Am Sonntag sollte man früh aufstehen. Denn wer erst gegen Mittag kommt, geht leer aus. Dann ist das knusprige Baguette schon weg, von den acht verschiedenen Tomatensorten gibt’s nur noch ein paar Reste und die frischen Austern, die am Morgen noch im Meer waren und die für 5,80 Euro das Kilo so groß sind wie eine Kinderfaust, sind ausverkauft. Der Bauernmarkt in Montpelliers postmodernem Stadtteil Antigone ist ein Geheimtipp. Hier decken sich die Einheimischen mit all den Leckereien ein, die das südfranzösische Schlaraffenland zu bieten hat: mit schmackhaftem Ziegenkäse und den kleinen, grünen Oliven, die rund um Montpellier wachsen; mit glänzend roten, weißen oder gelben Zwiebeln; mit Leberpastete oder Steinpilzsalami.
Montpellier ist mit 240.000 Einwohnern zwar die achtgrößte Stadt Frankreichs, trotzdem überschaubar, gemütlich, mediterran. Der perfekte Ort für ein perfektes Wochenende voller Kunst, Kultur und Kulinarik. Jeder vierte Bewohner Montpelliers ist Student. Hier, an der französischen Mittelmeerküste, wurde 1220 die älteste Medizinschule der westlichen Welt eröffnet – und es gibt sie als Universität noch heute. Im Gebäude der alten königlichen Medizinschule ist jetzt das Museum für Gegenwartskunst untergebracht. 60 Stipendiaten leben und arbeiten hier. Und in dem hellen, modernen Cafe „La Panacée“ im Erdgeschoss gibt’s mittags ein ebenso fantasie- wie geschmackvolles Drei-Gänge-Menü für 16 Euro. Überhaupt, das Essen. Egal wo man einkehrt: Da das Meer nur zehn Kilometer entfernt ist, sind Fisch und Meeresfrüchte nie lange unterwegs in die Töpfe und Pfannen der kreativen Küchenchefs, von denen es viele gibt in der Stadt. Südländisch leicht oder bäuerlich deftig – in Montpellier wird jeder fündig. Und der passende Wein dazu wächst auf den Hügeln um die Stadt.
In der Altstadt trifft man sich auf einen Kaffee
Herzstück von Montpellier ist die autofreie Altstadt mit ihren etwa 90 eindrucksvollen Stadtpalästen, die sich an einem Tag zu Fuß leicht erkunden lässt. Tags wie nachts ist der weitläufige, elegante Place de la Comédie mit der alten Oper und dem Brunnen der „Drei Grazien“ die große Bühne der Stadt. Am Vormittag trifft man sich hier auf einen Kaffee, später auf ein Glas Champagner und nachts gehört der Platz den Straßenmusikanten und ihren jungen Zuhörern. In den Gassen duftet es aus Läden nach handgemachten Seifen und Lavendelkissen. An den Eisdielen mit ihren bunten Bergen aus gefrorenem Süßkram stehen Touristen wie Einheimische Schlange. In der Buchhandlung von Gilbert Joseph gibt es nicht nur Secondhand-Schätze, sondern auch noch regaleweise Videokassetten für einen Euro. Die Rue Foch, ein breiter und doch bescheidener Boulevard, führt schnurgerade auf den „Arc de Triomphe“ zu, den 1696 erbauten Triumphbogen zu Ehren Ludwig des XIV. „Das ist unsere Champs Elysee“, sagt Stadtführerin Sophie Glachant und sperrt die hölzerne Eingangstür auf, hinter der eine steile Stiege hinaufführt auf den Triumphbogen. Der Blick auf den Justizpalast, der in Form eines griechischen Tempels errichtet wurde, auf die Stadt und die umliegenden Hügel ist atemberaubend.
Wenn im Sommer mittags die Temperatur auf über 40 Grad steigt, bietet sich eine ausgiebige Pause unter den schattigen Bäumen der Brasserie „Rosemary“ im verwinkelten Viertel „La Roch“ an. Die gleichnamige Kirche und das umgebende Gassengewirr ist nach dem in Montpellier geborenen Schutzheiligen der Stadt, dem heiligen Rochus, benannt. Später treffen sich in den gemütlichen Restaurants und Kneipen des Viertels die Nachtschwärmer. Da das Meer so nah ist, dass man die Salzluft riechen kann, wird es nie wirklich drückend schwül.
Ein guter Ort zum Abkühlen ist auch das Musée Fabre, das sich seit einer kostspieligen Sanierung 2007 zu einem Kunstmuseum erster Güte gewandelt hat. Der in Montpellier geborene Maler Francois-Xavier Fabre stiftete Anfang des 19. Jahrhunderts seine Sammlung der Stadt und legte damit den Grundstock für das Museum, das heute fast 10000 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat und zu den fünf größten Museen Frankreichs zählt.
Von Montpellier direkt an den Strand
Wer vom Schauen und Staunen, vom Spazieren und Shoppen genug hat, kann mit der Tramlinie 3 direkt zum Meer fahren. Hier ist der Sand weich und der Horizont weit. Ein paar Kilometer weiter liegt die Insel Maguelone. Ein 800 Meter langer Fußweg führt in eine andere Welt. Sechs Hektar groß ist das Eiland im Naturschutzgebiet und von stolzen Pfauen und Weinfeldern besiedelt. Ein romanischer Kirchenbau lockt bis aufs Dach mit toller Aussicht über die Lagune. Das Gebäude – eine mittelalterliche Wehrkirche –stammt aus dem 12. Jahrhundert. Im Sommer gibt es in dem nackten Kirchenraum Konzerte. Im Café daneben – seit 1970 ein Sozialprojekt – kann man den Wein probieren und kaufen, der auf dem Inselchen wächst und in einer Behindertenwerkstätte verarbeitet wird. 200 000 Touristen kamen allein im vergangenen Jahr nach Maguelone – und machen damit die Insel mit ihrer Kathedrale zu einem der meist besuchten Punkte in Südfrankreich.
Nach dem Meer lockt wieder die Stadt. Die moderne Seite diesmal. 1965 wurde in Montpellier eins der ersten modernen Einkaufszentren Südfrankreichs eröffnet. Ein schmuckloser, geschlossener Betonbau, der heute aus der Zeit gefallen scheint. Der katalanische Architekt Ricardo Bofill hat 1979 als eine Art Gegenentwurf zum Einkaufstempel Polygone auf dem anschließenden, ehemaligen Militärgelände den neuen Stadtteil Antigone entworfen – ein modernes Zentrum, so groß wie die Altstadt von Montpellier und eins der größten Städtebauprojekte in Frankreich. Entstanden ist ein ungewöhnliches Beispiel sozialen Wohnungsbaus mit einer rigorosen Symmetrie. Mit Säulen, Pilastern, Friesen und Giebeln verzierten kühnen Fassade aus sandfarbenen Beton, die in ihrer monumentalen Architektur an antike Tempel erinnern. Ein Kilometer lang führt die Hauptachse des Viertels durch Brunnen oder Plätze bis zu einem von Säulen umstandenen Halbrund, das im Flüsschen Lez endet.
Im Wasser spiegelt sich das „Hotel de Région“, der Verwaltungssitz der Region Languedoc-Roussillon, das am gegenüberliegenden Ufer als verglaster Triumphbogen emporragt. Ob hinter dieser prächtigen Optik Menschen leben? Angeblich ja. An diesem Sonntag sind die riesigen Häuserfluchten menschenleer. Die Mietpreise aber sollen für diese modernen Wohnungen deutlich unter denen liegen, die in der engen Altstadt von Montpellier verlangt werden. Die Preise für Zucchini, Paprika oder Schafskäse auf dem Sonntagsmarkt in Antigone tun es auf jedem Fall.
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