Wer bitter schmeckende Gemüsesorten sucht, wird auf dem Augsburger Stadtmarkt schnell fündig. In den Körben von Renate Haag sind neben Salaten, wie Zuckerhut, Radicchio, Chicorée und Endivie, Rosenkohl, Artischocken und Puntarelle gestapelt. Das ist eine Zichorienart, die aussieht wie zu groß geratener Löwenzahn. Tipps für die Zubereitung gibt es gratis dazu: "Radicchio schmeckt lecker, wenn man ihn in der Pfanne etwas karamellisiert und mit Orangenspalten und einer fruchtigen Salatsauce serviert."
Lebensmittel: Bittere Komponenten sind heute oft herausgezüchtet
Bitterstoffe erweitern das Spektrum der Aromen und bringen Spannung ins Essen. Außerdem gelten sie als gesund. Sabine Hülsmann von der Verbraucherzentrale Bayern sagt: "Der bittere Geschmack regt den Speichelfluss an, er fördert die Ausschüttung von Verdauungssäften und aktiviert die Magen-Darm-Bewegungen." Darum sollten sie regelmäßiger Bestandteil unserer Ernährung sein.
So lautet auch die erste Empfehlung der Heilpraktikerin Martina Wacker, wenn Menschen mit Problemen des Magen- und Verdauungstraktes, Blähungen, Sodbrennen, Verstopfung oder Völlegefühl zu ihr kommen. Gern verweist sie ihre Patienten dann auf Bauernmärkte oder Biosupermärkte: "Dort kann man ältere Sorten finden, die noch einen höheren Bittergehalt aufweisen. Lebensmitteln sind heute nämlich oft bittere Komponenten herausgezüchtet, weil viele Verbraucher das nicht mögen." Sollte der gewünschte Effekt trotzdem einmal ausbleiben, sieht Martina Wackers Plan B Tees oder Tinkturen mit Löwenzahn oder Tausendgüldenkraut vor: "Aber bitte sachte starten. Eine Tasse Tee am Tag, in kleinen Schlucken getrunken, genügt für den Anfang, sonst können Bauchkrämpfe oder Durchfall die Folge sein."
Forscher haben positive Effekte in Bitterstoffen aus Hopfen nachgewiesen
Auch die Traditionelle Chinesische Medizin oder die Kräuterheilkunde von Hildegard von Bingen setzen bei Magen-Darm-Problemen auf Pflanzen mit Bitterstoffen. Dass sich einige dieser traditionellen Rezepturen im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende bewährt haben, möchte der Molekularbiologe Maik Behrens nicht bestreiten. Aber ob der Erfolg einer Rezeptur tatsächlich auf den darin enthaltenen Bitterstoff zurückzuführen ist, dafür müsste seiner Meinung nach im Einzelnen der Nachweis geführt werden: "Unter Umständen wirkt sich auch der Alkohol einer Darreichung oder ein anderer Inhaltsstoff auf den Organismus aus. Gemüse enthält zum Beispiel reichlich verdauungsfördernde Ballaststoffe." Und einzelne Bitterstoffe könnten auch das Gegenteil bewirken, indem sie etwa die Magenpassage verlangsamen.
Mit seinem Team erforscht Behrens am Institut für Lebensmittel-Systembiologie der Leibniz-Gemeinschaft in Freising die Wahrnehmung und Verarbeitung von Geschmäckern, unter anderem mithilfe einer "künstlichen Zunge". Untersucht haben Behrens und sein Team Bitterstoffe aus Hopfen und Koffein. Dabei zeigten sich positive Effekte auf Blutzuckerspiegel oder Magenaktivität. Außerdem, ergänzt Behrens, "fanden wir Hinweise, dass Hopfen-Bitterstoffe, insbesondere Polyphenole, den Körper vor schädigenden Radikalen schützen."
Es gibt wohl mehr schädliche Bitterstoffe als nützliche
In diesem Zusammenhang spielen unsere Rezeptoren für die Vielzahl der in der Natur vorkommenden Bitterstoffe eine herausragende Rolle. Geschmacksrezeptoren sind spezielle Eiweißmoleküle, die mit chemischen Verbindungen in unserer Nahrung wechselwirken. Die Informationen, die sie dabei gewinnen, leiten sie ans Gehirn weiter. Solche Rezeptoren finden sich sowohl auf der Zunge, wo sie uns verraten, was süß, salzig, sauer, umami oder bitter schmeckt, als auch an inneren Organen, beispielsweise in Magen, Darm und Lunge. Der Molekularbiologe hat schon viele in ihren Funktionen unterschiedliche Bittergeschmacksrezeptoren gefunden und untersucht: "Wir haben auf der Zunge einen Rezeptortyp für "süß" sowie 25 verschiedene für "bitter". Warum wir Menschen so viele Bitterrezeptoren benötigen? "Weil es so viele verschiedene Bitterstoffe in der Natur gibt, die für uns möglicherweise unverträglich bis giftig sind."
Vegetarier, Veganer, Frutarier: Wer isst eigentlich was?
Vegetarier verzichten bei ihrer Ernährung auf Fleisch bzw. auf alle Lebensmittel, für die ein Tier sterben musste. In Deutschland leben rund 3,7 Prozent der Bevölkerung vegetarisch.
Flexitarier wollen gegen die Massentierhaltung protestieren - allerdings ohne ganz auf Fleisch zu verzichten. Die Flexitarier achten verstärkt darauf, was für Fleisch ihnen auf den Teller kommt.
Die Pescetarier: Fleisch nein, Fisch ja! Daher leitet sich auch ihr Name ab: Das italienische "pesce" bedeutet Fisch. Ihr Hauptanliegen ist es, ein Zeichen gegen unwürdige Haltung von Landtieren zu setzen.
Der Rohköstler verzichtet darauf, sein Essen zu kochen. Rohkost kann vegetarisch sein, muss es aber nicht. Wichtig ist nur das fehlende Erhitzen der Lebensmittel.
Veganer lehnen alle Lebensmittel aus tierischer Herkunft ab. Damit wollen sie ein Zeichen gegen das Ausnutzen von Nutztieren setzen. Der Veganer verzichtet also nicht nur auf Fleisch, sonder auch auf alle anderen Lebensmittel, die von Tieren stammen.
Frutarier ernähren sich nur von pflanzlichen Lebensmitteln. Hinzu kommt aber, dass für ihr Essen die Pflanze nicht beschädigt werden darf. Kartoffeln und Rüben dürfen nicht gegessen werden, weil bei der Ernte die ganze Pflanze zerstört wird.
Freeganer versuchen kostenlos zu leben und sich auch kostenlos zu ernähren. Sie suchen beispielsweise in Supermarktabfällen nach abgelaufenen Joghurts oder Obst. Die meisten von ihnen leben zusätzlich vegetarisch. Mit ihrer Lebensweise wollen die Freeganer auf Verschwendung, Überfluss und vor allem auf die weltweite Armut hinweisen.
Für unsere frühen Vorfahren deutete ein bitterer Geschmack auf giftige Nahrung hin. Nicht umsonst lehnen wir Menschen bittere Geschmäcker auch heute noch in einem ersten, uns angeborenen Impuls als unangenehm ab. Der Experte warnt darum vor zu viel Begeisterung für Bitteres: "Die Liste der schädlichen Bitterstoffe ist vermutlich länger als die der nachweislich unschädlichen, die einen erwiesen positiven Effekt auf die Gesundheit haben." Auch den alten Paracelsus-Spruch "Die Dosis macht das Gift" sollte man nicht außer Acht lassen und eher geringe Mengen bevorzugen.
Sogar Zucchinis können Gift enthalten
Gerade wenn wir ein für uns neues Lebensmittel probieren, sollten wir auf die Warnsignale unseres Organismus hören: "In den nächsten Stunden achtet unser Körper genau darauf, ob wir das Gegessene vertragen. Falls nicht, entwickeln wir manchmal nachhaltige Abneigungen." Stutzig machen sollte uns auch, wenn etwas ungewohnt bitter schmeckt. Bei Zucchini könnte das ein Hinweis auf giftige Cucurbitacine sein. Diese Bitterstoffe können in höherer Dosis sogar zum Tod führen. Eigentlich wurden sie aus Kürbisgewächsen wie Gurken und Zucchini herausgezüchtet. In Einzelfällen können die Gemüse aber durch Rückmutationen und Rückkreuzungen das Gift wieder enthalten. Problematisch wird es laut Experten vor allem, wenn Hobbygärtner Zucchini jedes Jahr mit eigenen Samen ziehen.
Wie "bitter" einem schmeckt, was man isst, hat auch mit dem Erbgut zu tun. Beispiel Kohl: Je nachdem, welche Variante vom Bitterrezeptor TAS2R38 man geerbt hat, schmecken Rosenkohl und Brokkoli mehr oder weniger oder auch gar nicht bitter. "Schuld" daran sind bestimmte in diesen Gemüsesorten vorhandene Bitterstoffe, die den Rezeptor TAS2R38 aktivieren können. Je nachdem, ob man die funktionierende oder die nicht funktionierende Variante des Rezeptors besitzt, gehört man dann für die in diesen Gemüsesorten enthaltenen Bittersubstanzklasse zu den sogenannten Schmeckern oder Nicht-Schmeckern. Allerdings kann man sich im Laufe der Zeit auch an bittere Geschmäcker gewöhnen, wenn man das Lebensmittel mehrfach zu sich genommen und vertragen hat und es obendrein einen Nebeneffekt hat wie die anregende Wirkung von Kaffee oder grünem Tee.
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