Onlineshopping vermittelt ein trügerisches Gefühl: Statt ratlos vor dem Ladenregal zu stehen, kann man Preise vergleichen, Produkte filtern und vor allem: Erfahrungen anderer Kunden lesen. Volle Transparenz für den Verbraucher also? Mitnichten, denn viele der Bewertungen stammen von Nutzern, die das Produkt nie in den Händen hielten. Manche Bewertung hat gar ein Computerprogramm geschrieben.
Einige der Online-Bewertungen hat ein Computerprogramm geschrieben
Der Bundesgerichtshof beschäftigte sich am Donnerstag mit einem Fall, in dem mehrere Käufer eines Muskel-Tapes geschrieben hatten, es helfe schnell gegen Schmerzen. So eine Wirkung ist wissenschaftlich allerdings nicht nachgewiesen. Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) hatte den Essener Händler deshalb schon vor längerem verpflichtet, nicht mehr mit dieser Behauptung zu werben. Durch die Bewertungen von Kunden auf Amazon sieht der Verband diese Unterlassungserklärung verletzt. Er meint: Der Händler hätte die Löschung veranlassen oder sein Produkt gleich ganz von der Seite nehmen müssen.
Das Oberlandesgericht Hamm sah das in der vorherigen Instanz anders. Auch in Karlsruhe deutete sich an, dass der BGH sich daran anschließt. Aber dann kamen von der Richterbank auch kritische Fragen: Wer trägt Sorge dafür, dass die besonders strengen Vorschriften für das Geschäft mit Medizinprodukten auch eingehalten werden? Und könnte der Verkäufer nicht doch verpflichtet sein, die Seite mit seinem Produkt auf problematische Inhalte zu prüfen? Es gebe noch Beratungsbedarf, stellte der Senatsvorsitzende Thomas Koch am Ende fest. Ein Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet.
Amazon ist nach eigener Darstellung ausschließlich an ehrlichen, authentischen Bewertungen interessiert. Demnach analysiert Amazon sämtliche Bewertungen rund um die Uhr mithilfe automatisierter Systeme. Verdächtige Einträge würden von Prüfteams untersucht und wenn notwendig geblockt oder entfernt. Bei Manipulationen drohten Sperren bis hin zu rechtlichen Schritten.
Amazon selbst ging schon gegen gefälschte Bewertungen vor
Amazon ging in der Vergangenheit selbst gegen Unternehmen vor, die gefälschte Bewertungen auf der Plattform veröffentlicht hatten. In einem ähnlichen Fall hat das Münchner Landgericht gestern bereits eine Entscheidung getroffen – und das Urteil hat Signalcharakter. Die im südamerikanischen Kleinstaat Belize ansässige Firma Fivestar Marketing hatte erfundene Bewertungen an mehrere Hoteliers verkauft. Ihre Zielgruppe sind Unternehmen, die durch falsche Rezensionen ihre Umsätze steigern wollen. "Durch Fivestar erhalten Sie hochwertige Rezensionen Ihrer Produkte, Ihrer Dienstleistungen oder Ihres Shops", wirbt die Firma im Internet.
Gekaufte Amazon-Bewertungen sind mit einem Preis ab 19,40 am teuersten, Bewertungen kann die Kundschaft aber auch für Google, Facebook oder Arbeitgeberbewertungsportale kaufen – im Paket billiger. Fivestar setzt nicht auf computergeschriebene Bewertungen, sondern heuert freie Mitarbeiter an.
Das Urlaubsportal Holidaycheck hatte gegen diese Praxis geklagt. Das Gericht entschied: Fivestar darf künftig keine Bewertungen mehr von Menschen verkaufen, die nicht tatsächlich in dem jeweiligen Hotel oder Ferienhaus übernachtet haben. Das Unternehmen muss entsprechende Rezensionen löschen lassen und dem zum Medienkonzern Burda gehörenden Urlaubsportal Auskunft geben, von wem sie stammten.
Können Ärzte Bewertungen ihrer Praxis löschen lassen?
Im Internet werden aber nicht nur Produkte bewertet, sondern auch Ärzte. Und auch ein solcher Fall beschäftigt die Justiz: Zwei Kölner Zahnärzte haben das Arzt-Bewertungsportal Jameda erfolgreich auf die Löschung ihrer Profile verklagt. Die ohne Einverständnis der Betroffenen angelegten Bewertungsseiten seien in der bisherigen Form unzulässig, entschied das Oberlandesgericht Köln am Donnerstag. Die Plattform verlasse in diesen Fällen die Rolle des "neutralen Informationsvermittlers" und gewähre Ärzten, die für ein Premium-Profil zahlen, "verdeckte Vorteile", argumentierte das Gericht laut einer Mitteilung.
Hintergrund sind Angebote, die Jameda seinen zahlenden Kunden ermöglicht hatte: Auf den Zahler-Profilen konnten die Kunden in einer älteren Version – anders als bei den Nicht-Zahlenden – unter anderem ein Foto hinterlegen und so ihre Seite attraktiver gestalten. Außerdem gab es bei den Zahlern keine Links auf andere, konkurrierende Ärzte in der Region.
Anders als zuvor das Landgericht erklärten die Richter es allerdings nicht für grundsätzlich unzulässig, zahlenden Kunden des Portals zusätzliche Funktionen zur Verfügung zu stellen.
Verbraucherschützer warnen davor, Online-Bewertungen blind zu vertrauen
Sie warnen davor, Online-Bewertungen blind zu vertrauen. "Es ist für den Verbraucher sehr schwierig zu entscheiden, welche Bewertungen echt sind und welche nicht", sagt Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern.
Wichtig sei es deshalb, einzelne Rezensenten genau unter die Lupe zu nehmen, rät Halm. Es gebe Menschen, die sehr viel bewerten. Wenn jemand im kurzen Abstand viele Geschäfte und Restaurants an unterschiedlichen Orten bewertet, sei das ein Hinweis auf Fake-Bewertungen. Die können etwa gekauft sein.
Gleiches gelte für sehr viele negative Bewertungen gefolgt von mehreren positiven. In so einem Fall dränge sich der Verdacht auf, dass jemand aktiv versuche, die schlechten Urteile quasi auszugleichen, erklärt die Verbraucherschützerin.
Es gibt auch Hersteller, Dienstleister oder Portal-Betreiber, die Kunden oder Nutzer mit Gutscheinen belohnen, wenn sie positive Bewertungen abgeben. Kommen Bewertungen so zustande, bewertet Tatjana Halm diese ebenfalls als Fälschung. "Man sollte sich unterschiedliche Portale anschauen und Vergleiche ziehen", rät die Verbraucherschützerin deshalb.
Hilfreich sei eine klare Information des Portals oder des Händlers darüber, wer alles eine Bewertung abgeben darf. Für die Seriosität eines Angebots sprechen sogenannte verifizierte Bewertungen. Das bedeutet, dass tatsächlich nur Kunden oder Käufer eine Bewertung abgeben dürfen – und nicht jedermann. Letztlich bleibe aber fraglich, ob Online-Bewertungen überhaupt ein repräsentatives Bild abgeben, meint Tatjana Halm. "In letzter Konsequenz muss man immer misstrauisch sein." (dpa, pwehr)
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