Abgesagte Flüge, von der Insolvenz bedrohte Airlines und Chaos an den Flughäfen: Wenn Reisende davon betroffen waren, mussten sie sich in den vergangenen Monaten häufig langwierig und mühsam mit der Erstattung ihrer Tickets herumschlagen, da diese in aller Regel bereits bezahlt waren. Immer wieder haben Verbraucherschützende dabei bemängelt, dass Airlines nicht oder deutlich nach den eigentlich durch die EU-Fluggastrechte-Verordnung vorgeschriebenen sieben Tagen ihr Geld zurückbekommen haben.
Dem Handelsblatt zufolge gingen bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) zwischen 1. Juli und 15. August in diesem Jahr 3082 Anträge ein – 127,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Rund 80 Prozent der Streitfälle gingen auf den Flugverkehr zurück. Der niedersächsische Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) hat deshalb kürzlich gefordert, das Prinzip der Vorkasse bei Flugreisen abzuschaffen. Bezahlt werden solle demnach erst beim Check-in.
Verbraucherzentrale nennt gängige Praxis "wirtschaftlich äußerst bedenklich"
Rückenwind bekommt der Vorschlag aus Hannover unter anderem von Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne). Bereits im vergangenen Jahr nannte außerdem die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) die global gängige Praxis in einem Positionspapier „wirtschaftlich äußerst bedenklich“. Kunden würden auch bei mangelnder Liquidität von den Airlines „zwangsweise als Kreditgeber genutzt.“ Auch CSU-Verbraucherpolitiker Volker Ullrich spricht sich für eine Abschaffung des Vorkasse-Prinzips aus. „Das ist nichts anderes als ein zinsloser Kredit“, sagt der Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit unserer Redaktion. „Erfahrungen zeigen außerdem, dass es bei der Rückzahlung Taktiken gibt, auf Zeit zu spielen.“ Ullrich fordert stattdessen ein Anzahlungsmodell, das den Airlines eine gewisse Sicherheit gäbe, sowie eine Pflicht zur automatischen Rückerstattung bei Ausfällen.
Letzteres fordert auch die Ampel – es ist gar im aktuellen Koalitionsvertrag verankert. Anders sieht es beim Vorkasse-Prinzip aus. Jürgen Lenders (FDP), Mitglied im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags, hält die Forderung aus Niedersachsen für wahltaktisch begründet – am 9. Oktober wird dort der Landtag neu gewählt. „Man muss sich bewusst sein, dass das einen sehr langen Vorlauf und vor allem eine EU-weit einheitliche Umsetzung bräuchte“, sagt Lenders. „Nationale Lösungen halte ich wegen des Wettbewerbsnachteils für ausgeschlossen.“ Der FDP–Abgeordnete warnt vor Liquiditätsproblemen und verweist auf andere Bereiche – Bahntickets, Baubranche und Konzertveranstaltungen – in denen die Vorkasse ebenfalls übliche Praxis ist. Wie sein Parteikollege und Bundesverkehrsminister Volker Wissing sagt er aber, man müsse den Vorschlag erst einmal überprüfen.
Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft: Vorkasse hat sich bewährt
Die Fluggesellschaften selbst und ihre Verbände halten nichts von den Forderungen. „Die Vorkasse hat sich im weltweiten Luftverkehr bewährt. Wir sehen hier keinen politischen Handlungsbedarf“, sagt Julia Fohmann-Gerber, Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Sie verweist auf die Planungssicherheit für die Airlines, die dadurch Flüge optimal auslasten und Passagieren günstige Frühbucherrabatte anbieten könnten. „Entfiele die Vorkasse, wäre das nicht mehr möglich“, sagt Fohmann-Gerber. Ihren weiteren Angaben zufolge gebe es bei der Erstattung der Tickets keine Probleme – sie erfolge in aller Regel innerhalb der vorgeschriebenen sieben Tage.
Branchenkenner Philipp Goedeking, Chef des Luftfahrtberaters Avinomics, glaubt nicht, dass Flüge künftig erst beim Check-in bezahlt werden müssen. „Das wäre eine dramatische Veränderung für den Luftverkehr, die Deutschland alleine nicht durchsetzen kann“, sagt er und warnt vor einer Wettbewerbsverzerrung. Er verstehe zwar die Motivation hinter der Forderung und kritisiert den Umgang mit verbraucherunfreundlichen Konzernen. „Wenn Airlines nicht fliegen, muss der Preis erstattet werden. Da sollte der Gesetzgeber auf jeden Fall mehr tätig werden.“
Doch das Vorkasse-Prinzip abzuschaffen sei der falsche Weg und „völlig unvorstellbar“. Es gehe um Unsummen von Geld, das die Airlines bräuchten, um etwa den Sprit für die Saison einzukaufen. Fiele das Prinzip, müssten sie sich auf dem Kapitalmarkt kurzfristige Kredite besorgen, wodurch die Preise für die Passagiere letztlich deutlich teurer würden. Dem widerspricht jedoch ein VZBV-Gutachten aus 2021, demzufolge die Preise nur um maximal 3,3 Prozent steigen würden. Die VZBV fordert nun einen Runden Tisch.