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Ein Jahr unterwegs: Unser Weltreisender verlässt Mexiko mit einer Grenzerfahrung

Ein Jahr unterwegs

Unser Weltreisender verlässt Mexiko mit einer Grenzerfahrung

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    Angekommen am Wasserfall Arból de navidad. 
    Angekommen am Wasserfall Arból de navidad.  Foto: Bastian Sünkel

    Am Ende laufe ich wieder über die Grenze. Etwa so, wie ich Anfang Mai nach Mexiko gekommen bin: zu Fuß, mit schwerem Rucksack, leichten Sentimentalitätsschüben und einem schleichenden Gefühl der Unsicherheit. Guatemala. Endlich. Unbekanntes Land.

    Nach viereinhalb Monaten in einem Land laufe ich vom Parkplatz auf der mexikanischen Seite einen schmalen Pfad entlang, vorbei an einem regenbogenfarbenen Sonnenschirm, unter dem Handyzubehör verkauft wird, und stehe schließlich in der Mitte einer lebhaften Straße zwischen zwei mächtigen Straßenschildern: „Bienvenido a México“, „Bienvenidos a Guatemala“. Ich überlege noch einen Moment, ob ich Mexiko wirklich verlassen will. Das Land hat mir mehr gegeben als Strandparty in Cancun und günstige Unterkünfte. Ich laufe auf das Guatemala-Schild zu, und damit ist es sicher: Nach fünfeinhalb Monaten gehe ich über die vierte Grenze meiner Reise. Ich lasse Freunde und Bekannte, unentdeckte Orte, ja auch einen Teil meines Lebens hinter mir. Rosa hätte mich in Oaxaca noch länger bemuttert. In San Cristóbal haben mich die Angestellten gefragt, ob ich mir vorstellen könne im Hostel zu arbeiten. Mariana schreibt, dass ich doch nicht vor dem Tag der Toten abhauen könne - dem Fest in Mexiko! Aber nein, ein Reisender muss reisen. Außerdem läuft das Visum Ende September nach 180 Tagen ab. Kontinuierlich sind allein die Abschiede. Hasta luego, México.

    In den Straßen von San Cristobal.
    In den Straßen von San Cristobal. Foto: Bastian Sünkel

    Sicher verstaut: die neue Kreditkarte

    In seltenen Fällen treten auch Begrüßungen überraschend regelmäßig ein. Shin schon wieder. Erst haben wir uns in Guadalajara kennengelernt und in Tequila keine Verkostung ausgeschlagen, später in Oaxaca auf dem Guelaguetza-Festival mit Mezcal angestoßen und nun steht sie vor mir in San Cristóbal 200 Kilometer von der Grenze zu Guatemala entfernt. Shin stellt mich ihrem Reisebegleiter Gilberto mit den Worten vor, dass wir immer zu viel trinken, wenn wir uns auf der Reise begegnen. Ich trinke nur, wenn es mir gut geht, antworte ich, und wir steigen mit der Gewissheit in den Mietwagen ein, dass Shin mich wenige Tage später aus Mexiko verabschieden wird.

    Reisegefährtin Shin und Bastian Sünkel machen sich auf die Suche nach den magischen Orten Chiapas’: etwa den Wasserfall Arból de navidad.
    Reisegefährtin Shin und Bastian Sünkel machen sich auf die Suche nach den magischen Orten Chiapas’: etwa den Wasserfall Arból de navidad. Foto: Bastian Sünkel

    Zwei Wochen vor dem Abschied bin ich im Bundesstaat Chiapas gelandet, in einer Aussteigerstadt namens San Cristóbal de las Casas. Dort verbringe ich den Großteil meiner letzten Tage in Mexiko. Sicher verstaut im Gepäck: meine neue Kreditkarte. Fünf Wochen habe ich in Oaxaca auf die Karte gewartet, dann einen Nachtbus gebucht. In den vergangenen Wochen hat mich das Gefühl begleitet, dass sich mein Reiseverhalten grundlegend verändert hat. Auch Reisen wird Alltag. Natur und Kultur müssen sich nun schon anstrengen, um mich zu begeistern. Ich renne nicht mehr wie auf Island mit offenem Mund auf Wasserfälle zu, als wollte ich die Schönheit des Moments so tief es geht einsaugen. Wir reisen zu einem Cañon? Sicher? Lohnt sich das? Ich hasse dieses Gefühl, für einen kurzen Moment meinen ursprünglichen Entdeckergeist gegen lähmende Gleichgültigkeit einzutauschen. Und das, obwohl mich Mexiko so regelmäßig überrascht, wie es sich ein Reisender nur wünschen kann. Wolkenmeere, Surferstrände, Hippie-Städtchen. Was will ich mehr? Manchmal braucht es eben Shin, die mich aus dem Alltag reißt – auch diesmal.

    Geradeaus Brücke, links Klippen, rechts Krokodil

    Alles verschwimmt. Auf einmal lösen sich Shins und Gilbertos Konturen im Dämmerzuständen der Nachmittagshitze auf. Wir sitzen auf einem Boot mit etwa 14 anderen mexikanischen Touristen und einem Kapitän, der immer wieder auf der Fahrt durch den Canyon stoppt und seinen Sermon herunterbetet: geradeaus Brücke, links Klippen, rechts Krokodil. Um uns herum treiben Plastikflaschen auf der Wasseroberfläche. Der Cañon de Sumidero ist ein beeindruckendes Naturschauspiel mit menschengemachten Schönheitsfehlern. Vielleicht ist es Ironie des Schicksals, dass Sumidero übersetzt Sumpf, aber auch Gully bedeutet. Dann fallen mir die Augen zu. Als ich von den Wow-Rufen Shins erwache, steuert das Schiff auf einen Wasserfall zu. Vor uns, über uns der Arból de navidad, der Weihnachtsbaum. Der Wasserfall hat aus den Klippen Kuppeln geformt. Das Wasser stürzt, landet, stürzt und aus der Ferne erkennt man einen Weihnachtsbaum, mächtiger als alle seine Namensgeber aus Nadeln und Holz. Am Ende des Cañons wartet eine Familie unter dem größten Wasserkraftwerk des Landes auf Kundschaft. Aus dem schmalen Kahn heraus verkaufen Vater, Mutter, Sohn Chips und Bier mit Nationalparkzuschlag. Gilberto bestellt und wieder verschwimmt alles: der Tag auf dem Rio Grijalva und die Erinnerungen an ein Land, das ich wenige Tage später verlassen werde.

    Das junge Mexiko liegt im Norden, das alte verbirgt sich im Süden hinter fensterlosen Kirchen und in selbstverwalteten Kommunen. In Chamula, dem Ort, in dem die fensterlose Kirche das Ende eines weiten Platzes abzeichnet, herrschen andere Regeln, als sie das christliche Europa kennt. Die Kirche bewacht ein Türsteher in Hosen aus schwarzem Schafsfell. Ich werde freundlich zur Kasse gebeten und noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Fotos verboten sind. Der Mann im Schafsfell öffnet das Tor und der Qualm hunderter Kerzen dringt aus dem Innenraum auf den Platz. Es gibt keine Bänke, Heiligenfiguren reihen sich links und rechts dem Hauptschiff entlang. Männliche Heilige links, weibliche rechts. Am Boden sitzen Familien vor den Kerzen, das Wachs zerfließt auf den Fliesen. Shin und ich sind auf der Suche nach den Ritualen, von denen wir zuvor gelesen haben. Hühnern wird der Kragen umgedreht, um Krankheiten zu heilen. Geister werden durch Cola-verstärkte Rülpsgeräusche beschwört. Wir sehen nichts von alledem. Nur am Ende des Besuchs höre ich ein Knacken aus dem Kreis einer Familie. Ein gebrochenes Hühnergenick? Es bleibt der Eindruck eines surrealen Ortes, in dem alles verschwimmt: Katholizismus und Maya-Riten, Kolonialisierung und die Ursprünge amerikanischer Kultur.

    Die Ruinen von Palenque zeugen von der Maya-Kultur.
    Die Ruinen von Palenque zeugen von der Maya-Kultur. Foto: Bastian Sünkel

    Strenges Fotoverbot in Chamula

    Die Einwohner von Chamula haben sich wie andere indigenen Gruppen in Chiapas die Freiheit erkämpft, ihre eigene Kultur und Ordnung auszüben. Davon erzählt mir Florian Mast. Der Deutsche ist vor Jahren nach Mexiko ausgewandert, hat seine Frau in einer indigenen Kommune kennengelernt und lebt mit seiner Familie seit sieben Jahren im selbst verwalteteten Dorf Tzajala. Er spricht die Sprache seiner Nachbarn, Tzotzil. Florian ist Teil der Gemeinschaft. Ein Jahr ist er nach dem Rotationsprinzip Bürgermeister, ein Jahr Dorfpolizist. Ich frage ihn nach dem Fotoverbot in Chamula und er warnt davor, Menschen in Chiapas ohne deren Einwilligung zu fotografieren. Viele glauben, dass man mit einem Bild Macht auf eine nicht physisch anwesende Person ausüben kann.

    Mexiko lässt sich nicht auf einer Reise verstehen. Zum Abschied treffen sich Shin, ich und Bekannte aus dem Hostel auf dem Zocalo in San Cristóbal. Erst trommelt das Militär den Unabhängigkeitstag herbei, dann rufen alle „Viva México“. Die

    Wie ist es, alles hinter sich zu lassen und auf Weltreise zu gehen? Bastian Sünkel erzählt davon einmal im Monat – das nächste Mal mit seinen Erlebnissen in Lago Atitlán, Guatemala. Wer mehr lesen will, findet den Reiseblog von

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