Im Gepäck sind keine Shorts und keine Badehosen, dafür jede Menge Kärtchen – weiße, gelbe, blaue. Im Flugzeug werden sie ein letztes Mal durchgesehen. Urlaubsvorbereitungen der anderen Art: mit Vokabelkartei. Denn es beginnt gleich an seinem ersten Tag früh morgens mit einem Test. Es ist acht Uhr, Sevilla, dieses Wunderwerk von Stadt in Südspanien liegt noch im Tiefschlaf. Vor der Sprachschule stehen einige Schüler – die Neuen. Der reguläre Unterricht beginnt erst eine Stunde später. Zur Begrüßung werden Fragebogen verteilt, ein Sprachtest auf Spanisch, während der Kopf noch gar nicht wach ist. Eine endlose Reihe an Fragen, die schnell nicht mehr zu beantworten sind. Als das Einstufungs-Gespräch mit dem Lehrer folgt, stellt sich die Frage, ob das wirklich eine gute Idee ist: zwei Wochen Sprachurlaub in Sevilla – als Anfänger.
Man könnte ja auch nur diese Stadt genießen, die eben wirklich ein Wunderwerk ist. Über Generationen und Jahrhunderte hinweg haben die Baumeister und Handwerker an diesem Labyrinth von einer Innenstadt gearbeitet. In diesem Gewirr aus engen und noch engeren Straßen können sich selbst Taxifahrer nur mit dem Smartphone auf dem Schoß fortbewegen. Allein Google-Maps findet sich hier noch problemlos zurecht. Die andere Möglichkeit ist: sich treiben lassen, sich ständig verlaufen, um ständig Neues zu sehen. Das wird selbst nach zwei Wochen nicht langweilig. Diese Altstadt ist fantastisch.
Diese Altstadt ist einfach fantastisch
Ja, es könnte so entspannend sein in Sevilla. Stattdessen bekommen die Urlaubstage ein festes Gerüst. Vier Stunden Unterricht von 9 bis 13 Uhr, danach eine Stunde Konversation. Das macht zusammen fünf Stunden auf Spanisch. Und wer danach die Schule verlässt, dem schwirren die Sinne, weil es so viele neue Wörter waren. Danach die große Kathedrale anschauen? Vielleicht am Wochenende … Jetzt erst einmal einen Rotwein in einer Bar, bevor im Apartment weitergelernt wird. Nachmittagssonne und frische Luft, um alles zu verarbeiten.
Denn Schule ist ja nie nur Lernstoff, Schule ist immer auch ein Schmelztiegel des Menschlichen – neue Mitschüler, neue Lehrer und damit neue Geschichten, die wiederum der Sprachunterricht in Rekordtempo zu Tage fördert. Denn alle in der Klasse sind Anfänger, das heißt, dass noch niemand die hohe Kunst des Sprechens versteht – nur das von sich preiszugeben, was man auch preisgeben möchte. Niemand in der Klasse ist ein Meister des Tarnens und Täuschens, alle sagen, wie es ist.
Was bei Sprachreisen nach Spanien zu beachten ist
Voraussetzungen: Grundsätzlich bieten die Sprachschulen in Spanien Kurse auch für Anfänger an. Der Unterricht dort wird nur auf Spanisch gehalten, das heißt, dass es leichter fällt, wenn schon die ersten Sprachkenntnisse vorhanden sind.
Dauer: Kurse werden in der Regel wochenweise angeboten. Eine gute Sprachschule sollte einem einen Kurs anbieten, in dem man gleich auch Neues lernt. Dann kommt man selbst bei der Minimallösung von „nur“ einer Woche im Lernen weiter.
Anbieter: Es gibt viele verschiedene Sprachschulen in Spanien. Über das Instituto Cervantes ist es zum Beispiel möglich, in den verschiedenen Landesteilen Schulen zu finden.
Schulen in Sevilla: In Sevilla listet das Instituto Cervantes sieben Sprachschulen, unter anderem die Schule „Enforex“, die für diese Reisegeschichte besucht wurde.
Kosten: Kurse werden ab 170 Euro pro Woche (20 Unterrichtsstunden) angeboten. Hinzu kommen eine Anmeldegebühr und die Kosten für das Lehrbuch. Je länger die Kurse gebucht werden, desto günstiger sind sie pro Woche.
Beste Jahreszeit: Auch wenn es Klimaanlagen in den Schulen gibt, im Hochsommer (Juli und August) ist Sevilla eine sehr heiße Stadt, in der die Temperaturen dauerhaft über 40 Grad liegen können.
Dialekt: Überall wird das Spanisch ein bisschen anders gesprochen. Wer dem Ideal am nächsten kommen möchte, sucht sich am besten eine Sprachschule in Madrid oder in der Universitätsstadt Salamanca. (rim)
Sprachklassen fördern Persönliches zutage
Was das heißt? Die Lehrerin Maria spricht in der Konversationsklasse über Häuser und Gärten. Neil – ein Spitzengitarrist in einem großen Orchester in London – muss zwei Mal erzählen, dass er die Gartenarbeit liebe, denn sein Spanisch ist kaum vom Englischen zu unterscheiden. Danach will Maria von Peter wissen, ob er zu Hause auch einen Garten haben? Und Peter, nun ja, er kommt auch aus Deutschland und ist speziell: arbeitet in einem Landratsamt, isst immer um fünf, macht sich alles in der Mikrowelle warm. Peter und ein Garten? Nein! Und Pflanzen? Ja, habe er – aber nur aus Plastik. Die Klasse lacht.
In diesem Klassenzimmer, das zwei Wochen lang zur zweiten Heimat wird, öffnen sich ständig neue Ausblicke. Leone erzählt, dass er als Bäcker in Brasilien arbeitet. Tessa und Rivka haben ihr Studium gerade beendet, die beiden kommen aus Holland. Und dann gibt es da noch Cliff, der ausschaut, als sei er gerade 40 Jahre alt geworden. Er scheint die Rezeptur für diesen Trank der ewigen Jugend zu kennen. Seine Eltern kommen aus Jamaika, er ist in London aufgewachsen, hat aber lange in Hongkong gelebt und gearbeitet und spricht Kantonesisch. WasCliff jetzt mache, möchte Moises, ein Lehrer, wissen? „Ich bin im Ruhestand.“ Wie bitte? „Retired“ Wie bitte? Ja, Cliff sei in Rente, pensioniert, arbeite nicht mehr. Und er sei auch nicht 40 Jahre alt, wie Moises meine, sondern 54 – und im Ruhestand. Unfassbar.
Eine neue Sprache bringt Menschen zusammen
Das Gros der Sprachschüler ist jung. Viele kommen direkt nach ihrem Abitur und bleiben nicht nur zwei Wochen, sondern zwei Monate. Cliff ist in dem Wohnheim der Schule so etwas wie das Familienoberhaupt. In der Klasse erzählt er Geschichten. Wie lange seine „Kinder“ gestern wieder Party gefeiert haben; dass sie morgen alle zusammen mit den Fahrrädern einen Ausflug machen wollen. Bitte mitkommen!
Es ist erstaunlich, wie die Sprache Menschen, die im normalen Leben womöglich keine zwei Stunden miteinander aushalten würden, innerhalb kürzester Zeit zusammenbringt. Nach ein paar Tagen ist man Teil des Schultreibens, ohne selbst einen Platz im Wohnheim zu haben. Junge Schüler, ältere Schüler, das alles spielt keine große Rolle.
Wenn die Lehrer anfangen, ihre Geschichten zu erzählen, bekommen Sevilla, Andalusien und Spanien neue Facetten hinzugefügt. Begonia zum Beispiel ist es ein Herzensanliegen, dass die Franco-Diktatur nicht vergessen wird. Das versteht man auch als Sprachanfänger. Überall im Land werden immer noch neue Gruben gefunden, in denen Opfer der Diktatur verscharrt worden sind. Bei Granada zum Beispiel ist der Dichter Federico Garcia Lorca 1936 ermordet worden – zusammen mit drei anderen. Bis heute weiß niemand, wo der Leichnam vergraben worden ist.
Regen ist für die Menschen ein himmlisches Unglück
Moises erzählt, dass der Regen in dieser Sonnen- und Hitzestadt Sevilla zwar immer bitter nötig ist, von den Sevillanos immer als ein himmlisches Unglück begriffen wird, das über den Menschen hereinbricht. Es gebe Kindergärten, in denen die Kinder nicht mehr draußen spielen dürfen („zu rutschig, der Boden“). Wenn Sevilla seine wichtigsten Feiertage im Jahr mit den großen Prozessionen in der Karwoche begeht, wird gebangt, ob das Wetter hält. Die Büßer, die die großen Skulpturen aus den Kirchen zur Kathedrale und zurück tragen, haben sich ein Jahr lang vorbereitet. Wenn es regnet, wird alles abgesagt, war alles umsonst – eine Katastrophe.
Und Moises erklärt auch die feinen Unterschiede zwischen Liebhaber und Liebhaber. Da gibt es ein Wort für den Lover für eine Nacht und ein anderes für den für drei bis fünf Nächte – und noch ein anderes für den Liebhaber, mit dem nachts nichts läuft, mit dem man sich dafür aber versteht und unterhalten kann. Wow!
Als Sprachschüler lernt man eine Stadt ganz anders kennen
So verschiebt sich der Blick auf die Stadt und die Menschen langsam aber sicher. Als Sprachschüler muss man nicht das übliche Touristenprogramm absolvieren. Es gibt ja eine Aufgabe, die Reise hat einen eigenen Sinn. Das ist jeden Morgen zu spüren, wenn es auf dem gleichen Weg zur Schule geht. Spätestens beim dritten Mal fallen nicht mehr die prachtvollen Häuser auf, sondern Nebensächlichkeiten, etwa der Chef des Installationsbetriebs, der immer grimmig vor dem Büro auf der Straße steht. Also gut, ihn mit Freundlichkeit zum Lächeln bringen, das ist das Projekt der nächsten Tage. Den ersten Gruß erwidert er mit einem Knurren, den nächsten einen Tag später auch noch. Danach schaut der Mann auf der Straße vor dem Büro immer geschickt weg.
Anstelle einer Burg-Besichtigung geht es mit den Mitschülern auf Leihrädern hinaus aus der Stadt, immer entlang am Rio Guadalquivir, dem Fluss, an dem Sevilla erbaut wurde. Zehn Sprachschüler unterhalten sich auf Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Holländisch, und wo die Vokabeln fehlen, setzt die Fantasie ein. Niemand weiß so recht, wohin die Ausfahrt gehen soll. Aber es tut gut, das Altstadtlabyrinth einmal in den zwei Wochen hinter sich zu lassen.
Diese Schafherde vor den Toren der Stadt schaut richtig idyllisch aus. Aber was machen die Hunde? Sie kommen zu fünft laut bellend angerannt, weichen nicht mehr von der Seite. Bellen. Bellen. Bellen. Halten keinen Abstand ein. Dazu kommt jetzt Schweiß am ganzen Körper. Wieso schlägt das Herz so schnell? Und warum macht der Schäfer nichts? Schon ist zu spüren, dass in einem eine gewaltige Sprachlücke klafft. Denn all das, was man dem Schäfer gerade sehr lautstark sagen möchte, das war kein Thema im Unterricht in der Sprachschule. Das muss man dann doch im richtigen Leben lernen.