Herr Kitz, können wir uns immer schlechter konzentrieren?
Volker Kitz: Ja, die Fähigkeit nimmt rapide ab. Studien weisen darauf hin, dass die elektronischen Medien die Konzentrationsfähigkeit beeinflussen. Wer einen Text am Bildschirm gelesen hat, konzentriert sich danach schlechter als eine Person, die ein Buch gelesen hat. Laut Studien stört ein Handy, das in Sichtweise liegt, die Konzentration. Selbst wenn es ausgeschaltet ist! Denn dauernd befasst man sich unbewusst damit, welche Nachrichten eingehen könnten.
Was versteht man denn eigentlich unter Konzentration?
Kitz: Konzentration ist die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu bündeln und für einen längeren Zeitraum aufrechtzu- erhalten. Das fällt in der heutigen Zeit immer schwerer. Viele Quellen buhlen um unsere Aufmerksamkeit, aktuelle Nachrichten, Kommunikation bei der Arbeit, Mitteilungen von Freunden oder die sozialen Medien. Regelmäßige Studien messen die "kollektive Aufmerksamkeit“, also wie lange das öffentliche Interesse für etwas Neues andauert. Diese Studien stellen fest, dass Nachrichten, Bücher, Filme und so weiter für uns immer kürzer "neu“ sind, weil so viel auf uns einprasselt. Ganz früher gab es nur Informationen, wenn etwas geschah; da wurden Extrablätter gedruckt. Später kam der Rundfunk mit seinen täglichen Nachrichten. Heute brechen unzählige Informationen auf den unterschiedlichsten Kanälen über uns herein. Allerdings haben schon vor hundert Jahren Menschen darüber geklagt, dass sie sich schlecht konzentrieren können. Damals haben sie es die "elektrische Revolution“ genannt, als die Elektrizität die Gesellschaft eroberte. Das scheint sich heute zu wiederholen; jetzt sprechen wir von der "elektronischen Revolution“.
Wie können sich Menschen trotz Handy zurück auf die Konzentration besinnen?
Kitz: Viele haben das Handy immer dabei, bei der Arbeit ist es auf dem Schreibtisch, beim romantischen Essen liegt es neben den Tellern. Häufig ist es sogar auf dem Nachttisch im Schlafzimmer zu finden. Der Ratschlag der Wissenschaft ist klar: das Handy öfter außer Sichtweite legen, in eine Schublade oder ein anderes Zimmer. Das bedeutet, dass man den Klingelton einschalten muss, um dringende Anrufe zu bemerken. Klingelt es nicht, kann man davon ausgehen, dass niemand etwas wirklich Wichtiges möchte.
Drei Tipps, wie Sie sich besser konzentrieren können
Es hilft der Konzentration mit dem Knie zu wippen, mit einem Stift zu kritzeln oder Kaugummi zu kauen. Es wirkt vielleicht nervös, aber es schafft einen Grunderregungszustand im Gehirn, der die Konzentration erleichtert.
Auch Schlaf ist wichtig: Eine weltweite Studie hat herausgefunden, wenn man weniger als sieben Stunden schläft, sinkt die Konzentration. Aber auch zu viel Schlaf kann schaden.
Um sich mehr bei der Arbeit zu konzentrieren, sollte man sich Störungen entziehen. Eine Lösung: Ein "Bitte-nicht-stören-Schild" wie im Hotel. Messengerdienste bieten ebenfalls den Status "Bitte nicht stören" an. Klingt einfach, ist laut Studien aber sehr hilfreich.
Schnell greift man zum Handy, um die Uhrzeit abzulesen, Nachrichten zu checken oder sich abzulenken. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Impulskontrolle die Grundlage für die Konzentration ist. Wie können wir unsere Impulse kontrollieren und uns dadurch besser konzentrieren?
Kitz: Das ist schwer. Es gibt die sogenannten "ironischen Prozesse“ in der Psychologie: Je mehr wir einen Gedanken ausblenden wollen, desto mehr verfolgt uns der Gedanke. Je mehr ich denke, dass ich gerade nicht auf mein Handy schauen möchte, um Nachrichten zu checken, desto öfter tue ich es. Das Gehirn funktioniert wie ein Türsteher, der den Gedanken abhalten soll. Aber um den Gedanken zu erkennen, muss es ihn ständig vor sich haben. Die Psychologie hat aber ein Gegenmittel entwickelt: die "fokussierte Ablenkung“. Das bedeutet, wenn der unliebsame Gedanke kommt, denke ich schnell an etwas anderes. Ein Beispiel: Kommt mir das Handy in den Kopf, denke ich schnell an ein rotes Auto. Das funktioniert wirklich.
Eine These in Ihrem Buch ist auch: Die größten Schäden auf der Welt begehen nicht die Böswilligen, sondern die Unkonzentrierten...
Kitz: Ja, das glaube ich. Manchmal wird das offensichtlich, bei großen Unglücken, wie dem Zugunglück in Bad Aibling, bei dem der Verursacher durch ein Handyspiel abgelenkt war. Aber es gibt auch die vielen kleinen Fehler im Alltag: bei der Arbeit oder im Privaten, auch in der Beziehung. Durch Unkonzentriertheit übersieht man etwas, macht an dieser Stelle einen Fehler und an anderer Stelle noch mal einen. Das richtet jährlich Milliardenschäden für die Wirtschaft an. Ich glaube, dass viele Unternehmen Chancen verschenken, weil die Mitarbeiter unkonzentriert sind, aber das wird einfach toleriert. Meiner Meinung nach sind wir zu nachsichtig mit Menschen, die unkonzentriert sind. Wenn jemand sagt: Das war keine Absicht, das ist mir durchgerutscht, dann akzeptieren wir das zu schnell. Würden sich alle ein bisschen mehr konzentrieren, blieben Unternehmen viele kleine Fehler und große Fehlentscheidungen erspart. Ich glaube auch, dass durch mehr Konzentration manche Ehe gerettet werden könnte.
Welchen Einfluss hat Ernährung auf die Konzentration?
Kitz: Mit der Ernährung kann man die Konzentration gut beeinflussen. Omega-3-Fettsäruren, die in Lachs, Walnüssen und Olivenöl zu finden sind, oder Flavonoide, wie in grünem Tee oder Blaubeeren, helfen der Konzentration. Wichtig ist auch, genug zu trinken, was viele vernachlässigen. Es gibt ein wissenschaftlich erprobtes Kriterium: die Urinfarbe. Ist der Urin champagnerfarben, hat man genug getrunken. Wenn er sich verdunkelt in Richtung Orangenlimonade, erschwert man sich durch den Wassermangel unnötig die Konzentration.
Eine neue Studie hat auch gezeigt, dass Zucker der Konzentration schadet. Es konnte nachgewiesen werden, dass Zucker dazu führt, dass man nach 30 bis 60 Minuten in ein Konzentrationsloch fällt. Aber es wurde ein Trick, der sogenannte "Gurgel-Effekt“, entdeckt: Wer den Mund mit zuckerhaltigen Getränken nur ausspült, kann seine Konzentration steigern. Der Geschmack stärkt über das Belohnungszentrum im Gehirn die Ausdauer, gleichzeitig gelangt der Zucker nicht in den Blutkreislauf und verursacht so kein Zuckerloch.
Wie können wir uns in unserem Alltag besser konzentrieren?
Kitz: Man kann die Rahmenbedingungen für die Konzentration verbessern. Also Handy oder andere ablenkende Dinge aus dem Blickfeld schaffen. Dann ist die Frage: Welche Geräuschkulisse braucht man? Manche benötigen Stille, andere wiederum Geräusche. Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass Geräusche, die wir mögen, helfen können. Für den einen ist es die klassische Musik, für die anderen ein Hörbuch. Der Grund: Geräusche, die einem gefallen, sorgen für eine Grunderregung im Gehirn, die die Konzentration erleichtert. Es können auch anregende Gerüche helfen, wie Pfefferminz oder Jasmin. Ein weiterer Aspekt ist, ob man sich besser alleine oder in der Gesellschaft konzentriert. Studien haben gezeigt, dass sich Routineaufgaben besser im Großraumbüro in Anwesenheit anderer erledigen lassen. Sobald die Aufgaben komplizierter werden, sollte man die Möglichkeit haben, alleine zu sein, um konzentrierter arbeiten zu können.
Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich intensiver mit Konzentration auseinanderzusetzen?
Kitz: Ich habe eine Erfahrung gemacht, die wahrscheinlich viele Leute in den letzten Jahren gesammelt haben: Es ist mir immer schwerer gefallen, mich länger auf etwas zu konzentrieren, einen Text zu lesen, zu schreiben, ohne dass die Gedanken abwandern. Deswegen wollte ich dem Phänomen, was mir sehr verbreitet erschien, nachgehen. Also bin ich in den Himalaja gereist und habe mich mit der Konzentrationsfähigkeit wissenschaftlich auseinandergesetzt.
Für zehn Tage haben Sie ein Schweigeseminar im Himalaja besucht: Wie war die Erfahrung für Sie?
Kitz: Es war ernüchternd zu lernen, dass selbst Eremiten, die seit zwanzig Jahren in Einsamkeit meditieren üben, Probleme haben, sich nur eine Minute auf ihren Atem zu konzentrieren. Die menschlichen Gedanken wandern einfach gerne ab. Dabei habe ich gelernt, dass das Ziel nicht sein kann, die Gedanken zu kontrollieren, sondern nur bewusster wahrzunehmen, wenn die Gedanken abschweifen. Es ist interessant zu beobachten, wie der eine Gedanke den anderen ergibt, wie sich Bilder im Kopf zusammensetzen und Assoziationsketten entstehen.
Haben Sie im Schweigekloster und während des Buchschreibens gelernt, sich besser zu konzentrieren?
Kitz: Ja, es gibt Erkenntnisse, die helfen, die beschreibe ich ausführlich in meinem Buch. Im Laufe der Zeit habe ich bei mir damit eine Verbesserung festgestellt. Die eigenen Gedanken zu kontrollieren, lässt sich schwer erreichen. Aber wir können uns von unseren Gedanken etwas unabhängiger machen, sie beobachten und vorbeiziehen lassen. Ich habe mir aber auch die Frage gestellt: Ist es ein Wert an sich, immer im Hier und Jetzt zu sein? Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass das nicht unbedingt so ist. Es kann auch Situationen wie bei Schmerzen beim Zahnarzt oder einfach bei Langeweile geben, in der wir die Möglichkeiten nutzen sollten, uns wegzukonzentrieren. Über die Konzentration erschaffen wir unsere eigene Wirklichkeit.
Volker Kitz ist Autor und Jurist. Seine Bücher erscheinen weltweit in zehn Sprachen und landeten bereits auf der Spiegel-Bestsellerliste, wie zuletzt "Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss".
Volker Kitz: Konzentration – Warum sie so wertvoll ist und wie wir sie bewahren, 288 Seiten, 20 Euro.