Migräne ist eine der Krankheiten, die weltweit am häufigsten auftreten. In Deutschland sind 18 Millionen Menschen von den Kopfschmerzen mit Übelkeit und Schwindel betroffen. Inzwischen leiden immer mehr junge Menschen daran. Um Migräne ranken sich deshalb einige Mythen.
Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, und Dr. Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeutsche Kopfschmerzzentrum und des Schwindelzentrums der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen, haben einige dieser Migräne-Mythen in der FAZ überprüft.
Migräne-Mythen: Psyche, Geschlecht, Alter
Lange wurde die Migräne als hauptsächlich psychosomatische Erkrankung angesehen. Heute weiß man, dass es sich um eine meist vorübergehende Funktionsstörung im Gehirn handelt, die biologisch bedingt ist. Inzwischen sind über 35 Gene in Zusammenhang mit Migräne gebracht worden. Es gibt allerdings Überlappungen mit psychiatrischen Erkrankungen wie Angsterkrankungen oder Depressionen. Zudem könnten Betroffene aufgrund häufiger und schwerer Attacken des Kopfschmerzes psychische Beeinträchtigungen erfahren.
Dadurch entstand wohl ein weiterer Mythos: Migräne komme von einer Depression. Diese Assoziation kommt einerseits daher, dass Menschen mit Depressionen schmerzempfindlicher sind als andere, während Menschen mit schwerer Migräne von der Beeinträchtigung und durch die Schmerzen depressiv werden können. Wichtig ist, dass der Arzt beide Krankheiten erkennt und behandelt.
In groß angelegten Studien wurde festgestellt, dass Frauen prozentual gesehen doppelt so häufig wie Männer unter Migräne leiden. Liegt das an genetischen Faktoren? Die Ursache ist zwar nicht geklärt, doch es wäre möglich. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Hormonschwankungen im Rahmen des Hormonzyklus häufiger Migräne auslösen. Das würde auch erklären, warum Jungen und Mädchen nur bis zur Pubertät gleich häufig von den Kopfschmerzen betroffen sind.
Falls also die Hormone die Migräne bei Frauen auslösen - ändert sich dann etwas nach den Wechseljahren? Tatsächlich gipfelt die Krankheit meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr, bei 80 Prozent der Frauen verschwinden die Attacken in den zehn Jahren nach Einsetzen der Wechseljahre. Bei den übrigen Frauen allerdings bleibt die Migräne bis ins hohe Alter. Die Attacken werden dann meist kürzer und weniger intensiv.
Woher kommt die Migräne und was kann man tun?
Oft wird die Halswirbelsäule für die Migräne verantwortlich gemacht, doch dieser Mythos kommt womöglich daher, dass Nackenschmerzen in der Vorphase auftreten können. Das stimmt allerdings nicht. Deshalb sind auch Manualtherapien bei diesen Kopfschmerzen nicht wirksam. Auch das Wetter wird häufig verdächtigt, Migräne auszulösen. Ein Wetterwechsel kann tatsächlich Auslöser sein, denn viele Betroffene haben eine empfindlichere Hirnrinde. Andere Trigger können Stress und Stressabfall, Alkohol, unregelmäßiges Essen und Schlafen oder bei Frauen die Periode sein. Wie ein Wetterwechsel sind auch sie nicht automatisch in jedem Fall Auslöser.
Es gibt auch Patienten, die glauben, dass man eine Migräne im Kernspintomographen sehen könne. Da es sich dabei aber um eine vorübergehende Funktionsstörung handelt, ist das nicht möglich - schließlich bleibt die Struktur des Gehirns dabei intakt. Eine solche Untersuchung ist nur sinnvoll, wenn Zweifel bestehen, ob der Kopfschmerz durch eine Migräne ausgelöst wurde. Allerdings kommt es bei der Kernspintomographie auch zu Fehldiagnosen.
Hilft Aspirin bei Migräne? Bei leichten und mittleren Attacken kann der Wirkstoff Acetylsalicylsäure tatsächlich helfen, ebenso wie Ibuprofen, wohingegen Paracetamol weniger wirksam ist. Sogenannte Triptane wurden entwickelt, um ausschließlich Migränekopfschmerz lindern zu können, indem sie Gefäße in der Hirnhaut verengen. Heute weiß man, dass die Mittel die Übermittlung von Schmerzsignalen im Gehirn blockieren können. Sie sind wirksamer als Schmerzmittel, aber wirken nur für eine begrenzte Dauer. Sie werden nur dann eingesetzt, wenn andere Mittel nicht mehr gegen die Migräne helfen. Wer einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hat, sollte Triptane allerdings nicht einsetzen.
Medikamente, Heilpraktiken, Botox und OP gegen Migräne
Bei häufigen und schweren Migräneattacken können Schmerzmittel die Häufigkeit der Attacken zunehmen lassen. Andere Medikamente wie Betarezeptorenblocker oder Antidepressiva werden deshalb in bestimmten Fällen zur Prophylaxe eingesetzt. Doch viele Patienten vertragen die Medikamente nicht und benötigen eine gute nichtmedikamentöse Vorbeugung von Migräne, wie etwa autogenes Training, Yoga, Ausdauersport oder Stressbewältigung.
Wenn Heilpraktiker sagen, sie könnten Migräne heilen, dann ist das nichts weiter als ein Mythos - denn diese Krankheit ist genetisch bedingt und damit nicht heilbar. Es gibt aber Methoden, die langfristig helfen können. Eine Möglichkeit ist Botox. Botulinumtoxin kann in kleinen Mengen injiziert werden, um Patienten mit chronischer Migräne und Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen im Monat zu behandeln. Die Wirkung hält etwa drei Monate lang an.
Nicht nur Botox ist ein Migräne-Mythos aus der Schönheitschirurgie. Auch die Entfernung eines Gesichtsmuskels soll helfen. Im Gegensatz zu Botox lässt sich dabei aber nicht belegen, dass die Behandlung wirklich effektiv ist. Ein anderer Mythos ist, dass das Foramen ovale, eine ovales Loch zwischen linkem und rechtem Herzvorhof, für die Migräne verantwortlich ist. Zwar tritt diese Öffnung häufiger bei Patienten mit Migräne auf, ein Unterschied zwischen operiertem (und damit geschlossenem) Foramen ovale oder offenem Foramen ovale konnte in kontrollierten Studien ausgeschlossen werden.
Neue Erkenntnisse zeigen, dass Menschen mit Übergewicht häufiger unter Migräneattacken leiden. Gerade die chronische Erkrankung tritt bei übergewichtigen Patienten häufiger auf. Eine starke Gewichtsreduktion kann auch die Häufigkeit der Attacken deutlich verringern. Treibt man Sport für den Gewichtsverlust, kommt Bewegung dazu, ein weiterer Faktor, der Migräne lindern kann. sh