„Hier bin ich! Ich putze grad noch den grünen Spargel für heute Mittag“, ruft mir Christian Winzinger über den Herd zu. Grüner Spargel für Kinder? Essen die den auch? „Na klar, bei uns schon“, erklärt der hochgewachsene Koch mit dem blonden Pferdeschwanz und lächelt jeden Zweifel weg. Bei ihm bekommen die Kinder vieles, was sie bis dato nicht kannten: Mairübchen in feinen Scheiben gedünstet, Asia-Gemüse mit Basmatireis, Hühnerfrikassee mit Erbsen.
Mit Geduld, Charme und verführerischen Gerüchen wie von frischer Focaccia überzeugt der 48-Jährige seine Kunden im Augsburger Annakolleg von dem, was er auf den Tisch bringt. Er lässt die Kinder am Salatbuffet probieren, im Garten selbst Kräuter ziehen und holt auf bunten Zetteln ihre Wünsche ein. Seit zehn Jahren ist der Hurlacher, selbst Vater von vier Kids, als Küchenchef für das leibliche Wohl von etwa 80 bis 90 Internatsschülern sowie 115 bis 120 Krippen- und Kitakindern vom Kinderhaus St. Gregor zuständig.
Auch ihre Erzieher und Lehrerinnen vom nahe gelegenen Stetten-Institut werden gelegentlich von ihm verköstigt. Und zwar mit nahezu 100 Prozent Bio-Qualität. „Nur unsere Backwaren sind manchmal konventionell“, räumt Winzinger ein. Erdbeeren gibt es, wenn sie aktuell hier wachsen. Fisch, Fleisch und Geflügel landen nur zweimal die Woche auf dem Speiseplan. Der wechselt jede Woche, wodurch die Küche ein Höchstmaß an Flexibilität gewinnt. Ebenso wie durch ein Jahresbudget, innerhalb dessen der Küchenchef frei disponieren kann. Es basiert auf einem Wareneinsatz von 2,20 Euro pro Essen. „Wir kochen vom Produkt aus“, erläutert Winzinger. Soll heißen: was es gerade in der Saison, in „Bio“ und aus der Region gibt.
40 Prozent der Augsburger Kindertagesstätten sollen bis 2026 "Bio" sein
Zu seinen Bio-Lieferanten hält er engen Kontakt, darunter der Pfänderhof in Schwabmünchen für Obst und Gemüse, der Schlossbauer Förg in Maingründel für Eier und Geflügel oder der Bio-Großhandel Epos für Fleisch, Gewürze und Mehl. Dadurch ergattert er schon mal preiswerte Überhänge und legt günstige Vorräte an. Alles ist selbst gemacht: von Süßspeisen über Soßen bis zu Kartoffelbrei. Tiefkühlgemüse, Vorprodukte oder Geschmacksverstärker wie Glutamat wird man hier nicht finden. Einzig Gemüse und Kartoffeln lässt sich der Koch aus Zeitgründen von der Sozialeinrichtung Regenbogen geschält liefern. Resteverwertung („abgebräunte Knödel sind der Renner“) hilft, Müll zu vermeiden.
Das erste, was Winzinger umstellte, waren übrigens die Gewürze. Bis sich die Kinder und Hauswirtschaftspraktikanten daran gewöhnt hatten, dauerte es ein halbes Jahr, erzählt der Küchenchef und lacht. Dann kam das Gemüse dran. Dass der Koch die (Mehr-)Arbeit mit seinem Team leisten kann, hat mit seiner Leidenschaft für qualitativ gutes ökologisches Essen, einer umfassenden Ausbildung bei der Bundeswehr inklusive Schlachttiere zerlegen und seiner Haltung zu Kindern zu tun: „Ich habe hier auch einen pädagogischen Auftrag. Ich erkläre beispielsweise, warum es bei uns im Winter keine Tomaten gibt“.
Winzinger, ein Vorreiter in der Region. Denn eigentlich sollten in Augsburg, das zu den Bio-Städten Deutschlands gehört, längst mehr öffentliche Kantinen auf „Bio“ umgestellt sein, sagt Alexandra Hiebl vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Augsburg (AELF). So war es der Plan beim ersten Stadtratsbeschluss 2007. Doch die Mühlen mahlen langsamer, als man denkt. Unter der neuen Stadtregierung scheint sich wieder etwas zu bewegen: 2021 wurde eine Bio-Quote von 40 Prozent für Kindertagesstätten als Ziel bis zum Jahr 2026 festgeschrieben.
Was wiederum Einfluss auf Firmenkantinen hat: Die sind häufig auch als Caterer tätig. Damit lasten Großküchen ihr Personal aus und gerieren zusätzliche Einnahmen, was unter Corona-Gesichtspunkten noch wichtiger ist als früher. Wie auch Marian Reglin, 37, Chef der Großküche im MVV Industriepark Gersthofen, der mit seinen 24 Mitarbeitern nicht nur täglich für die Arbeiter und Handwerker von elf Unternehmen am Standort kocht, sondern zusätzlich Kitas, Schulen, ein Rehazentrum und Sozialstationen mit Essen versorgt.
Bio in der Kantine: Es geht nicht nur um saisonalen Einkauf, sondern auch um Energiesparen
Unterstützung fand er über das Projekt „BioRegio-Coaching“ in den Öko-Modellregionen, zu dem Hiebl ihm und dem Küchenchef bei den Stadtwerken Augsburg Christian Winzinger als Coach an die Seite stellte. Gemeinsam analysiert man den Istzustand und beratschlagt, wo bei Einkauf, Vorratshaltung und Planung mehr möglich ist. Nicht immer ganz einfach: „Wenn man Arbeitsprozesse oder Warengruppen umstellt, dann total, weil auf zwei Gleisen zu fahren zu aufwendig und umständlich ist“, erklärt Reglin. Noch ist seine Bio-Quote mit acht Prozent niedrig: „Der Krieg in der Ukraine macht uns mit steigenden Lebensmittelpreisen aktuell einen Strich durch die Rechnung.“ Sobald sich die Lage aber etwas entspannt, will Reglin weitermachen: 25 bis 30 Prozent „Bio“ sind anvisiert. Bis dahin setzt er auf Lieferanten aus der Region, was bei seinen Kunden Anklang findet.
„Heute gibt’s Strohschwein“. Wenn sich das unter den Beschäftigten herumspricht, ist die von Navitas betriebene Kantine von BSH Hausgeräte am Standort Dillingen rappelvoll, selbst wenn es ein bisserl mehr kostet als sonst. Der Braten schmeckt nicht nur besonders gut, sondern die Kantinengänger wissen auch, dass der Landwirt, von dem die Schweine kommen, das Thema Tierwohl mit Leib und Seele lebt. Dafür sorgt „Navitas“-Kantinenchef Wolfgang Knecht, 63, der sich schon lange für Nachhaltigkeit engagiert. Zwar sind die Zutaten in seiner Küche nicht durch die Bank „Bio“, dafür sehr frisch: „Wir liegen hier mitten im Gemüseland Lauingen und holen uns Salat und Gemüse direkt beim Gärtner unseres Vertrauens.“ Neben einem bevorzugt regional-saisonalen Einkauf legt Knecht großes Gewicht auf das Thema Energiesparen. Auf Anregung einer Kita nahm die Kantine vor fünf Jahren am Forschungsprojekt „Energieeffiziente Küche“ des bayerischen Landwirtschaftsministeriums teil. Zwei Jahre lang wurden von Ressourcenmanagern sämtliche Prozesse und Geräte untersucht. Abfälle wurden gewogen, Stromverbraucher gemessen und teilweise ausgetauscht, Arbeitsgänge durchleuchtet. Das war mit viel Arbeit verbunden, half aber weiter: Zum Beispiel werden Wasserbäder und Lüftung nur noch bei Bedarf in Gang gesetzt.
Außerdem werden alle Fleischgerichte, soweit möglich, als kleine Portionen angeboten („Die Kunden sind sehr zufrieden damit“) und Pommes, „der größte CO2-Treiber in der Gemeinschaftsverpflegung“, so Knecht, gibt es nur noch einmal die Woche. „Da geht schon noch mehr“, sagt der Küchenchef voller Überzeugung und Energie. Übrigens gibt er sein Wissen in Workshops des AELF an interessierte Kollegen weiter.