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Japan: Die Kraniche von Hiroshima kommen aus der ganzen Welt

Japan

Die Kraniche von Hiroshima kommen aus der ganzen Welt

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    Der Kranich ist Japans Symbol für ein langes, glückliches Leben. Tausende gefaltete Papierkraniche werden jedes Jahr aus aller Welt nach Hiroshima geschickt. 
    Der Kranich ist Japans Symbol für ein langes, glückliches Leben. Tausende gefaltete Papierkraniche werden jedes Jahr aus aller Welt nach Hiroshima geschickt.  Foto: Koichi Kamoshida/Getty Images

    Am Daisho-in Tempel ist die Sehnsucht der Menschen nach Frieden mit Händen zu greifen. Tausende Papier-Kraniche liegen in langen Ketten zusammengeknüpft auf einem großen Holztisch. Menschen in aller Welt haben sie gefaltet und nach Hiroshima geschickt. Sie tun das, weil es nie wieder irgendwo auf der Welt Opfer einer Atombombe geben soll. Und sie tun das, weil sie die Geschichte eines kleinen Mädchens zu Tränen gerührt hat und noch immer rührt. Es ist die Geschichte von Sadako Sasaki, die gerade zweieinhalb Jahre alt war, als die Atombomben am 6. August 1945 auf Hiroshima und am 9. August auf Nagasaki abgeworfen wurden. Sie überlebte wie durch ein Wunder unverletzt. Neun Jahre später jedoch erkrankte das Mädchen an Leukämie, wie so viele Überlebende der Kriegskatastrophe. Sadako legte ihre ganze Hoffnung in das Falten von Papierkranichen. Kraniche sind in Japan das Symbol für ein langes, glückliches Leben. Und da gibt es diese alte japanische Legende: Wer tausend Kraniche faltet, hat einen Wunsch bei den Göttern frei. Das Mädchen starb, bevor es sein Ziel erreichen konnte. Es wurde elf Jahre alt. Sadakos Geschichte ging um die Welt. Noch immer werden zigtausende Kraniche als Symbol für Hoffnung und Frieden nach Hiroshima geschickt. Es werden sogar immer mehr.

    Und nun soll an jenem Sonntag ein Teil davon auf der Heiligen Insel Mijajima verbrannt werden, so wie es in Japan üblich ist. Glücksbringer Horoskope und Symbole werden einmal im Jahr auf diesem Weg an die Götter übergeben. Mittlerweile erreichen so viele Origami-Kraniche Hiroshima, dass dieses Ritual monatlich stattfindet. In großen, durchsichtigen Plastiksäcken liegen die bunten gefalteten Friedensbringer nun an der Tempelwand. Ein Mönch hat mit seinem sonoren Gesang die Zeremonie unter freiem Himmel eingeleitet. Jeder Besucher des Tempels ist eingeladen, eine Kraniche in das Feuer zu werfen.

    Historische Bilder zeigen Hiroshima als Trümmerfeld

    Ein berührendes Ritual, vor allem wenn man tags zuvor Hiroshima besucht hat, den weitläufigen Friedenspark, der an der Stelle entstanden ist, wo damals die Feuerwalze binnen Sekunden beinahe alles Leben ausradiert hat. Druckwelle nach der Detonation brachte alle Gebäude zum Einsturz – mit Ausnahme des heute als Atomdom bekannten Gebäudes der einstigen Handelskammer. Die historischen Bilder zeigen ein Trümmerfeld, das seinesgleichen sucht. 90000 Menschen waren innerhalb von Sekunden tot. Etwa 130000 starben erbärmlich an den Folgen. Genaue Zahlen gibt es bis heute nicht.

    Takahashi Teramoto erlebte die Detonation als zehnjähriger Bub aus nächster Nähe. Er würde „alles dafür geben“, um diesen 6. August 1945 und alle Folgen aus seinem Gedächtnis und seinem Leben streichen zu können. Und doch tut er alles dafür, dass dieser Tag in der Welt nicht in Vergessenheit gerät. „So ein Leid darf nie wieder passieren“, sagt er bei einem Treffen im Friedensmuseum in Hiroshima. Teramoto ist ein freundlicher älterer Herr, mit einem offenen Gesicht, dichtem hellgrauen Haar und einem erstaunlich federnden Gang. Der 82-Jährige ist einer von 45 Zeitzeugen, die mit dem Friedensmuseum von Hiroshima zusammenarbeiten. Bereits im Alter von zehn Jahren hat er mehr Glück, Tragik und Schmerz ausgehalten, als eigentlich in ein Leben passt.

    Hätte es das Schicksal gut mit ihm gemeint, hätten er und eine Familie den Atombombenabwurf unbeschadet überstanden. Der Bub war wie viele Kinder in jener Zeit auf dem Land in Sicherheit gebracht worden. Doch er wurde krank, vielleicht auch vor Heimweh. Seine Mutter kam, um ihn nach Hause zu holen. Das war am 4. August 1945. Sie wollte eigentlich ein paar Tage bleiben und sich ausruhen von den Strapazen der Reise, doch der Bub drängte sie dazu zurückzureisen – und setzte sich fatalerweise gegen seine Mutter durch. Noch am gleichen Tag machten sie sich auf den Weg nach Hiroshima.

    Sie reisten geradewegs in ihr Unglück.

    Am Morgen des 6. August schien die Sonne über Hiroshima. „Es war ein heißer Tag“, erinnert sich der sympathische Mann. Schon früh morgens habe er mit einem Freund auf der Straße gespielt. Dann habe ihn seine Mutter ins Haus gerufen. Sein Glück. Eine halbe Stunde später, um 8.15 Uhr, wurde 600 Meter hoch über Hiroshima die Atombombe gezündet. Das Haus der Teramotos stand nur einen Kilometer vom Epizentrum entfernt. Niemand in Hiroshima konnte ahnen, was sich in diesem Moment ereignete, was für ein Grauen über die Stadt (und drei Tage später über Nagasaki) hereinbrach. Die Atombombe war erst vor einem Monat in Alamo in den USA getestet worden. Niemand konnte die Folgen abschätzen. Dennoch wurde die Atombombe als Kriegswaffe eingesetzt.

    Der Zeitzeuge von Hiroshima hegt keinen Groll

    Teramoto erinnert sich an einen grellen Blitz, dann sei alles um ihn dunkel geworden. Er weiß noch, wie er verloren auf der Straße stand, über und über mit Staub bedeckt. Das Haus war wohl eingestürzt. Von seiner Mutter, die zum Zeitpunkt der Detonation nur ein paar Meter von ihm entfernt gestanden war, keine Spur. Nur Erinnerungsfetzen sind geblieben, doch die haben sich in der Seele eingebrannt. Eine Nachbarin habe ihn in dem Durcheinander erkannt und ihn geistesgegenwärtig Huckepack in den westlichen, verschonten Teil Hiroshimas getragen. Ein Marsch, den er nie mehr aus seinem Gedächtnis löschen kann. Dieser schwarze Regen, der plötzlich einsetzte. Die sterbende Frau unter einer eingestürzten Brücke, die ihm direkt in die Augen blickte. Der Freund, mit dem er in der Früh gespielt hatte, und dem die Haut nun in Fetzen vom Leib hing. „Ich dachte, dass wäre Stoff, bis ich näher kam“, erzählt der 82-Jährige. Diese Bilder werden ihn nie wieder loslassen, egal wie oft er davon mit seiner ruhigen, besonnenen Stimme erzählt. Der Freund starb wenige Tage später, die Nachbarin, der er sein Leben zu verdanken hat, ebenso. Und auch seine Mutter sah er nie wieder. Sie wurde aus den Trümmern des Hauses befreit. Doch sie starb sieben Tage später. Mit zehn Jahren hat Teramoto alles verloren, überstand verheerende Schmerzen, bis all die offenen Wunden an seinem Körper verheilt waren. Und dann sagt er diesen erstaunlichen Satz: „Ich hege keinen Groll, ich hatte auch großes Glück.“ Teramoto erkrankte nicht an Krebs, seine drei Kinder sind gesund und die fünf Enkel ebenso – in Hiroshima alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

    Im Friedensmuseum von Hiroshima schieben sich die Menschen dicht an dicht durch die Ausstellung, die den Atombombenabwurf und seine Folgen dokumentiert. Die Fundstücke aus den Trümmern und ihre Geschichte dazu machen die Besucher still. Ein verbogenes Dreirad, eine Taschenuhr, die um 8.15 Uhr stehen geblieben war, eine metallene Brotzeitdose, ja, und auch das: drei Fingerkuppen, die eine Mutter bewahrt hat. Mehr ist ihr von ihrem Sohn nicht geblieben. Kinderzeichnungen zeigen die Verwundeten, die in provisorischen Lazaretten unter freiem Himmel liegen. Es macht das Herz eng, was Menschen Menschen antun können.

    Im Park vor dem Museum sind am Kinderdenkmal all die Kranich-Ketten zu sehen, die in aller Welt als Zeichen der Hoffnung gefaltet wurden. Ganz in der Nähe lodert eine Flamme. Sie wird solange brennen, wie es auf der Welt Atomwaffen gibt, heißt es auf einem Schild. Wohl für immer.

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