, die anderen zu bekehren", sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty vom gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Sie forscht zu Verschwörungstheorien und hat gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun das Buch "True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft" geschrieben.

    Gespräch suchen, Grenzen setzen

    Auf solche Belehrungs- und Bekehrungsversuche zu reagieren, ist oft nicht einfach. Natürlich kann man probieren, die Aussagen des Kollegen oder der Kollegin faktisch zu entkräften. In der Regel helfen Fakten und Diskussionen aber nicht weiter, wenn man es mit einem geschlosseneren Weltbild zu tun habe, sagt Lamberty. "Dann führt das nur zu Streit, man arbeitet sich daran ab und kommt nicht weiter."

    Das Gespräch zu suchen, kann dennoch sinnvoll sein - etwa "um vielleicht Motivationen besser zu verstehen und der Person auch eine Chance zu geben, darauf zu reagieren", so Lamberty. Doch das mache man am besten ohne das feste Ziel, den Kollegen oder die Kollegin direkt überzeugen zu können. Wichtiger sei vielmehr ein Abklopfen: "Wo steht die Person eigentlich? Wie ist sie dahin gekommen? Und wie tief steckt sie im Thema?"

    Sinnvoll kann es dann auch sein, eine Beratungsstelle aufzusuchen und den konkreten Fall zu schildern. "Das können zum einen die Sektenberatungsstellen sein, das können spezifische Beratungsstellen gegen Verschwörungserzählungen sein oder die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus", so Lamberty.

    Denn klar ist: Einfache Lösungen, die für jede Situation gelten, gibt es nicht. Ist man mit der betreffenden Kollegin oder dem Kollegen befreundet, hat vielleicht eine humorvolle Ebene miteinander, könne man anders auf Verschwörungserzählungen reagieren, als bei einem Kollegen mit dem man rein beruflich zu tun hat, so Lamberty. Dann könne man auch sagen: "Hier ist eine Grenze für mich erreicht, ich möchte das nicht hören."

    Gemeinsam Regeln vereinbaren

    Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig, rät in jedem Fall, sich nicht provozieren zu lassen oder gar wütend zu reagieren. "Besser wäre es zu fragen: Was für Ziele verfolgt die Person damit oder was steckt dahinter?" Bringe jemand immer wieder Verschwörungsmythen bei der Arbeit an, könne auch der Wunsch nach Aufmerksamkeit dahinter stecken. "Und dann ist es gut zu signalisieren: Ich nehme dich wahr, auch wenn du das nicht machst."

    Kommt man mit Argumenten nicht weiter, empfiehlt Arbeitspsychologe Zacher, gemeinsam Regeln aufzustellen. Etwa, "dass über bestimmte Dinge wie Politik oder weltanschauliche Sachen nicht bei der Arbeit gesprochen wird, um die Beziehung aufrecht zu erhalten".

    Dabei sei es sinnvoll, aus einer "Ich-Perspektive" zu sprechen und "möglichst die eigenen Bedürfnisse und einen eigenen Wunsch ausdrücken, was das Thema angeht", so Zacher. Sagen könne man etwa: "Ich fände es gut, wenn wir dieses Thema bei der Arbeit aussparen könnten, weil es mir wichtig ist, mit dir gut zusammenzuarbeiten."

    Zeit, den Vorgesetzten oder die Vorgesetzte hinzuzuziehen, sei es aber in jedem Fall, "wenn die Person menschenfeindliche Inhalte äußert oder wenn sie vielleicht durch ihr Verhalten andere in Gefahr bringt", sagt Lamberty.

    Denn: Verschwörungsideologien wirken zwar oft seltsam. Nicht selten stecken hinter ihnen aber Antisemitismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, so die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb), die mit ihrem Flyer "Was tun gegen Verschwörungsideologien? Eine Hilfestellung für den Alltag, im Privat- oder Berufsleben, Unternehmen oder Verein" Tipps an die Hand gibt.

    Vorgesetzte informieren

    Auch wenn der Verschwörungsglaube des Kollegen oder der Kollegin droht, dem Unternehmen zu schaden, sollte man sich an den Vorgesetzten wenden. Zacher rät, dafür zu dokumentieren, "wie sich das Verhalten der Person zum Beispiel auf Kunden ausgewirkt hat oder auf ein Projekt".

    Zwar gilt: "Die Meinungsfreiheit macht kein Ende an der Bürotür oder an der Firmentür", so der Fachanwalt für Arbeitsrecht Peter Meyer. "Man darf also auch am Arbeitsplatz seine Meinung äußern." Und wer beispielsweise am Fließband Kolleginnen oder Kollegen Verschwörungstheorien erzählt, kann daran zunächst arbeitsrechtlich nicht gehindert werden. Doch im Einzelfall gibt es Grenzen.

    Beschweren sich die Kolleginnen oder Kollegen beim Arbeitgeber, weil sie sich belästigt fühlen, kann dies arbeitsrechtlich im Einzelfall eine Störung des Betriebsfriedens sein, auf die der Arbeitgeber mit einer Abmahnung reagieren kann, so Meyer.

    Werden trotz Abmahnung solche Verschwörungserzählungen wiederholt oder gar mit rassistischen Beleidigungen oder mit Beschimpfungen der Kollegen oder Kolleginnen am Arbeitsplatz verbunden, kann in Extremfällen sogar die verhaltensbedingte Kündigung drohen.

    Auch wer am Arbeitsplatz zum Umsturz aufwiegelt, muss mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen. Werden Verschwörungstheorien gegenüber Kunden geäußert oder teilt der Mitarbeiter diese in einer Funktion, in der er als Repräsentant des Unternehmens wahrgenommen wird, kann dies im Einzelfall auch eine Kündigung rechtfertigen.

    Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst gelten zudem noch einmal gesonderte Treuepflichten gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch das kann eine Rolle spielen.

    In jedem Fall rät Meyer, das Gespräch mit dem Vorgesetzten zu suchen, sollte man sich von den Verschwörungserzählungen gestört fühlen und ein Gespräch mit dem Kollegen oder der Kollegin keine Wirkung zeigen. "Dann ist der Arbeitgeber auch verantwortlich dafür, Verhaltensweisen zu fordern, die den Betriebsfrieden wahren."

    Literatur:

    Katharina Nocun, Pia Lamberty: "True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft", Quadriga Verlag, 176 Seiten, 12,00 Euro, ISBN: 978-3-86995-114-0

    (Von Jessica Kliem, dpa)

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