Es war Pauls Idee. Er fand, wir sollten versuchen, auf so viel Plastik wie möglich zu verzichten. Mein Sohn Paul ist acht Jahre alt. Anfang des Jahres in den Kindernachrichten sah er diverse Beiträge darüber, wie Kunststoff unsere Flüsse, Seen und Meere vermüllt, wie Tiere daran sterben und dass Deutschland seit Anfang des Jahres ein Problem damit hat, seine Plastikmüll-Berge loszuwerden, weil der Großabnehmer China seine Weltmüllkippe schließt.
Bei einem Abendessen im Januar schlug Paul also vor, auf Plastikverpackungen zu verzichten, ein Selbstversuch sollte es werden – und daraus entstand unser „Plastikpakt“, an dem auch mein Mann Hartmut und unser einjähriger Sohn Theo seither teilnehmen. Wir waren uns alle einig an diesem Abend, dass auch wir viel zu viel Plastikmüll produzierten. Ich fotografierte unsere sechs gelben Säcke am Vorabend der Abholung am 17. Januar. Unser Ziel war es damals, diese Anzahl deutlich zu reduzieren, einfach so, ohne einen ausgeklügelten Plan. Viel Zeit, sich mit dem Einkauf zu beschäftigen, haben wir nicht. Mein Mann arbeitet Vollzeit, ich habe eine 80 Prozent-Stelle. Geklappt hat es trotzdem: Heute, drei Monate später, stellen wir nur noch zwei gelbe Säcke vor die Tür, nun wollen wir demnächst nur noch einen einzigen füllen.
Plastik ist einfach überall
37,4 Kilogramm Plastikmüll produziert jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr – das sind Zahlen aus einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Plastik ist einfach überall. Im Supermarkt kommt man kaum drum rum: Kunststoff ist um Gurken gewickelt, Trauben werden darin verpackt, Joghurt-Plastikverpackungen sind Standard, PET-Flaschen sind auf dem Vormarsch, auch in den beliebten Tetrapacks ist eine Kunststoffbeschichtung. Schinken, Wurst, Käse und Co werden in Plastik gehüllt, meist ist die Verpackung im Verhältnis zum Inhalt überdimensional.
Der Berg an Verpackungsmüll wächst und wächst stetig an. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes türmte er sich in Deutschland im Jahr 2015 auf die Rekordmenge von 18,15 Millionen Tonnen. 8,5 Millionen davon entfielen auf die privaten Verbraucher. Diese Plastikflut gilt es zu reduzieren und wir glauben fest daran, dass auch die Verbraucher die Macht haben, an diesen Zahlen etwas zu ändern. Denn jede einzelne Kaufentscheidung ist, so jedenfalls meine Meinung, wichtig, um etwas zu tun, damit die Zukunft unserer Kinder ein bisschen besser wird.
2050 soll mehr Plastik als Fische im Meer treiben
Was meinen Sohn Paul besonders erschütterte, war die Tatsache, dass Fische, Schildkröten oder Wale an Plastikteilen im Meer ersticken und dass Forscher prognostizieren, dass schon im Jahr 2050 mehr Plastik im Meer treibt, als Fische unsere Ozeane bevölkern. Es ist schwer einem Achtjährigen zu erklären, warum überall auf den Ozeanen mittlerweile riesige Müllstrudel schwimmen und warum die Menschen nicht mehr tun, damit so etwas nicht passieren kann.
Also machten wir uns auf, den Versuch zu wagen. Seitdem wir unseren „Plastikpakt“ schlossen, schauen wir mit anderen Augen die Waren an, die uns im Supermarkt, beim Discounter, beim Metzger, Bäcker oder Hofladen angeboten werden. Es ist nicht leicht, plastikfrei einzukaufen, aber es geht. Das haben wir gelernt, auch wenn es immer wieder mal auch nicht funktioniert. Obst und Gemüse kaufen wir mittlerweile konsequent ohne Plastik, das geht selbst bei Aldi, Lidl und Co. Wenn wir zum Metzger gehen oder im Supermarkt Käse kaufen, bringen wir eigene Dosen mit, in die unsere Waren eingepackt werden. Bisher gab es dabei nur wenig Probleme, auch wenn die Hygienevorschriften es nicht erlauben, dass die Tupperdosen hinter die Theke genommen werden. Alle Getränke gibt es bei uns nur noch in Glasflaschen, wobei ich darauf achte, dass der Saft aus der Region kommt, denn Glasflaschen, die durch die halbe Republik gekarrt werden, haben eine schlechte Ökobilanz. Wir versuchen Pappverpackungen zu kaufen. Selbst beim Waschmittel bin ich wieder zur Pappbox zurückgekehrt, die nur eine Plastikschlaufe zum Tragen hat.
Milch, Joghurt, Quark und Käse kaufen wir seither in einer Molkerei, die nur drei Kilometer von uns entfernt ist. Auch dort füllen uns die Verkäuferinnen die Waren in mitgebrachte Behälter, teurer ist die Milch dort nicht: Für 85 Cent bekomme ich einen Liter Milch, der weder durch halb Deutschland gefahren wurde, noch eine Plastikverpackung hat.
Eine App hilft, Mikroplastik zu erkennen
Schwierig wird es bei Reinigungsmitteln für den Haushalt sowie bei Kosmetikartikeln. Denn beides wird (fast) ausnahmslos in Plastikflaschen, -tiegeln und -tuben angeboten. Das besondere Problem hier: Neben der Verpackung enthalten viele Produkte Mikroplastik, das sind feste und unlösliche synthetische Kunststoffe, die kleiner als fünf Millimeter sind. Sie werden in Gels, Peelings oder Duschcremes verwendet, und auch diese Mini-Plastikteilchen sind gefährlich für die Umwelt. Gerade erst hat eine groß angelegte Untersuchung der Umweltämter von fünf Bundesländern ergeben, dass Mikroplastik mittlerweile in fast allen süd- und westdeutschen Flüssen und Seen zu finden ist. Eine Alternative wäre es, Kosmetik selbst anzurühren, doch dafür habe ich keine Zeit. Auf Deo, Shampoo und Co. zu verzichten, wäre ebenfalls für unsere Familie nicht vorstellbar. Ich habe mir mittlerweile eine App heruntergeladen und kann nun jedes Produkt scannen, um herauszufinden, ob Mikroplastik enthalten ist oder nicht.
Wer, wie wir, Kinder hat, der weiß, dass hier Plastik kaum zu vermeiden ist. Windeln, die unser Einjähriger täglich braucht, sind voller Plastik, ebenso die Verpackungen der Feuchttücher. Auf Stoffwindeln umzustellen, übersteigt dann aber doch unsere Grenzen. Auch viel Spielzeug ist aus Plastik: Duplo, Lego oder Playmobil etwa. „Das ist aber langlebiges Plastik“, erklärt Paul und hat im Grunde recht. Denn diese Spielsachen gehen nicht kaputt und halten tatsächlich lange.
In den kommenden Wochen werde ich darüber berichten, wie und ob ein Leben ohne Plastik funktioniert, denn das Thema interessiert viele Menschen. Nachdem ich unter anderem bei der TV-Sendung „Hart aber Fair“ von unserem Plastik-Selbstversuch berichtete, bekam ich viel Zuspruch von Freunden und Zuschauern. Offenbar haben es immer mehr Menschen satt, Unmengen von unnützem Müll zu produzieren.
Kerstin Mommsen ist Redakteurin des Südkurier in Konstanz, der wie unsere Zeitung in der Mediengruppe Pressedruck erscheint. In einem Blog hält sie ihre Erfahrungen fest.