Herr Michalak, wir alle wissen: Wer traurig ist, lässt den Kopf hängen. Sie haben herausgefunden, dass es auch andersherum funktioniert: Die Körperhaltung beeinflusst die Psyche. Wie kann man sich das erklären?
Johannes Michalak: Zwischen motorischen und emotionalen Prozessen existieren höchstwahrscheinlich enge Wechselwirkungen. Es gibt in der Psychologie Modelle, die besagen, dass Gefühle in Netzwerken organisiert sind. Darin sind verbale Informationen, die mit einer fröhlichen oder traurigen Stimmung assoziiert sind, abgespeichert, aber auch bestimmte Bilder und motorische Prozesse. Wenn man einen Knoten in diesem Netzwerk aktiviert, also einen Knoten, der körperliche Aspekte repräsentiert, etwa durch eine bestimmte Sitzhaltung, dann breitet sich die Aktivierung im gesamten Netzwerk aus.
Man könnte also auch mit einem positiv besetzten Bild arbeiten?
Michalak: Genau, die Aktivierung würde sich dann ebenfalls im gesamten Netzwerk ausbreiten und hätte vielleicht Auswirkungen auf die Körperhaltung. Man kann auf unterschiedlichen Wegen Zugang zu diesem Emotionsnetzwerk bekommen. Die einzelnen Elemente innerhalb des Netzwerkes beeinflussen sich gegenseitig. Das kennen Sie vielleicht selber: Wenn Sie traurig sind, dann schießen Ihnen bestimmte Gedanken durch den Kopf. Und Sie bewegen sich auch in einer bestimmten Art und Weise, weil die einzelnen Prozesse miteinander verknüpft sind.
Was Körperhaltung mit Hormonen zu tun hat
Lassen sich Veränderungen an den Hormonen oder den Gehirnströmen messen, wenn man eine bestimmte Körperhaltung einnimmt?
Michalak: Die Gehirnströme wurden bislang noch nicht untersucht. Auf hormoneller Ebene haben wir in unserer Metaanalyse zum Thema erst mal keine Effekte feststellen können. Aber die Anzahl der Studien, die Hormone untersucht haben, war auch klein. Was wir gefunden haben, waren Effekte beispielsweise auf die Stimmung und auf das Verhalten.
Wie ist man bei den Studien vorgegangen?
Michalak: Es gab bei den über 70 Studien, die wir einbezogen haben, viele unterschiedliche Methoden. Das waren nicht nur Fragebögen, sondern auch zum Beispiel Spielsituationen, die meist am Computer simuliert werden. Dabei kann man zum Beispiel messen, wie risikoreich sich Menschen entscheiden.
Verhalte ich mich risikoreicher, wenn ich eine stark aufrechte Körperhaltung einnehme und die Brust rausstrecke?
Michalak: Das hat sich nicht gezeigt. Man hat die Testpersonen in den Experimenten einer aufrechten, zusammengesunkenen oder neutralen Bedingung zugeordnet und sich die Effekte angeschaut. Wir haben festgestellt, dass sich vor allem eine zusammengesunkene Körperhaltung auswirkt. Beim Vergleich einer besonders aufrechten, Raum greifenden gegenüber einer normalen Haltung haben wir keine starken Effekte gesehen. Es scheint also wichtiger zu sein, nicht zusammengesunken dazusitzen, als eine besonders expansive Haltung einzunehmen.
Schon in der Schule sollte auf Haltung geachtet werden
Können Sie sich vorstellen, dass darauf aufbauend ein Bewegungsprogramm für depressive Menschen entstehen könnte?
Michalak: Ja, das könnte gerade für Leute etwas sein, die schon einiges erfolglos ausprobiert haben. Oder man könnte im Rahmen komplexerer Behandlungsprogramme daran ansetzen, indem man sagt: Achtet auch auf euren Körper und schaut, ob ihr gewohnheitsmäßig eine gewisse Körperhaltung einnehmt. Wir sind gerade dabei, solche Behandlungen zu entwickeln. Man muss allerdings betonen, dass die Körperhaltung oder Bewegung nicht „die“ Lösung des Depressionsproblems ist. Wie es jemandem geht, wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst – einer davon ist Haltung und Bewegung.
Man spricht gern allgemein von „schlechter Haltung“. Was wirkt denn besonders negativ auf die Psyche? Der hängende Kopf? Der schlurfende Gang ...?
Michalak: In unserer Studie hat sich das alles weitgehend vergleichbar ausgewirkt.
Kinder müssen in der Schule lange sitzen, oft in einer schlechten Haltung. Wirkt sich das auch psychisch aus?
Michalak: Das könnte durchaus sein. Man könnte versuchen, Kinder im Rahmen einer ganzheitlichen Schulung darin zu unterstützen, auch auf ihre Haltung zu achten. Das ist ja auch für den Rücken nicht unerheblich.
Könnte es auch auf die Stimmung drücken, wenn man den Kopf oft in Richtung Handy senkt?
Michalak: Bislang gibt es dazu keine Untersuchungen. Bei den Studien, die wir ausgewertet haben, handelt es sich um relativ kurze Experimente. Es war wichtig zu zeigen: So etwas hat überhaupt Effekte. Was bisher noch nicht nachgewiesen ist: Wie sieht das eigentlich im Alltag aus, wenn Leute gewohnheitsmäßig bestimmte Körperhaltungen einnehmen? Solche längerfristigen Dinge zu erforschen, ist sicherlich sinnvoll.
Es gibt auch die Empfehlung, sich im Spiegel anzulächeln, um die Stimmung zu heben. Kann das funktionieren?
Michalak: Es ist umstritten, ob da wirklich etwas dran ist. Ich denke, das hängt auch immer von der Haltung ab, die man einnimmt. Mir täten depressive Menschen leid, die sich morgens vor dem Spiegel anlächeln und denken: Das ist die Lösung meines Depressionsproblems! Da ist die Gefahr, dass die Botschaften zu einfach werden.
Weniger Armschwingung und langesame Geschwindigkeit: Menschen mit Depressionen haben häufig einen anderen Gang
Sie haben sich stark mit Gangbildern beschäftigt. Was kann man daraus ablesen?
Michalak: Wir haben vor über zehn Jahren eine Studie veröffentlicht, wo wir uns die Gangmuster depressiver Patienten angeschaut haben. Ihr Gangmuster war unter anderem durch eine langsamere Gehgeschwindigkeit und durch weniger starke Auf- und Abbewegungen des Oberkörpers gekennzeichnet. Diese Patienten neigen auch zum Schlurfen, während sich gesunde Menschen beim Gehen eher abstoßen. Außerdem haben wir bei depressiven Testpersonen eine zusammengesunkene Körperhaltung, weniger Armschwingungen, dafür aber stärkere seitliche Schwankungen festgestellt. Sie laufen also weniger zentriert, sondern schwanken eher nach rechts und links. Wir haben auch untersucht, wie sich Gangbilder auf das Gedächtnis auswirken. Depressive neigen nämlich dazu, sich negative Informationen zu merken, nicht-depressive dagegen positive Informationen. Bei einer Studie mit psychisch gesunden Menschen haben wir gefunden: Leute, die sozusagen depressiv gehen, behalten eher negative Informationen als Leute, die sich fröhlicher bewegen.
Wenn ich gezielt dynamischer gehe, behalte ich also eher positive Dinge im Gedächtnis?
Michalak: Ja genau.
Nutzen Sie Ihre Erkenntnisse auch persönlich? Etwa, indem Sie sich zu einem flotten Spaziergang aufmachen, wenn Sie schlecht gelaunt sind?
Michalak: Ich mache schon lange Qigong. Da fand ich es immer erstaunlich, wie sich bestimmte Bewegungen oder auch Körperhaltungen auswirken können. Das war für mich die eigentliche Inspirationsquelle für meine Forschung.
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