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Reise: Die verbotene Insel: Warum die DDR Vilm von den Karten tilgen ließ

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Die verbotene Insel: Warum die DDR Vilm von den Karten tilgen ließ

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    Hier haben in der DDR die Bonzen Urlaub gemacht: die Insel Vilm bei Rügen.
    Hier haben in der DDR die Bonzen Urlaub gemacht: die Insel Vilm bei Rügen. Foto: Stefan Sauer/dpa

    Wer zu DDR-Zeiten als Besucher in Lauterbach am Hafen stand, hat sich vermutlich verwundert die Augen gerieben: Hier im Südosten Rügens war etwa drei Kilometer entfernt eine weitere Insel zu sehen, ein flaches, bewaldetes Landstück, zweieinhalb Kilometer lang, schmal. Auf der Karte gab es diese Insel nicht. Stattdessen waren wellenförmige Linien eingezeichnet als Zeichen für Wasser. Vielleicht hatte der Besucher Glück und ein Einheimischer kam vorbei und klärte ihn auf: Dass er richtig sehe, dass dort eine Insel läge mit Bäumen, von denen manche mehrere hundert Jahre alt seien, dass die Insel Vilm heiße. Und vielleicht hätte er sogar erfahren, dass die Insel seit 1959 für Besucher gesperrt war, weil dort die oberste Riege der DDR-Politiker urlaubte, unter anderem die Staatschefs Erich Honecker und Walter Ulbricht.

    Tatsächlich musste die Druckerei in Putbus, die die Wanderkarte der Insel Rügen druckte, nach einem Hinweis „von oberster Stelle“ die Insel Vilm aus der Karte entfernen. „Du kannst dir sicher denken, weshalb...“, soll der SED-Kreisleiter dem Genossen in der Druckerei damals, 1967, gesagt haben. Den Anwohnern erzählte man, die Insel wäre aus Naturschutzgründen gesperrt. Die wussten es freilich besser. Allein schon, weil sie die Straßensperren miterlebten, wenn die hochrangigen Politiker im Sommer anreisten. Und weil viele von ihnen an der Straße standen, um einen Blick auf die Besucher zu erhaschen.

    Vilm bekam den Spitznamen „Bonzeninsel“. Mit Auswärtigen sprach man nicht gerne darüber: Autor Klaus Bossig erinnert sich an einen Rügen-Urlaub 1974, als seine Fragen nach der Insel nur ausweichend beantwortet wurden. Noch heute ist man in Lauterbach nicht besonders gesprächig, wenn es um die Rolle der Insel zu DDR-Zeiten geht. Diejenigen, die auf der Insel gearbeitet haben, als Wachmänner, Gärtner, in der Küche oder im Service, wollen nicht reden. Sie weichen aus, sagen, sie hätten nichts mitbekommen, könnten sich nicht erinnern oder ihre Gesundheit ließe ein Gespräch nicht zu. Warum erzählt niemand etwas? Heute, fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR? Es geht um Geschichte, um längst Vergangenes. Das denkt man als Außenstehender und merkt plötzlich, dass die Zeit für manche noch sehr nah ist. Zu nah, um darüber zu sprechen.

    Wo früher die Minister urlaubten, arbeiten heute Biologen

    Einer, der nicht schweigt, ist Andreas Kuhfuß, Kapitän des Motorschiffes „Julchen“ und Gästeführer auf der Insel Vilm. Zweimal täglich darf er die Insel mit maximal 30 Besuchern ansteuern. Vom Hafen in Lauterbach aus, mit seinen schmucken Häuschen und dem Räucherschiff „Dicke Berta“ sind es nur wenige Minuten. Kuhfuß führt die Besucher auf einem drei Kilometer langen Rundweg um den nördlichen Teil der Insel. Ansonsten ist die Insel gesperrt – wieder einmal. Diesmal allerdings tatsächlich, um die Natur zu schützen und nicht, damit irgendwelche Privilegierte ungestört sind. Vilm ist das zweitälteste Naturschutzgebiet in Deutschland. Auf der Insel darf ohne Ausnahmegenehmigung niemand anlegen oder baden. Das war mal anders: Bevor die DDR-Regierung die Insel 1959 sperren ließ, stürmten an Spitzentagen bis zu 1000 Besucher die Insel und hinterließen Müll und Fäkalien, wie Gästeführer Kuhfuß erzählt.

    Heute arbeiten Biologen in dem Naturparadies.
    Heute arbeiten Biologen in dem Naturparadies. Foto: Arrlfx/Fotolia.com

    Wer heute auf Vilm weilt, geht sorgsam mit der Natur um: Nach dem Ende der DDR hat das Bundesamt für Naturschutz eine Akademie eingerichtet. Wo früher die Minister urlaubten, arbeiten heute Biologen und wohnen die Gäste internationaler Tagungen. Das passt besser, als man denkt: Die DDR-Regierung hat auf der Insel keine prunkvollen Paläste bauen lassen, sondern zwölf reetgedeckte Häuser, die sich gut in die Natur einfügen. Sie stehen in zwei Reihen leicht versetzt und mit etwas Abstand zueinander auf einer Wiese, die hoch mit Gras bewachsen ist. Das Äußere der Häuser ist seit Anfang der sechziger Jahre unverändert geblieben, neu ist nur der gelbe Anstrich. Vor den Häusern weiden Schafe.

    Für die Regierungsmitglieder gab es ein Gesellschaftshaus mit großem Festsaal, zudem Kegelbahn, Tischtennisplatte, Tennisplatz und Sauna. Ein Antennenmast sorgte dafür, dass sie nicht nur DDR-Fernsehen, sondern auch Westprogramme wie ARD und ZDF empfangen konnten. Etwas entfernt von der Siedlung lagen die Wirtschaftsgebäude. Auf der Insel gab es neben den Mitarbeitern der Küche auch Sicherheitskräfte, Feuerwehr und medizinisches Personal. Das alles erfährt man nicht von Zeitzeugen, sondern von Gästeführer Kuhfuß und aus Klaus Bossigs Buch „DDR-Führung auf Reisen“.

    Man wird sofort gefangen genommen von dieser grünen Idylle

    Ein betonierter Weg führt an der Siedlung vorbei. Hinter dem Gelände beginnt einer der ältesten Naturwälder Deutschlands. Mehr als 500 Jahre lang konnte er sich weitgehend unbeeinflusst von menschlicher Nutzung entwickeln. Die Natur hat die Zeit genutzt: Allein 400 verschiedene Pflanzen- und Farnarten und hundert verschiedene Moos- und Flechtenarten wurden auf der Insel gezählt. Die uralten Bäume haben zum Teil einen Umfang von mehreren Metern und eine dicke Borke. Manche Äste schlängeln sich über viele Meter, ihre Enden verzweigen sich wie Pinzetten, die aussehen, als wollten sie ein Stück Altholz vom zugewucherten Boden einklemmen. Die Insel und ihre Pflanzenwelt blieben auch den Romantikern nicht verborgen. Über 350 Maler kamen in den letzten 200 Jahren nach Vilm.

    Was auf der Insel auffällt, ist die Stille. Man wird sofort gefangen genommen von dieser grünen Idylle, die freilich zwiespältig ist. Hier, wo die Wellen sanft plätschern und der Wind sachte weht, urlaubten also die Menschen, die den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze verantworteten, die mithilfe der Stasi dafür sorgten, dass keiner mehr frei sprechen konnte und die auch vor körperlicher und psychischer Folter in den berüchtigten Stasi-Gefängnissen nicht zurückschreckten.

    Über die Geschichte von Vilm ist längst Gras gewachsen.
    Über die Geschichte von Vilm ist längst Gras gewachsen. Foto: textag/Fotolia.com

    Keine 25 Autominuten nördlich von Vilm und Lauterbach trifft man noch einmal auf diese Zwiespältigkeit und diesen Kontrast zwischen idyllischer Natur und irgendwie verstörender Historie. Dann, wenn man den kilometerlangen Strand im zu Binz gehörenden Ortsteil Prora mit seinem feinkörnigen Sand betritt. Der Strand ist wenige Schritte vom parallel verlaufenden Nazibau Prora entfernt, abgetrennt nur durch einen kleinen Waldstreifen. Prora, wie das geplante „KdF Seebad Rügen“ heute von allen genannt wird, ist ein riesiger Betonklotz – die größte bauliche Hinterlassenschaft der Nazis. Von der ursprünglich auf 4,5 Kilometern Länge angelegten Gebäudekette sind heute noch 2,5 Kilometer übrig. Es sollte das größte Seebad der Welt werden, in dem sich 20000 Menschen gleichzeitig erholen könnten. Zur Grundsteinlegung 1936 gab es kostenlose Sonderzüge. Prora sollte helfen, die Arbeiter, die vielfach unter dem Existenzminimum lebten, von der nationalsozialistischen Ideologie zu überzeugen. Mittlerweile wurde die Gebäudekette fast vollständig an Privatinvestoren verkauft. Mit Hilfe großer Plakate, auf denen hinter einem Strandkorb viel blauer Himmel und blaues Meer zu sehen sind, werden Ferienwohnungen mit Strandlage in dem denkmalgeschützten Bau vermarktet. Der Verein, der das gut besuchte Dokumentationszentrum Prora in einem der alten Gebäudeteile in Eigeninitiative betreibt, blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Auch hier tut man sich schwer mit der Vergangenheit. Auch hier muss man aufpassen, nicht von der Natur eingelullt zu werden.

    Auf Vilm zu arbeiten, war lukrativ

    Auf Vilm beherrscht die Natur alles. Es gibt keine Ausstellung über die Rolle der Insel zu DDR-Zeiten, keine Informationstafeln. Hier dominieren die Bäume und zeigen, zu welch unglaublichen Leistungen sie imstande sind: Wie die Buche, die bei einem Blitzeinschlag fast völlig zerstört wurde. Nur noch ihre Hülle war übrig. Ein tot geglaubter Baum, bei dem plötzlich einer der Äste Wurzeln schlägt. Oder, einige Meter weiter, die 350 Jahre alte Buche, die ihre Krone verloren hat. Ein Ast ist im rechten Winkel nach oben gewachsen und stabilisiert den Baum neu.

    Die Bäume versuchen sich nach einem Einschlag wieder zu fangen, jeder für sich, auf seine Weise. Ihre Stabilität ist fragil. Sie erinnern an die Menschen, die hinter einem politischen System standen, das mit der Wende zusammenbrach. Die nach dem Ende der DDR einen neuen Weg gehen mussten und die sich vielleicht ihre eigene Wahrheit über die Zeit damals zurechtgelegt haben. Auf Vilm zu arbeiten, war lukrativ. Die Bezahlung soll gut gewesen sein, die Arbeitszeiten überschaubar, hört man. Und: Die Bindung zwischen den Angestellten und den Ministern soll teilweise sehr eng gewesen sein...

    Doch auf Vilm macht sich auch neues Leben breit, kraftvoll und unbelastet von dem, was war. Ein Neuanfang – in der Natur wie in der Geschichte. Vergessen werden sollte sie dennoch nicht – auch wenn auf der Insel schon längst Gras darüberwächst.

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