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Psychische Gesundheit: Was hilft gegen die Angst vor dem Krieg?

Psychische Gesundheit

Was hilft gegen die Angst vor dem Krieg?

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    Menschen in Deutschland verspüren zunehmend Angst vor einem Krieg und um die Zukunft.
    Menschen in Deutschland verspüren zunehmend Angst vor einem Krieg und um die Zukunft. Foto: Klose, dpa (Symbolbild)

    "Am Tag sind es so fünf Gespräche, in denen es besonders um die Kriegssituation geht", berichtet Hildegard Steuer, Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Augsburg. Mit dem breiten Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und Warnungen an zur Hilfe kommende Staaten wächst hierzulande die Sorge um Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Verwandte in der Ukraine und die Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Fünfzig Gespräche führen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge Augsburg im Schnitt am Tag. Inzwischen hat sich Anteil der Gespräche, in denen es um Themen wie Kriegsangst geht, bei täglich zehn Prozent eingependelt, sagt Steuer.

    Beim Bundesverband der Telefonseelsorge heißt es: Der Krieg in der Ukraine wird seit dem 24. Februar, dem Tag der russischen Invasion, im Schnitt in einem Fünftel der Gespräche thematisiert. Auch im Chat bietet der Verband Seelsorge an: In 75 Prozent der Nachrichten, in denen es um den Krieg in der Ukraine geht, berichten die Menschen auch von auftauchenden Ängsten. Bei den Mail-Zuschriften, die die Ehrenamtlichen erhalten, geben die Hilfesuchenden in zwei Dritteln der Nachrichten zum Thema Krieg an, Ängste zu haben. Am Telefon sind es vorwiegend Personen aus der mittleren Generation und Ältere, die über ihre Sorgen sprechen. Die schriftlichen Kommunikationswege werden überwiegend von Menschen zwischen 20 und 40 Jahren genutzt.

    Pandemie und Kriegsnachrichten verstärken Depressionen und Angstzustände

    Die Anrufenden erzählen den Mitarbeitenden in Augsburg neben der Angst vor dem Krieg von allgemeinen Zukunftsängsten. Andere haben Kinder und fürchten, sich um diese nicht mehr gut kümmern zu können, weil sie nachts nicht mehr schlafen können. Die Leiterin der Telefonseelsorge Augsburg sagt, es riefen Menschen an, die bereits zuvor labil gewesen seien. Depressionen, Angstzustände und suizidale Gedanken würden zunehmen. Bei alten Personen, die als Kind Krieg und Bombennächte erlebt hätten, kämen Kindheitserinnerungen hoch, die sie sehr belasten würden. Die Erinnerungen seien bei manchen gut vergraben gewesen, kämen jetzt wieder an die Oberfläche und sorgten bei den Betroffenen zum Teil für Panik,erklärt Steuer.

    Das Wichtigste sei ihrer Erfahrung nach, darüber zu sprechen. Sie sagt: „Sie können uns anrufen, wir hören zu und nehmen es ernst.“ Die Ehrenamtlichen versuchen, mit den Anrufenden die Gedanken zu sortieren und zu schauen, wie diese ihr eigenes Sicherheitsgefühl wieder verbessern können. Dabei können kleine Rituale helfen, wie eine Kerze anzuzünden. Ängstlichen Personen kann es auch helfen, sich mit Menschen zu umgeben, die sie ermutigen. Das kann auch ein Ausweg aus der Angst sein.

    Steuer rät, die aktuelle Nachrichtenlage „wohl dosiert“ zu verfolgen. Wer bemerkt, dass er vor den Nachrichten festhängt, erstarrt und den Alltag nicht mehr bewältigen kann, sollte die technischen Geräte abschalten. Stattdessen sollten Betroffene versuchen, die Konzentration auf die unmittelbare Umgebung zu lenken: Sie könnten ans Fenster gehen, hinaus auf die Straße blicken und das beobachten, was um sie herum stattfindet.

    Bewegung und Atemübungen helfen gegen Angst

    Darüber hinaus können Atemübungen, wie sie beim Yoga oder autogenem Training praktiziert werden, helfen. Hierzu hat Steuer eine kleine Übung parat: Man versucht, den Körper mit dem Einatmen so stark anzuspannen, wie es nur irgendwie geht. Beim Ausatmen lässt man die Anspannung los. Diese sogenannte progressive Muskelentspannung können in einer akuten Paniksituation helfen, sagt die Expertin. Außerdem kann Bewegung den Körper entspannen. Er schüttet bei Angst Stresshormone aus. Diese Stresshormone werden durch Hormone, die der Körper bei Bewegungsformen wie Tanzen ausschüttet, reduziert.

    Menschen, die durch ihren beruflichen Hintergrund mit Nachrichten und Informationen über den Krieg konfrontiert und dadurch belastet sind, sollten sich im Anschluss an die Arbeit bewusst eine Auszeit nehmen. Arbeitgeber sollten nach Ansicht von Hildegrad Steuer Gesprächsangebote unterbreiten, Offenheit und auch Verständnis für Mitarbeitende, die um eine Auszeit bitten, zeigen.

    „Man darf die eigene Betroffenheit äußern. Uns allen geht es gerade so, das sollte man auch kommunizieren“, sagt die Leiterin der Telefonseelsorge Augsburg. Appetitlosigkeit und Schlaflosigkeit sind keine ungewöhnlichen Symptome. „Angst dauert nicht ewig, sie kommt in Wellen und geht auch wieder“, sagt Steuer. Wichtig ist, nicht allein zu bleiben und Kontakt zu suchen zu Menschen, die einem gut tun. Menschen, die sich um Verwandte und Freunde in der Ukraine sorgen, fühlen sich möglicherweise hilflos. Aktiv zu werden und beim Sortieren und Beladen von Lastwägen mit Hilfsgütern anzupacken, könne ihnen Halt geben, meint Steuer.

    Stadt Augsburg will professionelle Hilfe für Geflüchtete etablieren

    Woher kommt die Angst? Sie erfüllt eine Funktion: Sie aktiviere den Körper, sodass "wir hochkonzentriert sind und vorsichtig werden", erklärt die Expertin. Problematisch wird es auch dann, wenn sich die Angst vom Auslöser abkoppelt und fortbesteht, obwohl die gefährliche Situation längst vorbei ist. Eltern sollten wachsam sein, weil schwer abzuschätzen ist, was Kinder in ihrer Fantasie denken. Das kann sich in eine irrationale Welt potenzieren und sehr bedrohlich wirken. Die Folgen können Einnässen, Konzentrationsschwierigkeiten und Albträume sein. Für Kinder wie für Erwachsene ist es wichtig, über ihre Gedanken offen zu sprechen. Wenn die psychische Gesundheit massiv angeschlagen ist und traumatische Erlebnisse hochkommen, ist professionelle Hilfe gefragt. Derzeit kann es jedoch einige Zeit dauern, bis ein Therapieplatz gefunden ist. Zur Überbrückung gibt es einige Angebote:

    • Die App "Krisen Kompass" ist als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht. Sie hilft Nutzenden mit Informationen über Anlaufstellen, Übungen zum Bewältigen von Krisenmomenten und Übungen zur Selbstreflexion. Die App ist kostenlos im App Store oder im Play Store verfügbar.
    • Für junge Menschen wurde der Krisenchat konzipiert. Ausgebildete Fachpersonen beraten die Hilfesuchenden. Das Angebot ist im Internet zu finden unter https://krisenchat.de/.
    • Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Telefonseelsorge bieten Menschen in belastenden Situationen ein offenes Ohr. Die Beratung ist anonym und kostenlos. Die Telefonseelsorge erreichen Sie unter 0800/1110111 oder 0800/1110222, per Mail oder Chat unter https://online.telefonseelsorge.de.

    Für Menschen, die aus der Ukraine geflohen und in Augsburg untergekommen sind, wird von der Stadt Augsburg eine Beratungsstelle aufgebaut. Nach Auskunft der Hotline steht die Stadt in Kontakt mit einer Psychologin und hofft, im Laufe der Woche die professionelle Hilfe etablieren zu können.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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