Oft fällt es Erik Korntheuer schwer, ganz alltägliche Aufgaben zu bewältigen. Sobald er seine Wohnung verlässt, drohen ihm Duftschwaden zu begegnen. Sie lauern im Treppenhaus, oft auch im Bus, im Fitnessstudio, im Drogeriemarkt und auf öffentlichen Toiletten. Auf viele dieser Düfte, wie sie in Kosmetika, Putzmitteln und Raumsprays enthalten sind, reagiert er äußerst empfindlich. „Über die Jahre ist es immer schlimmer geworden“, berichtet der 46-Jährige aus Großaitingen. „Die Düfte lösen bei mir Kopfschmerzen und Augenbrennen aus, zunehmend bekomme ich auch Halsschmerzen, Nasennebenhöhlenentzündungen, Hautentzündungen oder Durchfall.“ Daher plant Korntheuer sein Leben so, dass er mit möglichst wenigen Gerüchen konfrontiert wird: Er benutzt weder Bus noch Zug, macht einen Bogen um öffentliche Toiletten, kauft meist in Biosupermärkten ein, geht morgens als erster Kunde zum Friseur und meidet im Fitnessstudio beduftete Bereiche. „Das ist schon ziemlich einschränkend. Mein Arzt sagt aber, dass man sonst nichts machen kann.“
Solche Unverträglichkeiten gegenüber Duftstoffen sind nicht selten. „Wir bekommen deshalb immer wieder Anfragen“, sagt Dr. Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt (UBA) in Berlin. Wie groß die Zahl der Betroffenen ist, lässt sich nicht sagen. Dabei ist die Art der Beschwerden ganz unterschiedlich – manche Menschen haben eine gewisse Aversion gegen bestimmte Gerüche, andere reagieren mit Kopfschmerzen, wieder andere bekommen Atemnot und Schwindelanfälle. Teilweise wird das Phänomen dem Beschwerdebild „Multiple Chemikalienunverträglichkeit“ (Multiple Chemical Sensitivity) zugeordnet: Wer daran leidet, reagiert mit unterschiedlichen Symptomen (von Müdigkeit über Atemnot bis hin zu Schmerzen) auf Chemikalien in Luft, Wasser oder Lebensmitteln.
Allerdings gibt es auch geruchssensible Menschen, die natürliche Düfte nicht vertragen. So berichtet Professor Claudia Traidl-Hoffmann, Chefärztin der Umweltmedizin am Klinikum Augsburg und Direktorin des Instituts für Umweltmedizin der TU München: „Ich habe eine Patientin, die nicht an Rapsfeldern vorbeigehen kann.“
Duft-Unverträglichkeit oft als psychische Störung eingeordnet
Über das Phänomen der Duft-Unverträglichkeit weiß man noch wenig. „Oft wird sie als psychische Störung eingeordnet“, erklärt die Allergologin. Dabei seien psychische Krankheiten, etwa Depressionen, in der Regel aber nicht Ursache, sondern Resultat des Problems. Eine ausgeprägte Geruchssensibilität kann nämlich dazu führen, dass sich die Patienten aus Angst, unangenehme Düfte in die Nase zu bekommen, zurückziehen. „Manche öffnen nicht mehr die Tür, weil sie Angst haben, der Postbote könnte parfümiert sein“, sagt sie. Auffällig sei, dass vorwiegend Frauen betroffen seien, und zwar solche, die einen ausgeprägten Geruchssinn hätten. Manche seien Allergiker, aber keineswegs alle.
Wie es zu Duftstoff-Unverträglichkeiten kommt, ist noch unklar. Man muss sie von Duftstoff-Allergien unterscheiden, die durch eine überschießende Reaktion des Immunsystems hervorgerufen werden. Bei diesen kommt es zu einem Kontaktekzem – also einer Hautreaktion, die mit einer Rötung, Schwellung, Bläschen oder Schuppungen einhergehen kann. Solche Probleme sind weit verbreitet: Nach Angaben des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (DAAB) reagieren rund zwölf Prozent der Bevölkerung auf häufig verwendete Duftstoff-Allergene. Nach Nickel sind Duftstoffe damit der häufigste Auslöser von Kontaktallergien.
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass nur synthetische Stoffe Probleme bereiten. „Einige Top-Allergene, wie etwa Eichenmoos, sind Naturprodukte“, sagt Straff, der sich mit umweltmedizinischen Themen im UBA befasst. Insgesamt sind bislang 26 Duftstoffe, darunter Isoeugenol, Zimtaldehyd und Farnesol, durch ein besonders hohes Allergiepotenzial aufgefallen und müssen daher auch auf Produktverpackungen einzeln genannt werden. Wer weiß, dass er gegen einen dieser Stoffe allergisch ist, kann ihn daher weitgehend meiden.
Wenn die Duftpartikel in Cremes, Deos oder Waschmitteln enthalten sind, kommen sie direkt mit der Haut in Berührung. Die Teilchen können aber auch in der Luft gelöst sein und sich auf der Haut absetzen – gefährdet sind dann vor allem Gesicht und Hände, da sie nicht durch Kleidung geschützt sind. „Wenn die Düfte inhaliert werden, löst das normalerweise keine allergischen Symptome aus“, sagt Straff. Allerdings können bestimmte Stoffe die Atemwege reizen, was vor allem für Asthmatiker zum Problem werden kann.
Allergien oder Unverträglichkeiten: Umgebung frei von Duftstoffen halten
Wer zu Allergien oder Unverträglichkeiten neigt, sollte seine Umgebung möglichst frei von Duftstoffen halten. Sonja Lämmel vom DAAB sagt: „Es ist unglaublich, was heute alles mit Düften versehen ist! Das reicht von Duftkerzen über Müllbeutel bis hin zu beduftetem Spielzeug.“ Gerade bei Kindern sollten Eltern vorsichtig sein, um eine frühe Sensibilisierung zu vermeiden.
Sobald man das private Umfeld verlässt, kann man sich Gerüchen aber nur schwer entziehen. Die Beduftung öffentlicher Räume sieht das UBA aus verschiedenen Gründen kritisch: zum einen wegen der Gefahr von Unverträglichkeitsreaktionen, zum anderen wegen des potenziellen Risikos einer Sensibilisierung. Außerdem könnte dadurch „eine mangelhafte Raumluftqualität maskiert werden“: Man bemerkt dann vor lauter Düften gar nicht, dass es im Zimmer stickig ist und man lüften sollte. Auch von Raumsprays oder Duftsteinen in WCs hält Straff nichts. „Ein schlechter Geruch ist ein Warnsignal. Duftstoffe können über hygienische Probleme hinwegtäuschen.“ Dennoch könnten die Behörden nicht strenger gegen eine derartige „Luftverpestung“ vorgehen: „Man kann niemandem verbieten, Duftstoffe zu verwenden. Dazu müsste man konkrete Gesundheitsgefährdungen belegen können“, betont der Experte. Erik Korntheuer wünscht sich zumindest ein stärkeres Problembewusstsein und hofft, dass Unternehmen von sich aus auf Beduftungen verzichten. „Das Thema muss sich in den Köpfen erst mal etablieren. Auch beim Rauchen hat das seine Zeit gebraucht.“
Immerhin gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer für duftsensible Menschen: Wissenschaftler arbeiten derzeit an neuen Behandlungsansätzen. So hat Traidl-Hoffmann ein spezielles Therapiekonzept für Patienten entwickelt, die an einer starken Duftstoff-Unverträglichkeit leiden. „Wir versuchen, durch kognitive Übungen die Toleranzschwelle zu heben“, erklärt sie. Gerüche, die für die Betroffenen negativ belegt sind, sollen mit positiven Erlebnissen, etwa Urlaubserinnerungen, verknüpft werden. „Das ist eine Art von Hyposensibilisierung“, sagt die Forscherin. Im kommenden Jahr soll dazu eine Studie anlaufen. Dazu können sich in der Umweltambulanz des Augsburger Klinikums Menschen melden, denen es ähnlich geht wie Korntheuer.