Ist der komplette Verzicht auf Nahrung wirklich gesund für den Körper? Besonders unter Menschen, die bewusst auf ihre Ernährung achten, ist diese Frage ein Reizthema. Auch Experten sind sich in der Sache längst nicht einig. Das liegt auch daran, dass viele Erkenntnisse rund um das Thema Fasten aus Tier-Experimenten stammen. Und, dass es verschiedene Versionen gibt: Ein paar Stunden, abwechselnd jeden zweiten Tag - oder die Extremvariante, bei der Menschen mehrere Tage oder sogar Wochen am Stück auf Nahrung verzichten. Letzteres wird häufig auch als Heilfasten bezeichnet. In einer großen Studie haben Wissenschaftler nun untersucht, wie sich der mehrtätige Verzicht auf Nahrung auf den Körper auswirkt - und konnten zahlreiche positive Effekte nachweisen.
Um dem Geheimnis des Fastens näher zu kommen, dokumentierten die Wissenschaftler 1422 Patienten der Buchinger-Wilhelmi-Fastenklinik in Überlingen am Bodensee. Die Teilnehmer nahmen an einem betreuten Programm teil, das zwischen vier und 21 Tagen dauerte. Vier von zehn Patienten litten zu Beginn des Fastens unter Übergewicht. Weitere Beschwerden waren zum Beispiel Bluthochdruck und erhöhte Cholesterinwerte. Der Einstieg in das Programm verlief stufenweise: Am ersten Tag aßen die Teilnehmer leichte Mahlzeiten aus Reis, Gemüse und Obst. Dann mussten die Patienten ein Abführmittel einnehmen, um den Darm zu entleeren - und das Fasten begann. Während dieser Phase verzichteten sie allerdings nicht komplett auf Nahrung. Auf dem Speiseplan: ein frisch gepresster Obst- oder Gemüsesaft zum Mittagessen und abends eine Suppe. Maximal 250 Kalorien am Tag. Außerdem durften die Teilnehmer ihre Kräutertees mit bis zu 20 Gramm Honig am Tag süßen. Trinken war für die Patienten besonders wichtig: zwei bis drei Liter Wasser am Tag waren Pflicht.
Fasten kann Blutdruck senken, Cholesterin und Gewicht reduzieren
Am Anfang und am Ende des Fastens kontrollierten die Wissenschaftler Blut und Gewicht der Teilnehmer. Und die Ergebnisse waren eindeutig: Im Durchschnitt reduzierten Teilnehmer, die 20 Tage auf Nahrung verzichtet hatten, ihr Gewicht um 8,6 Kilogramm. Patienten, die das Fasten nach fünf Tagen wieder beendeten, verloren im Mittel noch 3,2 Kilogramm. Auch Bauchumfang, Cholesterinwerte, Blutzucker und Blutdruck konnten die Fastenden signifikant reduzieren. Bei 84 Prozent der Teilnehmer, die vor dem Programm unter Krankheiten wie Arthritis, Diabetes Typ 2 oder einer Fettleber gelitten hatten, verbesserten sich die Beschwerden.
Für Dr. Francoise Wilhelmi de Toledo sind diese Ergebnisse keine Überraschung. Sie ist ärztliche Leiterin der Wilhelmi-Fastenklinik und erforscht seit über 30 Jahren die Auswirkungen des Fastens auf den Körper. Gemeinsam mit einem Forscherteam der Berliner Charité-Klinik betreute sie die Fastenstudie. Immer wieder erlebt sie in ihrer Klinik, welche positiven Auswirkungen das Fasten auf Patienten hat. Mit der Untersuchung wollten sie und ihre Kollegen die Effekte wissenschaftlich dokumentieren, was der Verzicht wirklich bewirken kann. "Wir Menschen sind programmiert für Fastenzeiten", ist Wilhelmi de Toledo überzeugt. Einige Tage nicht zu essen, sei eine Verjüngungskur, sagt die Ärztin.
Fastenzeit: Fasten regt das Wachstum der Zellen im Gehirn an
Aber was genau macht das Fasten zu einem Jungbrunnen für den Körper? Menschen können sowohl aus Glukose als auch aus Fett Energie gewinnen. Beim Fasten müssen die Zellen komplett auf Körperfett als Energiequelle zurückgreifen. Dieser Zustand nennt sich Ketose. Wie Wilhelmi de Toledo erklärt, wird durch die Mobilisierung der Fettdepots das Serotonin-System im Gehirn angeregt. Fasten kann also Ängste lösen und die Stimmung verbessern. Entscheidend für den Jungbrunnen-Effekt ist aber etwas anderes: Ist der Körper in der Ketose, steigert das den sogenannten Wachstumsfaktor BDNF. Dieses Protein schützt Nervenzellen, fördert deren Wachstum und sorgt dafür, dass sie besser miteinander kommunizieren können.
Wer sich diesen Effekt zunutze machen möchte, sollte aber nicht einfach drauflos fasten. Die Expertin rät, dass auch gesunde Menschen in einer Gruppe mit Gleichgesinnten und am besten unter Betreuung auf Nahrung verzichten sollte. Wer Medikamente einnimmt oder krank ist, sollte nur unter Aufsicht eines Arztes in einer spezialisierten Praxis fasten.
Kompromiss zum dauerhaften Verzicht auf Nahrung: Intervallfasten
Wem das zu aufwendig ist, der kann seinem Körper trotzdem etwas Gutes tun: Der Kompromiss nennt sich Intervallfasten - auch unter dem Schlagwort "intermittierendes Fasten" bekannt. Dabei isst man 16 Stunden am Tag nichts. Ein Beispiel: Bis 17 Uhr nimmt man sein Abendessen ein, die nächste Mahlzeit ist dann das Frühstück um 9 Uhr. "Den Prozess, dass sich die Zellen im Körper verjüngen, hat man beim intermittierenden Fasten aber nur im Ansatz", sagt Wilhelmi de Toledo.
Noch leichter fällt der Einstieg in eine gesündere Ernährung, wenn man nur auf einzelne Lebensmittel verzichtet - zum Beispiel jetzt in der Fastenzeit. Die Ärztin empfiehlt zum Beispiel, tierisches Eiweiß wegzulassen - also Milchprodukte und Fleisch. Auch einige Tage oder Wochen keinen Zucker zu essen, sei gut für den Körper, sagt die Expertin. Während der Fastenzeit ganz generell das Fett in den Mahlzeiten zu reduzieren, ergebe dagegen gar keinen Sinn. "Gute Fette wie kaltgepresste Öle und Nüsse sind essentiell für den Körper", erklärt Wilhelmi de Toledo.
Hinweis der Redaktion: Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag aus unserem Online-Archiv.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.