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Gesundheit: So schaffte es eine Alkoholikerin aus der Sucht

Gesundheit

So schaffte es eine Alkoholikerin aus der Sucht

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    Wein oder Sekt zum Feiern gehört für viele dazu, Alkohol ist sozial akzeptiert. Experten warnen aber immer wieder vor den gesundheitlichen Gefahren, die oft zu wenig gesehen werden.
    Wein oder Sekt zum Feiern gehört für viele dazu, Alkohol ist sozial akzeptiert. Experten warnen aber immer wieder vor den gesundheitlichen Gefahren, die oft zu wenig gesehen werden. Foto: Robert Michael

    Sie war jung, 16, 17 Jahre alt, ging abends gerne aus, traf sich mit Freunden und dabei wurde immer auch getrunken. Bier, Wein, was es eben so gab. „Eigentlich hat alles bei diesen Feiern begonnen“, erzählt sie. Vor allem an den Wochenenden. „Unter der Woche habe ich keinen Alkohol getrunken, dafür ab Freitagabend umso mehr.“ Das wurde zur Gewohnheit. Zumal es in ihrem weiteren Leben nicht so lief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Alkohol habe ihr dann immer geholfen, alle Probleme für kurze Zeit zu vergessen. „Ich wurde eine Quartalstrinkerin“, sagt sie ehrlich. 

    Sie saß seelenallein in ihrer Wohnung und hat sich geschämt

    Das ging über Jahre so. Jahrzehnte. „Ich war eine funktionierende Alkoholikerin, lange Zeit vollkommen in der Arbeitswelt integriert. Als Quartalstrinkerin konnte ich das gut verbergen.“ Bis sie eines Tages fast jeden Tag Alkohol brauchte, weil sich die Sucht verändert habe, das Quartal nicht mehr funktionierte und sie auch zu stärkeren Sachen griff, zu Wodka beispielsweise oder zu Tequila. „Ich hatte längst schwere Depressionen, musste Medikamente nehmen und war zum Schluss auch aufgrund meiner psychischen Probleme längere Zeit krankgeschrieben.“ Freunde hatte sie keine mehr, weil sie sich immer stärker isolierte. „Damals saß ich jeden Tag mutterseelenallein in meiner Wohnung und habe nur noch getrunken. Ich habe mich so verloren gefühlt und auch geschämt.“ 

    Dabei trifft eine Alkoholerkrankung viele. Jetzt im Juni hat wieder die bundesweite Aktionswoche Alkohol stattgefunden. Sie wurde von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) organisiert. In Deutschland konsumieren rund acht Millionen Menschen riskant Alkohol und fast zwei Millionen Menschen sind alkoholkrank, sagt Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Alkohol gehört neben dem Rauchen zu den wichtigsten verhaltensbedingten gesundheitlichen Risikofaktoren, heißt es beim bayerischen Gesundheitsministerium. Die Zahl der alkoholabhängigen Menschen wird in Bayern auf etwa 255.000 geschätzt. Im Rahmen der Aktionswoche Alkohol wurde nicht nur auf sein hohes Zerstörungspotenzial hingewiesen, denn viel zu oft werde vergessen, dass sich Alkoholkonsum nicht nur auf den Trinkenden selbst auswirke, sondern auch auf Angehörige, (ungeborene) Kinder, den Freundeskreis, das Arbeitsumfeld und Unbeteiligte im Straßenverkehr. Es werden auch zentrale Forderungen gestellt. Zu ihnen gehört eine spürbare Anhebung der Alkoholpreise, eine Einschränkung der Verfügbarkeit alkoholischer Getränke sowie die Regulierung von Alkohol-Werbung und -Sponsoring. Denn: „Die gesamte Gesellschaft muss die enormen volkswirtschaftlichen Kosten des Alkoholkonsums mittragen“, sagt Christina Rummel, Geschäftsführerin der DHS. 

    Viele Stellen bieten Hilfe an

    Mehr Aufklärung über die Gefahren von Alkohol sei also nötig und auch der Hinweis, dass es viele Stellen vor Ort gibt, bei denen Alkoholabhängige Hilfe erhalten. So finden sich auf der Homepage der DHS Hilfsangebote und die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist auf ihre speziellen Reha-Leistungen. Die Stiftung Warentest wiederum hat bereits im Jahr 2020 vermeldet, dass den Anonymen Alkoholikern, kurz AA, die effektivste Hilfe bei Alkoholsucht gelinge. 

    Bei den AA fand die Frau Unterstützung, die mit 51 Jahren, wie geschildert, nur noch allein in ihrer Wohnung gesessen ist und getrunken hat. „Im Internet bin ich damals dann über die Anonymen Alkoholiker gestolpert. Und einfach einmal hingegangen.“ Es sei eine Atmosphäre gewesen, die von Anfang an gepasst habe: „Ich habe mich sofort wie zu Hause gefühlt.“ Heute ist sie 62 und Sprecherin der Anonymen Alkoholiker (AA) für die Region Bayerisch-Schwaben. 26 Gruppen zählt diese Region. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Die Anonymität gehört bei den AA zum Konzept, denn sie schütze die Privatsphäre des Einzelnen. Es ist eine Gemeinschaft mit viel Erfahrung: AA sind weltweit vertreten. Bundesweit gibt es sie seit 71 Jahren, die Augsburger Gruppe Göggingen Süd I feiert heuer 50. Jubiläum. 

    Alkoholkranke gibt es auf jeder Führungsebene

    Doch die Menschen kommen in der Regel erst, wenn der Leidensdruck enorm und in ihrem Leben schon viel kaputt gegangen ist, berichtet die AA-Regionssprecherin. „Denn man darf nicht vergessen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist.“ Eine Krankheit, die vor allem auch Ehen und ganze Familien zerstört. „Das Klischee des obdachlosen Alkoholikers beschreibt das Problem nur unzureichend. Alkoholkranke sind in der Arbeitswelt auf jeder Führungsebene, in jedem Alter und in jeder sozialen Schicht zu finden. Es trifft Frauen ebenso wie Männer. Junge wie alte Menschen. In unserer Gesellschaft ist Trinken ja kein Problem, es ist sogar gesellschaftlich akzeptiert.“ Viel schwerer haben es diejenigen, die nicht mehr trinken wollen, denn sie müssen sich oft auch noch rechtfertigen, warum nicht wenigstens ein kleines Schlückchen Sekt gehe. „Für die Mehrheit in der Gesellschaft ist der Umgang mit Alkohol kein Problem.“ Aber circa zehn bis fünfzehn Prozent rutschten in eine Alkoholsucht. Doch erst, wenn es in der Familie richtig kracht, oder wenn der Führerschein weg ist, oder der Job, dann wollen Betroffene aufhören mit dem Trinken und kommen zu den AA. Viele besuchen auch nicht die Gruppe in ihrer Stadt, sondern nehmen weite Strecken auf sich. „Denn Alkoholismus hat noch immer ein Stigma.“ Die Krankheit werde verdrängt, solange es irgendwie geht. Betroffene suchen sich oft Menschen, die auch trinken, sagt die Sprecherin.

    Wie aber schafft man es bei den AA dann doch, die Sucht zu besiegen? „Unser Motto lautet: Wir teilen Erfahrung, Kraft und Hoffnung“, erklärt die Regionssprecherin. „Bei den AA findet man Freundinnen und Freunde, wir sind eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt.“ Entscheidend sei die Freiwilligkeit, niemand werde gezwungen, nichts mehr zu trinken. „Wichtig ist aber die Selbsterkenntnis, dass man ein Problem mit Alkohol hat, dass er die Macht übernommen hat.“ 

    Rückfälle gehören oft dazu

    Auch gelinge nicht jedem gleich der Abschied vom Alkohol. Rückfälle gehörten oft dazu. Doch in der Gemeinschaft, in diesem vertrauensvollen Austausch, könne man sich schrittweise aus der Sucht herausarbeiten. Schon während der Meetings reduziere sich der Druck zu trinken. „Dann klappen vielleicht am Anfang ein paar Stunden ohne Alkohol, dann ein Tag, dann zwei... die Regeln gibt sich jeder selbst, einen Tag nach dem anderen.“ 

    Hilfe: Weitere Infos zu den AA online unter www.anonyme-alkoholiker.de Eine Hotline ist bundesweit täglich von 9 bis 21 Uhr unter 030 / 20 62 982-12 zu erreichen. Für schnelle Unterstützung per E-Mail ist ein Erste-Hilfe-Team unter erste-hilfekontakt@anonyme-alkoholiker.de zu erreichen. Bei Fragen rund um das Thema Sucht finden Betroffene unter www.suchthilfeverzeichnis.de Fachleute, die sie vor Ort unterstützen.

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