Wer schon immer einmal ein Foto vom Brandenburger Tor schießen wollte, ohne dass dutzende Menschen mit auf dem Bild sind, der sollte jetzt in die Hauptstadt fahren. Bis auf eine kleine Demonstration von Reichsbürgern ist der Platz vor dem beliebten Denkmal nämlich so gut wie leer. Ab und zu fährt ein Fahrradfahrer vorbei. Und es gibt sie schon, die Touristen, die mit ihren Handys vor der Sehenswürdigkeit stehen und versuchen, sowohl die Quadriga als auch ihr Gesicht aufs Foto zu bringen. Aber es sind bei weitem nicht so viele wie sonst.
Das bestätigt auch ein Rikschafahrer, der mit seinem Fahrrad-Taxi auf der anderen Seite des Brandenburger Tors steht, in Richtung Straße des 17. Juni. An einem späten Freitagnachmittag wie heute, und dann auch noch bei Sonnenschein und diesen sommerlichen Temperaturen, hätte er normalerweise sehr viel zu tun. Jetzt sitzt er zurückgelehnt in seiner Rikscha, schließt die Augen und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Ihm zufolge sind vor allem deutlich weniger internationale Touristen in Berlin. „Mir fehlen besonders die Amerikaner, Brasilianer und Spanier. Ich hoffe jetzt, dass noch Leute aus Bayern kommen“, sagt er mit Blick auf den dortigen Sommerferienbeginn Ende Juli.
Keine Partys, kaum Touristen: Berlin leidet unter den Corona-Beschränkungen
In den sonst so beliebten Hop-On-Hop-Off-Bussen zeigt sich ein ähnliches Bild. Der untere Stock des Cabrio-Doppeldeckers ist, bis auf den Fahrer, ganz leer. Im oberen Stock sitzen nur ein Pärchen und der Stadtführer. Irgendwo zwischen „Schwangerer Auster“ und Schloss Bellevue erzählt dieser, wie sehr die Metropole unter den fehlenden Touristen leidet.
Berlin habe ein Image als Partystadt, sagt er, und rückt sein Corona-Schutzschild gerade. Junge Menschen aus der ganzen Welt wissen, dass sie hier gut feiern können – und zwar mehrere Tage lang und das auch noch relativ günstig. Von diesem Image lebt Berlin. Aber im Moment ist von dieser Partyszene nicht mehr viel übrig. Wilde Junggesellenabschiede und feiernde Abiturienten-Gruppen sucht man in diesem Jahr vergeblich. Die Stadt, die niemals schläft – zur Zeit schläft sie doch.
Nicht nur die Klubs trifft das hart. Auch den Hotels fehlen die Gäste. Ihre Auslastung liege im Moment bei zehn bis 20 Prozent, erzählt der Stadtführer. Zur Hochzeit der Pandemie dürfte es noch schlimmer gewesen sein. Das Luxushotel Adlon beispielsweise sei gerade noch zu drei Prozent ausgelastet gewesen. Sie haben fast noch Leute anrufen und anbetteln müssen, dort zu übernachten, sagt der Stadtführer mit ironischem Unterton, der vielleicht auch bitterernst ist.
Im Touristen-Bus in Berlin ist die Atmosphäre nun persönlicher
„Aber es hat alles sein Für und Wieder“, wiegelt er ab, als der Bus am Potsdamer Platz vorbeifährt. In der Hochsaison seien die Touristengruppen schon anstrengend und vor allem laut. „Viele nehmen wenig Rücksicht.“ Auch sein Beruf sei mit den abnehmenden Touristenzahlen angenehmer geworden. Denn mit weniger Leuten im Touri-Bus komme eine persönlichere Atmosphäre auf. „Die Leute fühlen sich nicht wie Schlachtvieh“, fügt er trocken hinzu. „Und ich bin am Abend nicht mehr so kaputt, wenn ich vor weniger Leuten sprechen muss.“
Das Pärchen aus Nordrhein-Westfalen, das im leeren Bus sitzt, schätzt die Privat-Stadtführung. „Wir genießen das leere Berlin“, sagt der Mann aus Dortmund. „Wir fahren hier viel Rad und schauen uns alles in Ruhe an.“
Als der Bus zum Checkpoint Charlie abbiegt, sagt der Stadtführer: „Normalerweise würde man hier gar nicht einfach so durchfahren können.“ Denn hier stehen immer Massen von Touristen, die Fotos auf der Straße machen und alles blockieren. An diesem Tag kann man die Besucher an einer Hand abzählen.
Am Alexanderplatz ist zwar mehr los als am Brandenburger Tor. Aber im Vergleich zu sonst schaut es dort trotzdem fast leer aus. Die Kartenverkäuferin für den Hop-On-Hop Off-Bus erzählt, dass mittlerweile ein richtiger Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Anbietern entbrannt sei. Viele Kartenverkäufer fangen die wenigen Touristen ihr zufolge schon am Fernsehturm ab, um sie in den Bus zu locken, der einige hundert Meter weiter hält. Auf die Frage, ob sich das Geschäft überhaupt rentiert, zuckt sie nur mit den Schultern.
Berlin-Besuch während Corona: Am Checkpoint Charlie kein Gedränge
Auch die Museen, der Fernsehturm, Madame Tussaud’s und viele andere Sehenswürdigkeiten warten nur darauf, dass mehr Touristen kommen, erzählt Marko Schaffer, der in der Tourist-Info arbeitet. „Für Berlin ist es im Moment sehr ruhig“, sagt er. Ihm zufolge kommen zurzeit fast nur deutschsprachige Touristen in die Hauptstadt. Einige wenige niederländische und französische Besucher seien auch noch dabei. Insgesamt seien es aber vor allem Norddeutsche, und auch viele Radfahrer. „Viele wundern sich, dass Berlin so grün ist“, sagt er. „Aber gerade die naturaffinen Touristen kommen jetzt auf ihre Kosten.“
Denn wer Menschenansammlungen zurzeit lieber meidet, kann jetzt die Chance nutzen, um das Berlin zu erleben, das er noch nicht kennt – mit all seinen Parks, Seen und Wasserstraßen. Gerade jetzt biete sich aber natürlich auch die Möglichkeit, Sehenswürdigkeiten und Museen zu besuchen, sagt Christian Tänzler von visitBerlin. Fast ungestört die Büste der Nofretete im Neuen Museum zu betrachten, das sei wirklich ein besonderer und vor allem seltener Genuss, sagt Tänzler.
Touristen können jetzt besonders intensiv die Kombination aus Natur und Kultur genießen, die den besonderen Reiz Berlins ausmache. Seine Empfehlung: Erst in Ruhe auf dem Müggelsee paddeln, dann ein wenig auf dem Boot durch die Kanäle Neu-Venedigs fahren. Anschließend geht es zur Museumsinsel. „Das ist einmalig“, sagt Tänzler. Vor allem weil viele Berliner im Moment selbst weggefahren sind und der Hauptstadtverkehr somit recht entspannt sei.
Städtetourismus: Gravierende Einbrüche der Gästezahlen in Deutschland zu erwarten
Wie wichtig der Städtetourismus für den Tourismus in Deutschland allgemein ist, zeigen die Zahlen von vergangenem Jahr: Von den knapp 90 Millionen Übernachtungen ausländischer Touristen, die in Deutschland gezählt wurden, entfielen alleine 17,2 Prozent auf Berlin, sagt Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT). Weitere 29 Prozent besuchten die sogenannten Magic Cities. Das ist die Marketinggemeinschaft der zehn größten Städteziele im sogenannten Incoming-Tourismus: Bremen, Köln, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, München, Nürnberg und Stuttgart.
Der Städtetourismus spielt in Deutschenland eine wichtige Rolle, um Urlauber für das Land der Dichter und Denker zu gewinnen. „Fast die Hälfte der Übernachtungen von ausländischen Touristen wurden in den Metropolen registriert“, fasst Hedorfer zusammen. Ihr zufolge liegen aber noch keine belastbaren Zahlen und Prognosen dazu vor, wie sich Corona auf den Städtetourismus ausgewirkt hat und auch noch auswirken wird. Der Einbruch der Gästezahlen dürfte dramatisch sein. „Bis zum Jahresende rechnet eine aktuelle Studie von Tourism Economics deutschlandweit mit einem Minus von 45 Prozent bei den Übernachtungen aus Europa und von 64 Prozent bei den Übernachtungen aus Übersee“, sagt Hedorfer.
Eine Initiative setzt sich für das Kulturleben ein
Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat die DZT die Kampagne „Germany – Dreams Become Reality“ gestartet. Damit wirbt die DZT dafür, den Sommerurlaub dieses Jahr in Deutschland zu verbringen. Neben Natur, Erholung, und Nachhaltigkeit thematisiert die Kampagne auch das hiesige städtische Angebot für potenzielle Deutschlandreisende.
Außerdem startet die DZT Ende dieses Jahres die Kampagne „German Summer Cities Reloaded“, die es bereits 2019 gab und die jetzt fortgeführt und erweitert wird. 2021 setzt die DZT noch eine weltweite Kampagne unter dem Titel „German Local Culture“ um. Die geplante Imagekampagne soll Reisende laut Hedorfer, die übrigens aus Augsburg kommt, inspirieren, neben den bekannten Städten auch die weniger bekannten kleineren „städtischen Juwelen“ zu entdecken.
In der Hauptstadt ist derweil auch der Kampfgeist der Kulturszene geweckt, die die Touristen ebenfalls schmerzlich vermisst. Zahlreiche Unternehmen und Vertreter aus Kultur- und Kreativwirtschaft haben sich zusammengeschlossen und die Initiative „One Berlin“ ins Leben gerufen. Diese soll laut Initiatoren das urbane Leben in Berlin reanimieren.
Wenn Sie sich eher für Naturziele interessieren, lesen sie hier weiter.
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