Startseite
Icon Pfeil nach unten
Geld & Leben
Icon Pfeil nach unten

Finanzen: Weshalb es so schwer ist, Vermögen aufzubauen

Finanzen

Weshalb es so schwer ist, Vermögen aufzubauen

    • |
    „Wohlstand für alle“, gilt nicht mehr, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Trotz guter Löhne nehme die Ungleichheit zu. Er erklärt damit einen Teil der Wut im Land.
    „Wohlstand für alle“, gilt nicht mehr, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Trotz guter Löhne nehme die Ungleichheit zu. Er erklärt damit einen Teil der Wut im Land. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild)

    Herr Fratzscher, es gibt Familien, die mehrere Milliarden Euro besitzen, darunter die Familie Reimann, die mit Reinigungsmitteln und Jacobs Kaffee reich geworden ist. Ist es dies, was Sie kritisieren, wenn Sie sagen, in Deutschland steigt die Ungleichheit?

    Marcel Fratzscher: Persönlich bin ich hier schmerzfrei. Für mich ist egal, ob jemand 30 Millionen Euro, 300 Millionen oder 30 Milliarden hat. Wir führen zu häufig eine Neiddebatte. Relevant ist, was die Familien mit diesem Vermögen machen. Im internationalen Vergleich ist das oberste Prozent der Bevölkerung in Deutschland ungewöhnlich reich. Wenn aber Familienunternehmen damit sichere Jobs mit guten Löhnen schaffen, ist es für mich kein Problem. Die Probleme liegen an anderer Stelle.

    Was ist Ihrer Meinung nach faul im Staate Deutschland?

    Fratzscher: Das Drama ist nicht, dass das oberste Prozent viel hat, sondern dass die unteren 40 Prozent der Bevölkerung nichts haben. Dieser Anteil der deutschen Haushalte verfügt über praktisch kein Nettovermögen.

    Aber erlebt Deutschland nicht gerade ein Beschäftigungswunder und gilt als wohlhabendes Land?

    Fratzscher: Es gibt einen Widerspruch. International gesehen sind die Arbeitseinkommen in Deutschland mit am höchsten. Was die unteren 60 Prozent der Bevölkerung daraus aber an Vermögen aufbauen konnten, gehört mit zum niedrigsten in Europa. Dies hat unter anderem historische Gründe: Viele Menschen in Ostdeutschland mussten 1990 neu beginnen. Dazu kommt aber das große Problem, dass viele Deutsche schlecht sparen. Nur wenige haben Wohneigentum, Deutschland hat keine Aktienkultur. Weniger als jeder zehnte Deutsche hält Aktien. Wenn ich aber bei dem derzeitigen Nullzins mein Geld auf ein Sparkonto lege, verliere ich Geld. Die Inflation ist einfach höher. Damit kann ich keine Vorsorge betreiben. Wir müssen klüger sparen.

    Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, die Verteilung sei ungleicher als in den USA. Erstaunlich. Wie erklärt sich das?

    Fratzscher: Die Ungleichheit bei den Vermögen ist in Deutschland extrem hoch, bei den Einkommen sieht es nur ein bisschen besser aus. Entscheidend aber ist, dass wir in Deutschland in manchen Aspekten sogar eine geringere Chancengleichheit haben als in den USA. In Deutschland ist es ungewöhnlich schwierig für ein Kind aus sozial schwacher Familie, eine gute Bildung, eine gute Ausbildung und damit einen guten Job zu bekommen. In welche Familie man hinein geboren wird, bestimmt in Deutschland zum Teil stärker als in den USA die Lebenschancen. Es ist aber schädlich für eine Volkswirtschaft, wenn Menschen nicht wirklich die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeit und Talente zu entwickeln. Wir verlieren damit wirtschaftliches Potenzial.

    Zahl der Arbeitslosen halbieren

    Ist diese Ungleichheit eine Ursache für die Unzufriedenheit im Land? In Mecklenburg-Vorpommern ist die AfD kürzlich zweitstärkste Kraft geworden.

    Fratzscher: Die Ungleichheit führt zu einem Verteilungskampf und Konflikten in der Gesellschaft. Zwar gibt es einen Rekord bei der Beschäftigung, trotzdem sind viele Menschen unzufrieden. Dies liegt daran, dass sich die Bürger große Sorgen über die Zukunft machen. Werde ich auch dann einen Job haben? Wird er gut bezahlt sein? Was ist mit meiner Altersvorsorge und Rente? Wer kein Erspartes hat, macht sich erst recht Sorgen. Denn in Deutschland hängen immer mehr Menschen von staatlichen Leistungen ab. In Ostdeutschland beziehen 40 Prozent der Haushalte die Hälfte ihres Einkommens oder mehr vom Staat. Die Soziale Marktwirtschaft, auf die wir zu Recht stolz sind in Deutschland, existiert für mich nicht mehr. Sie baut nämlich auf Eigenverantwortung. Darauf, dass Menschen mit ihrer eigenen Hände Arbeit für ihr Auskommen sorgen können. Dass dies heute schwieriger ist, trägt zur Polarisierung bei.

    Wie bewerten Sie die Agenda- 2010-Reformen der Regierung unter Gerhard Schröder? Waren sie der Weg zum Aufschwung oder der Anfang von mehr Ungleichheit?

    Fratzscher: Die Reformen halte ich im Großen und Ganzen für richtig. Es ist gelungen, die Zahl der Arbeitslosen von über fünf Millionen im Jahr 2005 zu halbieren. Das ist aber nur ein Schritt, hier darf die Politik nicht aufhören.

    Was ist dann zu tun?

    Fratzscher: Das Wichtigste sind Bildung und Qualifizierung, um Chancengleichheit zu schaffen. Der Staat muss so vielen Menschen wie möglich eine ordentliche Bildung ermöglichen, sodass sie später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Hier sind mehr Investitionen notwendig. Dies beginnt bei der frühkindlichen Bildung. Zu viele Kinder aus sozial schwachen Familien fallen hier derzeit hinunter. Wir brauchen eine bessere Qualität der Kitas und mehr Durchlässigkeit im Schulsystem. Es geht auch um Familienpolitik, darum, Frauen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch am Steuersystem sind Korrekturen möglich.

    Welche Änderungen im Steuersystem stellen Sie sich vor?

    Fratzscher: Unser Steuersystem belastet Einkommen auf Arbeit ungewöhnlich stark, Einkommen auf Kapital dagegen relativ wenig. Die Steuerpolitik ist ein Vorteil für Vermögende. Dazu kommt, dass die Erbschaftsteuer extrem ungerecht ist. Jemand, der 100 000 Euro von der Tante erbt, muss zum Beispiel mehr zahlen als jemand, der 100 Millionen in Form von Betriebsvermögen erbt.

    Gleichzeitig sind es aber auch die Familienunternehmen, die in Deutschland Jobs schaffen.

    Fratzscher: Ja, sie dürfen deshalb nicht so besteuert werden, dass sie an Substanz verlieren. Aber es geht auch um Steuergerechtigkeit. Man kann nicht den sogenannten „kleinen Mann“ belasten und die, die viel mehr erben, davonkommen lassen. Die Entlastung von Arbeitnehmern ist zu sehr vernachlässigt worden.

    Mindestlohn ist vertretbar

    Viele haben bereits den Eindruck, dass in Deutschland Abgaben und Steuern bereits sehr hoch sind. Warum wirkt diese Umverteilung nicht so, wie man es erwartet?

    Fratzscher: Der deutsche Staat verteilt in der Tat viel Geld um. Das Problem ist, dass die Umverteilung nicht zielgenau ist. Es profitieren nicht die, denen man helfen will. Denken Sie an die Rente mit 63. Zuerst würde man sagen, dass es fair ist, wenn jemand, der lange gearbeitet hat, früher in Rente gehen darf. Es profitieren am Ende aber eher die Menschen in der Mittelschicht. Wer dagegen am unteren Ende ist, hatte selten die Möglichkeit, 45 Jahre lang zu arbeiten – weil er krank war, berufsunfähig oder arbeitslos wurde.

    Hat der Mindestlohn in Deutschland das Problem der Ungleichheit entschärfen können?

    Fratzscher: Ich halte den Mindestlohn für gut und für vertretbar. Er hat knapp vier Millionen Menschen in Deutschland ein besseres Einkommen gebracht. Sicher, er hat auch Jobs gekostet. In Teilen Ostdeutschlands ist ein Stundenlohn von 8,50 Euro eine Menge. Trotzdem hat die überwältigende Mehrheit profitiert. Aber an der großen Ungleichheit wird er nichts ändern. Statt die Unternehmen zu zwingen, einen bestimmten Lohn zu zahlen, wäre es besser, bei der Qualifizierung anzusetzen. Denn die Leute, die 8,50 Euro pro Stunde verdienen, sind häufig Menschen, die keinen Schulabschluss oder keinen Berufsabschluss haben.

    Trägt nicht auch die derzeitige Zuwanderung zu dem von Ihnen kritisierten Verteilungskampf bei?

    Fratzscher: Der Verteilungskampf nimmt durch die Zuwanderung zu, er müsste aber nicht zunehmen. Dies ist der billige Populismus, den viele Teile der Politik verbreiten, nach dem Motto „da kommen jetzt Zuwanderer, die nehmen euch die Jobs und die staatliche Leistungen weg“. Das ist Quatsch. Deutschland stand in den vergangenen 70 Jahren nie besser da, um die Herausforderung anzugehen. Es gibt rund eine Million offene Stellen, die Unternehmen suchen händeringend Beschäftigte. Es gibt genug Arbeit. Die Zuwanderung ist kulturell und organisatorisch eine Herausforderung, wirtschaftlich aber wird das Land langfristig profitieren.

    Zur Person Marcel Fratzscher, 45, ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Kürzlich erschien sein Buch „Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird“ im Hanser-Verlag. Wir trafen ihn auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik an der Universität Augsburg.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden