Frau Prof. Eifert, Sie haben zusammen mit Dr. Suzann Kirschner-Brouns das Buch „Herzsprechstunde – Warum das weibliche Herz anders ist und wie es gesund bleibt“ geschrieben. Der Titel skizziert ja bereits die Fragestellung: Worin unterscheiden sich denn das weibliche und das männliche Herz eigentlich konkret?
SANDRA EIFERT: Es gibt tatsächlich erhebliche Unterschiede. So ist das weibliche Herz in der Regel um einiges kleiner als das männliche und hat auch kleinere Gefäße, was bei Untersuchungen eine wichtige Rolle spielen kann. Doch darauf komme ich später noch. Dazu kommt die unterschiedliche hormonelle Situation. Das männliche Herz hat durch den Einfluss des männlichen Hormons Testosteron mehr Muskelmasse und ist darum kräftiger. Das führt dazu, dass das weibliche Herz etwa zehn Schläge mehr pro Minute machen muss, um die gleiche Leistung zu erbringen.
Schon seit geraumer Zeit wird kritisiert, dass die Medizin zu männlich geprägt ist. Wenn neue Medikamente getestet werden, dann erfolgt dies in der Regel an männlichen Probanden und auch an männlichen Versuchstieren. Danach richten sich später die Dosierungsempfehlungen. Stimmt das noch so? Oder gibt es inzwischen etwa auch weibliche Versuchspersonen?
EIFERT: Medikamente werden tatsächlich traditionell an Männern getestet. Das wurde und wird damit begründet, dass eine Frau schwanger sein könnte und potenziell die Nachfahren geschädigt werden könnten. Zudem wird argumentiert, dass Frauen durch den hormonellen Zyklus größeren Hormonschwankungen unterliegen. Dies könnte Testergebnisse beeinflussen. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA empfiehlt allerdings seit 2010, mehr Frauen und weibliche Versuchstiere in die entsprechenden Untersuchungen einzubeziehen. Es gibt wenige Medikamente, die ausschließlich an männlichen beziehungsweise weiblichen Probanden getestet werden. Aber es gibt vor allem Medikamente, bei denen das keineswegs egal ist: Frauen nehmen die Mehrheit der Arzneimittel ganz anders auf und sie werden anders im Körper verteilt, gespeichert sowie ausgeschieden. Das Herzmedikament Digitoxin etwa kann bei Frauen aus diesem Grund sogar tödlich wirken. Und bestimmte ACE-Hemmer, die gegen hohen Blutdruck oder bei Herzschwäche eingesetzt werden, führen bei Frauen häufiger zu Nebenwirkungen, wie Reizhusten, als bei Männern.
Es ist sicher unstrittig, dass die Medizin zu männlich geprägt ist. Wie lässt sich das ändern?
EIFERT: Das ist ein langer Prozess, der sich zum Glück allmählich in die richtige Richtung bewegt. Gendermedizin, also die Medizin unter Geschlechteraspekt, ist inzwischen an vielen deutschen Universitäten Teil der medizinischen Ausbildung. Man unterscheidet das biologische (auf Englisch „Sex“) vom sozialen Geschlecht (auf Englisch „Gender“). Das biologische Geschlecht umfasst die körperlichen Merkmale wie Anatomie, Hormone, Immunsystem und Stoffwechsel, aber auch unser Erbgut. Das soziale Geschlecht dagegen ergibt sich aus den gesellschaftlichen Normen inklusive Geschlechterrolle und -erwartungen. Doch, wie gesagt, es ändert sich viel. Besonders eindrucksvoll ist die folgende Zahl: 67 Prozent der Medizin-Studierenden in Deutschland sind weiblich. EU-weit sind es 60 Prozent. Anders sieht das allerdings in der Herzmedizin aus: Da beträgt die Frauenquote bei Fachärztinnen in Deutschland zehn Prozent.
Kommen wir zum Herzen zurück, mit dem Sie sich als Herzchirurgin seit vielen Jahren beschäftigen. Wie kamen Sie auf den Aspekt, das weibliche Herz mit seinen geschlechtlichen Spezifika in den Blick zu nehmen?
EIFERT: Ich habe mehr als 15 Jahre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München gearbeitet. Mein damaliger herzchirurgischer Chef, Professor Reichart, sagte 2008 zu mir: "Die Sterblichkeit bei Frauen nach Herz-OPs ist doppelt so hoch wie bei Männern. Bitte schauen Sie sich das genauer an." Anschließend folgte ein Forschungsaufenthalt an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein.
Und was war dann der Grund für die höhere Sterblichkeit?
EIFERT: Die Geschlechterunterschiede erstrecken sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen über den gesamten Verlauf: Angefangen bei den geschlechtsspezifischen Risikofaktoren, die zu einer Herz- oder Gefäßerkrankung führen können, ist häufig dann auch die Symptomatik bei Frauen anders als bei Männern. Das führt dazu, dass bei Frauen die Diagnostik zum späteren Zeitpunkt erfolgt und eine andere Diagnostik notwendig sein kann. All das hat Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen.
Wie unterscheidet sich die weibliche Herzerkrankung von der männlichen?
EIFERT: Die Hormone spielen eine große Rolle. Bis zur Menopause sind das weibliche Herz und die weiblichen Gefäße durch das Geschlechtshormon Östrogen vor Erkrankungen wie schädlichen Ablagerungen gut geschützt, weil die Natur die Fortpflanzung sichern will. Diesen Schutz haben die Männer in diesen Jahren nicht, weshalb sie zwei Drittel der Herz-Kreislauf-Patienten ausmachen. Diese Schutzfunktion lässt bei den Frauen ab der Menopause nach, wenn die Produktion von Östrogen zurückgeht: Die Elastizität der Gefäße nimmt ab, man spricht von einer zunehmenden Gefäßsteifigkeit. Nicht zuletzt deshalb steigt das gesundheitliche Risiko: Bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache Nummer eins.
Welche Unterschiede gibt es noch?
EIFERT: Es zeigt sich, dass es am weiblichen Herzen andere Erkrankungen gibt: deutlich mehr Herzklappenerkrankungen, andere Formen der Herzschwäche. Während beim Mann oft die Pumpfunktion schwächer wird, gibt es bei Frauen eher eine Störung der Entspannungsphase des Herzens, die sogenannte diastolische Pumpfunktionsstörung, wodurch es sich also nicht so gut erholen kann. Auch der Herzinfarkt äußert sich bei Frauen anders als bei Männern. Doch darauf komme ich später noch deutlicher.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch das „Broken-Heart-Syndrom“, also das Syndrom des gebrochenen Herzens. Was ist das?
EIFERT: Ja, diesem Krankheitsbild haben wir in unserem Buch „Herzsprechstunde“ ein Kapitel gewidmet. Viele Frauen kommen mit einer schmerzhaften Symptomatik wie bei einem Herzinfarkt in eine Klinik – und in der Herzkatheteruntersuchung zeigt sich dann aber, dass es kein Infarkt ist, sondern dass die linke Herzkammer aufgetrieben und die Pumpfunktion des Herzens eingeschränkt ist. Das ist ein frauenspezifisches Phänomen: Das Broken-Heart-Syndrom wird zu 95 Prozent bei Frauen diagnostiziert, 90 Prozent sind dann bereits jenseits der Wechseljahre. Das Krankheitsbild ist nicht harmlos: im Akutfall droht Herzversagen. Unbehandelt kann ein Broken-Heart-Syndrom also genauso lebensbedrohlich wie ein Herzinfarkt sein.
Woher kommt dieses Syndrom?
EIFERT: Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Diese Symptomatik folgt oft einer starken emotionalen Stresssituation: Trennung, Tod eines nahe stehenden Menschen, Kinder, die das Haus verlassen, aber auch erhebliche finanzielle oder berufliche Sorgen. Bei diesem Syndrom wird das Herz durch Stresshormone überstimuliert und es kommt zu dieser krankhaften Entwicklung am Organ. Frauen nehmen sich wortwörtlich oft viel zu Herzen.
Wie unterscheidet sich die Herz-Diagnostik bei Frau und Mann?
EIFERT: Das möchte ich am Beispiel des Herzinfarktes erläutern: Beim Mann dominiert der weithin bekannte, heftige Schmerz im Brustkorb, meist linksseitig, in den Arm ausstrahlend. Bei Frauen verläuft der Herzinfarkt vielfach anders. Bei der Frau gibt es oft Symptome, die zunächst gar nicht unbedingt an einen Infarkt denken lassen: Übelkeit, Schweißausbrüche und Abgeschlagenheit. Da muss man von diagnostischer Seite genauer hinschauen, dafür sensibilisiert werden. Beim Mann zeigen sich Zeichen eines Infarktes schon im Ruhe-EKG, also dem Elektrokardiogramm, das in Ruhe abgeleitet wird. Aber nicht so bei der Frau: Hier sollte das EKG unter Belastung aufgezeichnet werden. Sonst kann es sein, dass Hinweise nicht erfasst werden. Und noch etwas: In Studien wurde aufgedeckt, dass Frauen zwar in der Regel die Gesundheitsmanagerinnen ihrer Familien sind, aber etwa den Notarzt für sich selbst nicht gern in Anspruch nehmen, weil sie es für sich nicht für nötig halten oder sie glauben, dass ihnen das nicht zusteht.
Wie unterscheidet sich die Therapie des Herzens bei Mann und Frau?
EIFERT: Frauen sind bei der Therapie bei Herz- und Gefäßerkrankungen teilweise erheblich im Nachteil, weil sie etwa kleinere Gefäße haben, die mittels Herzkatheteruntersuchung nicht oder schwieriger zugänglich sind. Zudem gibt es eine höhere Komplikationsrate. Ähnlich sieht es bei Bypass-Operationen am Herzen und den Gefäßen aus. Und noch eine Studie mit einem interessanten Ergebnis: Gerade Frauen nehmen ihre Medikamente oftmals nicht so regelmäßig ein, wie es sein müsste. Es ist kaum zu glauben, aber wahr.
Was würden Sie Frauen und Männern noch mit auf den Weg geben?
EIFERT: Dass sie auf ihr Herz hören. Auf jeden Fall sollten Frauen und Männer Beschwerden abklären lassen, vor allem, wenn sie wiederkehren und sich sogar im Laufe der Zeit verstärken. Nicht abwarten. Körperliche Bewegung ist für die Gesundheit generell und für das Herz im speziellen ganz zentral. Bewegung ist jeder weiteren Therapieform überlegen. Die deutsche Herzstiftung empfiehlt fünfmal pro Woche 30 Minuten Bewegung, mindestens einmal so, dass das Herz auch gefordert wird – im Sinne von Cardiotraining, also anstrengend sollte das Training sein. Für Frauen nach den Wechseljahren stehen Kraft- und Konditionstraining im Vordergrund. Daneben ist fürs Herz die mediterrane Kost höchst empfehlenswert. Herzgesundheit beginnt im Mund. Und Frauen sollten einfach wissen: Ihr Herz ist anfälliger für Stress als Männerherzen.
Zur Person
Prof. Sandra Eifert, 53, ist Oberärztin am Herzzentrum Leipzig und seit 16 Jahren Herzchirurgin. Zusammen mit der Medizinjournalistin Dr. Suzann Kirschner-Brouns hat sie das Buch „Herzsprechstunde“ verfasst, das nun erschienen ist.