Marzipan kann eine echte Köstlichkeit sein. "Kann" wohlgemerkt, denn Marzipan ist nicht gleich Marzipan. Die Zutaten sind dabei gar nicht einmal so außergewöhnlich und durchaus wohlbekannt: Marzipan besteht im Prinzip nämlich nur aus Mandeln und Zucker. Fertig.
Erfunden wurde es im Mittelalter in Lübeck, als die Stadt Hunger leiden musste und nur noch Mandeln und Zucker in den Speichern vorhanden waren. Soweit die Legende. Doch diese Entstehungsgeschichte ist lediglich ein Mythos, so viel steht heute fest. Beide Zutaten waren im Mittelalter viel zu selten und zu kostbar, als dass man damit eine ganze Stadt hätte speisen können. Rohrzucker und Mandeln mussten damals nämlich importiert werden, und genau das war immer schon teuer.
Historiker gehen davon aus, dass Marzipan aus dem Orient kommt
Historiker gehen davon aus, dass das Marzipan seine Wurzeln vielmehr im Orient hat, dort also, wo Mandeln und Zuckerrohr verbreitet waren. Der genaue Ursprung lässt sich heute allerdings nicht mehr ausfindig machen. Vielleicht hat sogar Thomas Mann recht, der das Marzipan in seinen "Buddenbrooks" als "Haremskonfekt" bezeichnet. Gut möglich, dass die Kreuzritter es als Erste mit nach Europa brachten, vielleicht aber auch reguläre Händler – da ist sich die Forschung uneins.
Fest steht nur, dass es in Venedig schon im 13. Jahrhundert bekannt war und bereits im 14. Jahrhundert vom europäischen Adel als Konfekt geschätzt wurde. Im Barock war die Verwendung dann schon geradezu verschwenderisch, zumindest in den luxusverliebten Adelskreisen, und so erließ die Stadt Venedig im 16. Jahrhundert sogar ein Verbot, die süße Leckerei mit echtem Gold zu überziehen – Luxus hin oder her. 1530 tauchte das Wort "Martzapaen" dann erstmals in den Zunftrollen der Stadt Lübeck auf, bis heute eine der ganz großen Marzipanmetropolen, neben dem spanischen Toledo, dem französischen Aix-en-Provence und dem ehemals preußischen Königsberg (heute das russische Kaliningrad).
Marzipan war früher für die Besserbetuchten
Bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Marzipan vor allem den Besserbetuchten vorbehalten, denn es war schlicht und einfach teuer. Erst die großflächige Verbreitung der Zuckerrübe im 19. Jahrhundert machte den Zucker und damit auch das Marzipan erschwinglicher. In den 1950er Jahren ließ die Massenfertigung die Preise immer weiter purzeln, sodass Marzipan bald für jedermann erschwinglich wurde. Die Mandeln allerdings kommen bis zum heutigen Tage noch aus den Mittelmeerländern zu uns, zumindest dann, wenn es sich um besonders hochwertiges Marzipan handelt. Genau das ist jetzt der Punkt, an dem die Qualität ins Spiel kommt, denn die ist eine Frage des Geschmacks.
Gourmets schätzen nämlich nicht nur das feine Aroma der Mittelmeermandeln, sondern auch einen möglichst hohen Anteil dieser Mittelmeermandeln im Marzipan. Ein vergleichsweise hoher Anteil an Bittermandeln spricht hingegen längst nicht jeden Gaumen an. Aber auch beim Zucker zeigt sich die Qualität. Zum einen in der Zuckerart, zum anderen aber vor allem auch im Zuckeranteil. Nach deutschem Lebensmittelrecht darf der maximale Zuckeranteil höchstens 35 Prozent betragen – allerdings gilt das nur für die sogenannte "Marzipanrohmasse", aus der das eigentliche Endprodukt "Marzipan" erst noch hergestellt werden soll. Einen Gesamtzuckeranteil von höchstens 35 Prozent weist also nur dasjenige Marzipan auf, das zu 100 Prozent aus reiner Marzipanrohmasse gefertigt wurde.
Was Marzipan von Edelmarzipan unterscheidet
Die deutsche Gesetzgebung erlaubt es aber, der Marzipanrohmasse weiteren Zucker hinzuzufügen, womit ein Gesamtzuckergehalt von stolzen 67,5 Prozent im Endprodukt "Marzipan" erreicht wird. Weniger Zucker hat das sogenannte "Edelmarzipan" mit einem Gesamtzuckergehalt von 54,5 Prozent (es setzt sich zu mindestens 70 Prozent aus Marzipanrohmasse und zu maximal 30 Prozent aus weiterem Zucker zusammen). Beim "Gütemarzipan" erhöht sich der Anteil der Marzipanrohmasse auf mindestens 80 Prozent und "Lübecker Edelmarzipan" besteht zu ganzen 90 Prozent aus Marzipanrohmasse, der nur noch maximale zehn Prozent weiterer Zucker hinzugefügt werden (Gesamtzuckergehalt im Endprodukt "Lübecker Edelmarzipan" maximal 41,5 Prozent).
Aber auch das ist noch nicht das ganze Geheimnis. Es gibt weitere Verfeinerungen. "Königsberger Marzipan" zeichnet sich durch eine abgeflämmte Oberfläche aus, die eine typisch gelblich-bräunliche Färbung annimmt. Eine ganz klassische Zutat fehlt heute allerdings zumeist: das Rosenwasser. Vor allem das "Königsberger Marzipan" ist bekannt für diese besondere Zutat. Eine ganze Reihe derartiger außergewöhnlicher Zutaten und Variationen der Grundrezeptur gibt es, die das Marzipan zu einem unvergesslichen Geschmackserlebnis machen können.
Zuckersirup, Orangenblütenwasser und Pistazien
Eine französische Spezialität ist etwa die Verwendung von Zuckersirup anstelle von Zucker, wodurch ein feines, nicht ganz so intensives Aroma erzeugt wird. Aber auch Orangenblütenwasser oder ein Anteil an Pistazien sind möglich. Wird allerdings zu viel verändert, dann kann sich der Geschmack natürlich – gewollt oder auch ungewollt – weit vom ganz typischen Marzipanaroma entfernen. Vor allem weniger hochwertige Zutaten sind da berühmt-berüchtigt. Pfirsichkerne anstelle von Mandeln verändern den Geschmack so sehr, dass gleich ein völlig neues Produkt entsteht: Persipan nämlich.
In der DDR kannte man früher auch noch das "Resipan", dass aufgrund der Rohstoffknappheit mit Maisgries und Aromastoffen hergestellt wurde. "Nakapan" verwendete anstelle von Maisgries Kartoffelgries, und beim "Legupan" griff man gar zum Erbsenbrei, um Pistazienmarzipan zu imitieren. Das feine Marzipanaroma blieb dabei natürlich auf der Strecke. Aber auch das war ja ein unvergessliches Geschmackserlebnis, wenn auch im doppelten Wortsinn.