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Tierkolumne: Auch auf dem Friedhof gibt es viel Leben

Tierkolumne

Auch auf dem Friedhof gibt es viel Leben

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    Feldhamster sind in weiten Teilen Europas ausgerottet.
    Feldhamster sind in weiten Teilen Europas ausgerottet. Foto: Tanja Warter

    Friedhöfe haben ihre ganz eigene Stimmung. Sie sind düster und voller Trauer, trotzdem von einer besonderen Schönheit und Ruhe, tröstend und auch ein fixer Treffpunkt für viele Menschen. Hat man erst gelernt, Friedhöfe als Ort des Unabänderlichen zu akzeptieren, lässt sich der Blick vom Tod sogar auf das Leben des Friedhofs erweitern. Eine Katze schleicht zwischen den Grabsteinen umher. Ein Eichhörnchen rennt den Baumstamm hinauf. Eine Amsel trällert ihr Abendlied. Heutzutage sind naturnahe Friedhöfe wie Wohnzimmer für viele verschiedene Tierarten.

    Der zweitgrößte Friedhof Europas kann mit besonderer Artenvielfalt aufwarten. Auf dem zweieinhalb Quadratkilometer messenden Zentralfriedhof in Wien tummeln sich sogar Rehe und Dachse zwischen den Gräbern. Als ich gehört hatte, dass es dort auch Feldhamster geben soll, wurde ich richtig neugierig. Goldhamster, ja, die kenne ich als Haustiere durch meine Arbeit als Tierärztin gut, aber noch nie hatte ich einen Feldhamster in echt gesehen. Kein Wunder, sie sind in weiten Teilen Europas ausgerottet und an der Kippe, für immer von der Welt zu verschwinden.

    Die legendären Hamsterbacken tragen ihren Namen zu Recht

    Nahrungsknappheit durch immer bessere Erntemaschinen, verdichtete Böden, die zum Buddeln nicht mehr taugen und mangelnde Versteckmöglichkeiten vor Greifvögeln sind nur einige der Gründe. Cricetus cricetus ist seit 2020 eine vom Aussterben bedrohte Art. In Bayern gibt es letzte, kleine Populationen, beispielsweise in Unterfranken in den Landkreisen Würzburg, Kitzingen und Schweinfurt. In Wien aber leben die Tiere mitten in der Stadt. Also machte ich mich vor gut zwei Monaten auf die Reise.  

    Zentralfriedhof, Eingang Tor 2, später Nachmittag. Nach etwa zehn Minuten Fußmarsch erreichten wir eine größere, freie Wiese zwischen den Gräbern. Hier sollten sie sein. Gleich beim Betreten versank mein Fuß in einem Erdloch. Feldhamsterwohnungen liegen bis zu einem Meter tief unter der Erde und verfügen über mehrere Eingänge. Unterirdisch gibt es eine Schlafstube, eine Toilette und einen Vorratsraum, in dem eingelagert wird, was der Hamster über den Winter so braucht. In den legendären Hamsterbacken können die Tiere bis zu 50 Gramm Nahrung transportieren. Bei plusminus 500 Gramm Körpergewicht eine beachtliche Leistung.

    Friedhöfe sind häufig wichtige Biotope

    Ich war auf längeres Warten in der Dämmerung eingestellt, weil Feldhamster tagsüber schlafen, aber noch während ich den Fotoapparat auspackte, streckte der erste Friedhofsbewohner seine Nase aus der Erde. Er kam an die Oberfläche, wuselte durch das Gras, richtete sich auf und inspizierte die Umgebung. Sein Rücken gelbbraun, das Gesicht rötlich, unterm Bauch dunkelbraun, weiß an den Flanken und den Pfoten, hinten ein Stummelschwanz. Die bunte Färbung soll angeblich Feinden vermitteln: „Schau her, mein dunkler Bauch ist das tiefe, finstere Maul eines Raubtiers und meine weißen Pfötchen sind gefährliche Fangzähne. Bleib besser fern!“ Für mich ehrlicherweise schwer nachvollziehbar, aber ich bin ja auch kein Feind. Im Gegenteil: Ich war hingerissen.

    Noch fünf weitere bekam ich zu Gesicht. Mein Glückstag und für mich der Beweis: Geschützte Lebensräume wie der Zentralfriedhof sind für den Fortbestand der Art von enormer Bedeutung. Ohne massive Schutzmaßnahmen, so die Prognosen, könnten Feldhamster bis 2050, womöglich schon bis 2038 für immer verschwunden sein. In Bayern kämpfen zum Glück engagierte Menschen für die Lebensräume der putzigen Tiere. Und auch Wiens Friedhof, eigentlich für den Tod angelegt, bedeutet für sie das Leben. Ihre letzte Chance.

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