Seelenverwandte spüren zu jedem Zeitpunkt, was ihr Partner braucht, lassen ihn komplett fühlen und verstehen ihn blind, fast schon telepathisch, richtig? Stimmt – zumindest wenn man bestimmten Medien im Internet vertraut. Laut einigen Psychologen kann der Glaube an Seelenverwandtschaft aber schädlich für die Beziehung sein. Doch was ist Seelenverwandtschaft eigentlich? Wie viele Menschen glauben an Seelenverwandte? Hier lesen Sie die Antworten.
Was bedeutet Seelenverwandtschaft?
Laut Duden besteht eine "Seelenverwandtschaft", wenn zwei Menschen "große Ähnlichkeit der Art zu empfinden" haben. In der Partnerschaft wird Seelenverwandtschaft aber durchaus mehr Bedeutung zugeschrieben. Seelenpartnerschaften sollen laut einigen Listen rund um das Thema kompromisslos funktionieren, die Partner sollen sich auch ohne Worte verstehen - ein gefährlicher Ansatz, laut Psychologen.
Gibt es Seelenverwandte?
"Seelenverwandtschaft gibt es nicht. Das ist die esoterische Variante von Platons Kugelmenschen. Unsere gesamte Kultur ist durchtränkt von diesen romantischen Liebesmythen. Ich halte das für extrem gefährlich", sagt Christian Thiel, Buchautor und Beziehungsberater, in einem Interview mit Die Zeit. In Platons Werk "Symposium" ist die Rede von Kugelmenschen. Diese hatten vier Arme und Beine und einen Kopf mit zwei Gesichtern, wurden aber von Zeus getrennt und waren deshalb unvollständig. Als Mensch sei man also dazu verdammt, auf ewig seine andere Hälfte zu finden, um Ganzheit zu erlangen - so der Mythos.
Auch Hans-Werner Bierhoff, an der Ruhr Universität Bochum als Professor für Sozialpsychologie tätig, betitelt das Konzept von Seelenverwandten als eine "Illusion". Objektive Gemeinsamkeiten werden durch die subjektive Wahrnehmung potenziert und eingeordnet. Es entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieser Effekt wurde an der Universität Bochum mit Probanden und einer Arbeitsgruppe von Professor Bierhoff untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die wahrgenommene Ähnlichkeit der Partner häufig viel ausgeprägter ist als die tatsächlichen Ähnlichkeiten, also die objektive Realität. Trotzdem sagt der Sozialpsychologe: "Die eingebildete Seelenverwandtschaft hilft dabei, sich gut zu fühlen. Denn man fühlt sich dadurch verstanden und bestätigt."
Verhaltensforscherin Vanessa Van Edwards, die unter anderem das Buch "Die Psychologie der Anziehungskraft" verfasst hat, gibt zwei Arten an, wie Menschen ihre Beziehung einordnen. Es gibt die "Destiny Believers" und die "Growth Believers". Erstere haben die Einstellung, dass ihr Partner vom Schicksal vorherbestimmt ist und es "den Richtigen" gibt, den perfekten Partner.
"Growth Believers" hingegen sind laut Van Edwards davon überzeugt, dass Beziehungen viel Arbeit und Kompromissbereitschaft benötigen und man über gemeinsame Erfahrungen in der Beziehung zueinander findet. Van Edwards stützt sich dabei auf Forschungsergebnisse von Psychologie-Professor C. Raymond Knee an der University of Houston. Er veröffentlicht seine Forschungsergebnisse regelmäßig in Fachzeitschriften, wie zum Beispiel dem Personality and Social Psychology Bulletin.
Kann der Glaube an Seelenverwandtschaft schädlich für die Beziehung sein?
Laut Van Edwards gibt es die sogenannte "soulmate trap" (die Seelenverwandten-Falle). Menschen, die an Seelenverwandte glauben, tendieren wohl dazu, kurze, intensive Beziehungen zu haben, da sie schnell frustriert sind, wenn etwas schief läuft und sich dann eher einen neuen Partner suchen.
Zusätzlich kann es laut Psychologe und Sexualtherapeut David Schnarch bei Paaren im Zustand emotionaler Verschmelzung auch zu einem sogenannten "Zusammengehörigkeitsdruck" kommen, was sich nicht zuletzt negativ auf die Sexualität in der Partnerschaft auswirken kann.
Laut Richard J. Gerrig, Psychologie-Professor an der State University of New York, muss der Glaube an Seelenverwandtschaft der Beziehung aber nicht zwangsläufig schaden. Menschen, die ihren Partner am stärksten als Teil ihres Selbst sehen, neigen eher dazu, sich langfristig in einer Beziehung verpflichtet zu fühlen. Es kommt also auf die Kompromissbereitschaft an. Laut Hans-Werner Bierhoff kann der Glaube an Seelenverwandtschaft die Beziehung sogar bereichern. Sobald der Partner aber zu stark idealisiert wird und es zu einer Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität kommt, kann sich das negativ auf die Beziehung auswirken.
Da es sich bei Seelenverwandtschaft also um ein mentales Konstrukt handelt, haben Sie wohl selbst die Wahl, ob sich die Haltung positiv oder negativ auf die Beziehung auswirken kann.
Wie viele Leute glauben an Seelenverwandtschaft?
Laut Marist Poll, ein Meinungsforschungsinstitut in den USA, glauben 73 Prozent der Teilnehmer an Seelenverwandtschaft. An der Umfrage haben nur etwa 1018 Erwachsene teilgenommen. Die Prozentualität nimmt mit dem Alter immer weiter ab: Während noch 80 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an Seelenverwandte glauben, sind es unter den Befragten, die 60 Jahre oder älter sind, nur noch 65 Prozent.
Auch Statista hat in Deutschland 2018 eine Umfrage zu Liebe und Partnerschaft gemacht, in der bestimmten Aussagen zugestimmt werden konnte. 5737 Menschen nahmen teil und insgesamt 61,1 Prozent der Befragten stimmten folgender Aussage zu: "Ich möchte in meinem Partner einen Seelenverwandten finden." Sie landete damit auf Platz 1. Dabei gab es einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen: 55,3 Prozent der Männer wollen Seelenverwandtschaft in einer Partnerschaft. Unter den weiblichen Befragten stimmten sogar 66,4 Prozent dieser Aussage zu.
An zweiter Stelle landete die Aussage: "Ich brauche einen Partner bei dem alles passt, sonst lasse ich mich nicht auf die Beziehung ein." Insgesamt 53,9 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage zu. Es lässt sich also herauslesen, dass Menschen das Bedürfnis haben, ihre Beziehung als etwas Besonderes anzusehen - Seelenverwandtschaft also.
Seelenverwandte: Wie verlieben wir uns?
Jeder Mensch hat in Sachen Partnersuche andere Vorlieben. Diese basieren nicht nur auf den Werten, die uns im Kindesalter vorgelebt wurden, sondern auch auf dem Erbgut. Laut wissenschaftlichen Studien spielt neben dem Erscheinungsbild und der Persönlichkeit vor allem eines eine Rolle: Der Geruch. Der Körper stellt über den Geruch fest, ob der potenzielle Partner fortpflanzungsfähig ist. Das klingt vorerst nicht sonderlich romantisch, könnte aber die Vorstellung von Seelenverwandten untermauern, wenn in der DNA bereits festgelegt ist, welche Partner man riechen kann und welche nicht.
Wie Richard J. Gerrig berichtet, legen Forschungen nahe, dass Zuneigung durch Ähnlichkeit gefördert wird. "Menschen, die Ihnen ähnlich sind, können Ihnen ein Gefühl der persönlichen Bestätigung verschaffen", schreibt Gerrig in seinem Fachbuch "Psychologie". Es ist daher nicht verwunderlich, dass aus dem Gefühl von starker Ähnlichkeit intensive Gefühle entstehen können, die als Seelenverwandtschaft eingestuft werden.
Liebe oder Verliebtheit bei Seelenverwandtschaft: Das passiert im Gehirn
Wenn wir jemanden finden, zu dem wir uns hingezogen fühlen, kann es schnell zu Verliebtheit kommen. Obwohl das Herz ein Symbol für die Liebe ist, spielt sich aber alles im Gehirn ab - der erhöhte Herzschlag ist nur ein Symptom der Verliebtheit. Werden Paaren die Bilder ihrer Partner gezeigt, wird das limbische Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Dieses wird auch durch Freunde oder Familie aktiviert, doch wenn Verliebtheit im Spiel ist, zeigt das MRT, dass das limbische Belohnungssystem deutlich stärker anspringt. Das Interessante: Während im Verliebtheitszustand das limbische Belohnungssystem anspringt, nimmt die Aktivität in anderen Gehirnarealen ab, zum Beispiel dem präfrontalen Cortex, der für rationales Denken zuständig ist.
Laut Quarks überschwemmt das Glückshormon Dopamin im verliebten Zustand das Gehirn. Man wird euphorisch. Ein ähnliches Verhalten lässt sich laut den Forschern auch bei Suchtkranken feststellen. Der Zustand des Verliebtseins kann einer Zwangsstörung ähneln, wenn die Gedanken sich nur um die eine Person drehen. Die Wissenschaftler merken aber an, dass von Aktivitäten im Gehirn nicht direkt auf psychologische Vorgänge geschlossen werden kann. Liebe und Verliebtsein unterscheiden sich deshalb grundlegend.
Beim Verliebtsein entsteht im Gehirn ein Hormoncocktail, der an einen Rauschzustand erinnert. Denkmuster im Gehirn werden unterdrückt und finden über Nervenbahnen statt. In einer länger anhaltenden Beziehung wird der Rauschzustand zum Normalzustand und die Euphorie nimmt ab. Laut Quarks läuft die neuronale Verarbeitung nicht mehr über das Lustzentrum, dafür viel mehr über ein Gehirnareal, das Gefühle verarbeitet. Kuscheln, Küssen und Zweisamkeit führen dazu, dass mit der Zeit mehr und mehr Vasopressin und Oxytocin ausgeschüttet werden, die sich auch im Körper und Gehirn nachweisen lassen und hormonelle Zeichen einer reiferen Beziehung sind.
Seelenverwandtschaft wird häufig mit Leidenschaft und einem euphorischen Zustand gleichgesetzt. Laut Richard J. Gerrig ist es aber ganz normal, wenn aus "leidenschaftlicher Liebe", "freundschaftliche Liebe" wird. Dies sei eine "natürliche Veränderung" und kein Zeichen des "Entliebens".
Ob Sie nun an Seelenverwandte glauben oder nicht, ist ganz Ihnen überlassen. Eines ist aber ohne Psychologen-Meinungen klar: Hollywood-Liebe ist bestimmt kein realistischer Maßstab. Vergessen Sie also die "Zehn Anzeichen für eine Seelenpartnerschaft" und setzen Sie sich nicht unter den Druck, den perfekten Partner zu finden.
Zu diesem Thema hat Comedian Bo Burnham ein sarkastisches Lied verfasst. Unter anderem heißt es: "We want perfect children, a perfect life, a perfect husband or a perfect wife. But deep down we know, we don't deserve it." (Wir wollen perfekte Kinder, ein perfektes Leben, einen perfekten Mann oder eine perfekte Frau. Doch insgeheim wissen wir, dass wir es vielleicht nicht verdienen.) Am Ende heißt es jedoch: Wir alle verdienen es, geliebt zu werden. Ob Seelenverwandter oder nicht.