Herr Kabisch, Weizen wird von einigen Gegnern negative Effekte auf unsere Gesundheit vorgeworfen. Der Bestseller-Autor William Davis sagt zum Beispiel, dass Weizen Krankheiten wie Diabetes oder Arthrose auslöst. Wie berechtigt sind solche Vorwürfe?
Kabisch: Sie sind nicht berechtigt. Es ist durchaus richtig, dass sich der Weizen durch Zuchtprozesse verändert hat. Die Körner sind größer, sie enthalten mehr Stärke. Das heißt, der Ballaststoff- und Eiweißanteil sowie der Vitamingehalt sinkt. Der Weizen hat sich stärker in Richtung reine Stärkequelle verändert und so im Verhältnis einen Teil seiner wertvollen Bestandteile eingebüßt. Trotzdem ist Weizen immer noch ein gesundes Lebensmittel, weil es dennoch nicht nur pure Stärke enthält. Wird Vollkornweizen allerdings zu Weißmehl verarbeitet, dann sind daraus hergestellte Produkte dagegen definitiv eher ungesund, weil sie eben den Zuckerspiegel schnell ansteigen lassen. Aber das, was sie so ungesund macht, ist der Verarbeitungsprozess. Das hat nichts mit dem Weizen an sich zu tun.
Aber könnte Weizen zur Entstehung von Krankheiten beitragen?
Kabisch: Nicht, weil es Weizen ist. Es gibt Studien, die zeigen, dass der Verzehr von Vollkornweizen, der viele Ballaststoffe enthält, dazu führt, dass zahlreiche Erkrankungen viel seltener auftreten. Etwa Herzinfarkte, Typ 2 Diabetes, entzündliche Erkrankungen, chronische Infekte und bestimmte Lungenerkrankungen. Da zeigt sich, dass Weizen ein gesundes Lebensmittel darstellt. Es sind die verarbeiteten Endprodukte, die ein Problem sind. Und das ist nicht spezifisch für den Weizen. Das hat man bei Roggenweißmehl, Haferweißmehl oder jedem anderen Lebensmittel, das man zu Weißmehl verarbeitet, genauso.
Stimmt es, dass Weizen dick macht?
Kabisch: Das ist genau der gleiche Punkt. Vollkornprodukte sind gesunde Lebensmittel, von denen man nicht dick wird. Wenn man den Weizen so weit verarbeitet, dass nur noch die Stärke übrig bleibt, ist eben nicht mehr so viel Wertvolles übrig. Natürlich wird man dann dick, wenn man das in großer Menge isst. Aber selbst jemand, der jeden Tag eine kleine Menge Weißmehlnudeln isst, muss nicht zwingend zunehmen. Das ist dann einfach eine Frage der Gesamtkalorien, die über den Tag aufgenommen werden.
Warum ist Weißmehl ungesünder als Vollkorn?
Kabisch: Der Unterschied liegt daran, dass bei der Verarbeitung zum Weißmehl Ballaststoffe, Mineralien und Eiweiß verloren gehen. Das Eiweiß würde satter machen, die Mineralien tragen zum Teil zur Stoffwechselfunktion bei und können auch den Blutdruck günstig beeinflussen. Die Ballaststoffe wirken sich sehr günstig auf den Blutzucker aus und drosseln vermutlich auch Entzündungsreaktionen.
Der Bestseller-Autor David Perlmutter behauptet, dass modernes Getreide das Gehirn zersetzt. Was sagen Sie dazu?
Kabisch: Das ist definitiv nicht richtig. Es gibt bestimmte Zusammenhänge zwischen Stoffwechselerkrankungen und Gehirnerkrankungen. Schlaganfälle treten häufiger auf, wenn man erhöhten Blutdruck hat. Erhöhten Blutdruck hat man häufiger, wenn man dick ist, und dick ist man häufiger, wenn man Weißmehlprodukte isst. Es gibt auch Zusammenhänge zwischen Typ 2 Diabetes und Alzheimer-Erkrankungen. Aber es ist weder eindeutig, dass jeder Diabetiker dement wird, noch ist es so, dass das überhaupt mit dem Weizen zusammenhängt. Perlmutters Aussage ist also zum Großteil Übertreibung und falsche Pauschalisierung.
Perlmutter kritisiert vor allem Kohlenhydrate und Gluten. Sind diese Stoffe tatsächlich schädlich für uns Menschen?
Kabisch: Kohlenhydrate sind in allen möglichen Lebensmitteln enthalten, nicht nur im Getreide. Sie sind per se kein Problem. Wenn man komplexe Kohlenhydrate, die zum Beispiel im Vollkornweizen enthalten sind, in Maßen zu sich nimmt, ist das wunderbar. Zucker, zu dem Kohlenhydrate umgewandelt werden, ist im Übermaß schlecht. Und Gluten ist ein völlig natürliches pflanzliches Eiweiß, dem wir ausgesetzt sind, seit wir Weizen essen und das tun wir eben seit mehreren Tausend Jahren. Es gibt Menschen, die auf Gluten reagieren, sowie Weizenallergiker, die auf andere Stoffe ansprechen, und Menschen, die nachprüfbar auf Weizen reagieren, obwohl sie weder eine Allergie, noch eine Glutenempfindlichkeit haben. Wenn man diese drei Gruppen zusammennimmt, sind das maximal fünf Prozent der Bevölkerung. Für alle anderen ist Weizen in der Vollkornvariante ein gesundes Lebensmittel.
Sie haben schon angesprochen, dass Weizen sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Müssen wir uns über eine solche genetische Veränderung Sorgen machen?
Kabisch: Nein. Diese genetischen Veränderungen hat es immer gegeben, das macht die Natur seit Tausenden von Jahren. Wir sind heute mit bestimmten gentechnischen Vorgängen schneller, aber das Grundprinzip ist das Gleiche: Das Korn, das besonders stärkereich ist, wird ausgewählt und weitervermehrt.
Das heißt, es gibt es keine negativen Auswirkungen, die auf den Weizen an sich zurückzuführen sind?
Kabisch: Wenn man von diesen fünf Prozent absieht, die mit dem Weizen aus gesundheitlichen Gründen wirklich ein Problem haben, dann ist für den Rest Weizen etwas ganz Fantastisches. Es gibt eher Daten dazu, dass Menschen, die Weizen vermeiden, obwohl sie nicht empfindlich reagieren, ein höheres Risiko für Herzkreislauferkrankungen und Herzinfarkte haben.
Also sollte man, sofern man es aus gesundheitlichen Gründen nicht muss, nicht auf Weizen verzichten?
Kabisch: Richtig. Grund kann eine Mischung aus Faktoren sein: Zum einen, dass eben gute Inhaltsstoffe des Weizens, zum Beispiel Ballaststoffe, fehlen. Und es kann sein, dass die Leute als Ersatz etwas anderes essen, was einfach ungesünder ist.
Sind andere Getreidesorten gesünder als Weizen?
Kabisch: Das ist nirgendwo sinnvoll erforscht worden. Aber die Getreidesorten sind sich zu ähnlich, als dass ich überhaupt einen Unterschied erwarten würde. Wenn es einen gesundheitlichen Unterschied gibt, würde man den in der Menge der Ballaststoffe oder des Eiweißes vermuten. Und in der Hinsicht liegt jeweils der Weizen meist vor den anderen Getreidesorten.
Ist Bio-Weizen gesünder als Weizen, der nicht ökologisch angebaut wird?
Kabisch: Bio bedeutet, dass es keine künstlichen Giftstoffe gibt, die das Getreide vor Unkräutern oder Schädlingen schützen sollen. Aber in Bioprodukten können natürliche Gifte enthalten sein, etwa aus Unkräutern, die in der Umgebung wachsen - auch, wenn das den Weizen nicht so sehr betrifft. Und zum anderen sind etwa Schimmelgifte ein Problem, die bei Bioprodukten häufiger auftreten. Nach natürlichen Giftstoffen wird aus Sicht der Lebensmittelsicherheit nicht so regelmäßig geschaut. Also kann man nicht sagen, dass Bioprodukte schlechter oder besser sind. Es gibt Dinge, die dafürsprechen und welche, die dagegensprechen.
Stefan Kabischist ist Studienarzt und Ernährungsforscher am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke.