Seit mehr als 80 Jahren stellt die Firma Schmidt in Nürnberg nicht nur Lebkuchen, sondern auch Spekulatius her. Warum darauf immer die gleichen Abbildungen zu finden ist, weiß heute aber keiner mehr - einem Pressesprecher zufolge nicht einmal die Mitarbeiter, die schon seit 30 Jahren in der Backstube arbeiten.
Um dem Geheimnis des Spekulatius auf die Spur zu kommen, sollte man nicht die Hersteller fragen. In diesem Fall hilft nur ein Kirchenwissenschaftler weiter. Manfred Becker-Huberti ist Theologe und hat bereits mehrere Bücher über kirchliche Bräuche geschrieben. Er weiß, was die Darstellungen bedeuten - sie verweisen auf das Leben des Heiligen Nikolaus.
Spekulatius-Motive gehen auf den Heiligen Nikolaus zurück
Der Heilige Nikolaus von Myra lebte dem Theologen zufolge im vierten Jahrhundert nach Christus im griechisch-türkischen Raum. In der katholischen Kirche ist er der Schutzpatron der Seefahrer - das ist die Erklärung dafür, warum auf Spekulatius oft Schiffe und Seefahrer-Motive abgebildet sind. "Noch heute gibt es in Griechenland kaum ein Schiff, auf dem nicht irgendwo eine Nikolaus-Abbildung zu finden ist", sagt Becker-Huberti.
Auch Darstellungen von Pferden oder Maultieren kommen häufig auf Spekulatius vor. Auch hier verbirgt sich der Heilige Nikolaus: Um Geschenke zu verteilen, ritt er von Haus zu Haus.
Andere Spekulatius-Motive gehen allerdings nicht auf den Nikolaus zurück. Etwa die Windmühle, die sich in beinahe jeder Spekulatius-Packung versteckt. "Das Gebäck hat seinen Ursprung in den heutigen Niederlanden", sagt Becker-Huberti. Die Menschen dort wollten seiner Theorie nach Abbildungen aus ihrem Land auf den Spekulatius bringen - etwa die in den Niederlanden häufigen Windmühlen.
Becker-Huberti kann auch einen nachvollziehbaren Grund nennen, warum sich die Motive auf dem Spekulatius oft wiederholen: "Früher wurde der Spekulatius in einem Stück Eichenholz geformt, in dem die Motive aufwändig eingeschnitzt wurden." Diese Arbeit wollten sich die Bäcker nicht oft machen - darum zeigten die Kekse immer nur eine kleine Auswahl an Formen. Die Tradition der alten Abbildungen haben sich bis heute gehalten - selbst dann, wenn der Spekulatius-Hersteller die Bedeutung inzwischen vergessen hat.
Das Wort Spekulatius kommt Becker-Huberti zufolge vom lateinischen Wort "speculare", was auf deutsch übersetzt "beobachten" heißt. Das Beobachten war ein wichtiger Teil in der Arbeit von Bischöfen - in regelmäßigen Abständen mussten sie ihre Pfarreien besuchen und sie genau unter die Lupe nehmen - was wiederum auf das Wort "speculare" verweist. "Das Konzil von Trient hat diese Eigenschaft des Beobachtens vor allem dem heiligen Nikolaus zugeschrieben", sagt Becker-Huberti. Mit dem Konzil von Trient reagierte die katholische Kirche auf die Lehren Luthers - und legte dabei auch Grundsteine zur Heiligenverehrung, die bis heute gelten.